Von adrett bis lasziv

Von Christian Gampert · 02.03.2010
Das Paar als die kleinste soziale Gemeinschaft ist eines der beliebtesten Motive in der Werbewelt. Das Züricher Museum für Gestaltung zeigt anhand von Plakaten welche Wandlungen das Paar-Klischee seit den 30er-Jahren erfahren hat.
Plakate erzählen Sozialgeschichte. Von der Armut der 1930er-Jahre, als noch eine kolorierte Zeichnung mit einem bäuerlichen greisen Paar für die Schweizer Altersversicherung "Pro Senectute" warb, bis zur Gegenwart, zu den Konsumorgien und Sexspielen der westeuropäischen Wohlstandsgesellschaften, ist es ein weiter Weg.

"Gegen Krise und Not/ für Arbeit und Brot" forderte 1931 ein entschlossen blickendes Paar mit hochgereckten Händen auf einem Plakat der Sozialdemokraten. Ein Held der Arbeit und eine blonde Bäuerin wollten dann 1952 "Alle Kraft für den Aufbau des Sozialismus" geben – aber auch diese beiden noch ohne alle Erotik. Nach der sexuellen Revolution der 1970er-Jahre treiben es dann Jeans tragende Jugendliche im Stroh, in den Neunzigern bitten zwei eng umschlungene nackte Männer im Rahmen der Aids-Kampagne, doch bitte ein Kondom anzuziehen (Schlagzeile: "Sei so lieb!"), und 2006 fassen emanzipierte Frauenhände dem Träger eines Waschbrettbauchs in die Weichteile. Das ist der Fortschritt.

Das Plakat für die Ausstellung im Züricher "Museum für Gestaltung" persifliert das Titelbild eines Groschenromans, auf dem ein Liebespaar in Dirndl und kurzer Hose sich innig anblickt. Das scheint weit weg, hat aber auch heute durchaus ein Massenpublikum, meint die Kuratorin Bettina Richter:

"Das Paar als Motiv im Plakat in den Massenmedien ist ja ein Spiegel, der uns alle beschäftigt, als Projektionsfläche für die eigenen Sehnsüchte, Erotik, Leidenschaft, da funktionieren die Heftchenromane als Gegenwelt. Aber es zeigt sich auch, dass heute im Plakat immer mehr mit Beziehungsfrust oder der Monotonie des Paar-Alltags gespielt wird."

Beziehungsfrust? Monotonie? Gibt's doch gar nicht, hätte man in den wilden Achtzigern gesagt, als etwa ein frischgebügeltes Designerhemd der "Chemiserie Centrale" genügte, um die relativ weit aufgeknöpfte Geliebte filmposenhaft hinsinken zu lassen. Heute aber sitzt ein gefrustetes Double-Income-No-Kids-Pärchen träge vor dem Fernseher, er im Unterhemd, sie knabbert Süßkram, und darunter steht die Aufforderung der offenbar therapeutisch tätigen SBB: Lieber zum halben Preis ins Weekend reisen, wobei die SBB die Schweizerischen Bundesbahnen sind.

Jenseits der sich seit den 60er-Jahren radikal wandelnden Plakat-Ästhetik fällt auf, dass Humor und Selbstironie mittlerweile hoch im Kurs stehen. Wo eben noch schöne Körper glänzten, posieren heute welke Rentner für eine Jeansmarke: der Greis macht ein Mittagsschläfchen, die Greisin aber ist hellwach und fasst dem Gefährten in den Schritt.
Das hat natürlich mit dem sogenannten demografischen Wandel zu tun, aber auch mit veränderten Werbestrategien.

Bettina Richter: "Dann der Wandel in die Gegenwart, nach den 1970er-Jahren, da wird dies jugendlich schöne heterosexuelle Paar, das zum Stereotyp geworden ist, doch zunehmend abgelöst von anderen Paarkonstellationen älterer Paare, eben nicht diese Leinwandschönheiten, oder auch homosexuelle Paare, etwas, was man sich bis in die 70er Jahre überhaupt nicht vorstellen konnte."

Der Schwule im Plakat: heute kein Problem, im Gegenteil. Für "Versace" posiert er mit Mutti und Schoßhündchen, für die Aids-Kampagne ist er auch mal nackt. Tapfer gehalten hat sich allerdings auch das Hetero-Paar. Während es 1937 in einer Schuhreklame noch im Gleichschritt marschierte, wurde es in den Fünfzigern von der Leidenschaft geschüttelt (etwa in Gestalt von Marilyn Monroe und Laurence Olivier), um in den Sechzigern adrett für Dralon-Kleider zu werben. Die Talfahrt in unsere nüchtern-reglementierte Gegenwart aber beginnt bereits in den erotisierten 70er-Jahren – etwa in der Deodorant-Werbung. Motto: "wer intensiv dabei ist, braucht 8x4 Intensiv-Deo". Also, liebe Verbraucher: schwitzen ist gut beim Sex, nur das Stinken ist verboten.

Links zum Thema:

Züricher Museum für Gestaltung