Von Adelheid Wedel

25.11.2011
Philosophisch geht es zu in den Feuilletons: Zur Frage der Bürgerbeteiligung in der "FR" und in Sachen Europa-Verfassung in der "SZ".
"Die Leistungsfähigkeit der Demokratie" sieht der Philosoph Claus Leggewie in Gefahr. In der FRANKFURTER RUNDSCHAU warnt er:

"In dieser existenziellen Frage ist eine große nationale Anstrengung angebracht, um Bürgerbeteiligung auf höchstem Niveau zu sichern."

Seine Forderung fasst der Professor für Politikwissenschaften und Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen in dem Slogan zusammen:

"Bürgerbeteiligung heißt das Gebot der Stunde."

Leggewie macht auf ein Versäumnis aufmerksam, das in jüngster Zeit bei den Bürgern für viel Unmut sorgte. Er schreibt:

"Die Umstellung auf erneuerbare Energie und damit nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsstile erfordert nicht allein Akzeptanz der Bürgerschaft am Ende eines Prozesses, sondern ihre breit gefächerte und kontinuierliche Mitgestaltung von Beginn an."

Die Betonung liegt auf dem letzten Teil des Satzes "von Beginn an". "Dazu", das machen die Ergebnisse einer Umfrage deutlich, "sind große Teile der Bevölkerung bereit". Stellt sich die Frage, wie sichert und organisiert man Bürgerbeteiligung von Anfang an? Leggewie greift eine Idee auf:

"In der Diskussion ist jetzt eine Zukunftskammer, die langfristig Agendasetting betreibt, einen kollektiven Lernprozess ermöglicht und im Erfolgsfall als 'Konsultative' einen festen Platz finden könnte neben Legislative, Judikative und Exekutive im gewaltenteilig organisierten Prozess der Willensbildung und Entscheidung."

Wie eine solche Zukunftskammer aussehen und arbeiten könnte, entwickelt Leggewie im Artikel in der FR.

Philosophisch geht es auch in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zu, zumindest in der Rezension von Gustav Seibt zu Jürgen Habermas' Schrift "Zur Verfassung Europas", die gerade bei Suhrkamp erschienen ist. Seibt zitiert die zentrale Forderung für einen Verfassungsbildungsprozess, "der sich – so die optimistische Erwartung von Habermas – seine Bürger erst schaffen muss, aber auch wird".

Der Philosoph meint:

"Auf der europäischen Ebene soll der Bürger gleichzeitig und gleichgewichtig sowohl als Unionsbürger wie auch als Angehöriger eines Staatsvolkes sein Urteil bilden und politisch entscheiden können. Eine demokratisch höher integrierte Verfassung","

mit anderen Worten: "ein den Regierungen gleichberechtigtes Parlament", könne "den Bürgern erlauben, ihre beiden Rollenaspekte ausgewogen zu verwirklichen".

Wir verlassen die Ebene der Philosophen, bleiben aber in höheren Sphären und folgen dem Bericht der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG von einem außergewöhnlichen Empfang im Berliner Schloss Bellevue. Präsident Wulff hatte zu Ehren des Schriftstellers Günther de Bruyn zu dessen 85. Geburtstag eingeladen. 240 Gäste bereiteten dem Jubilar einen grandiosen Abend, eingeleitet durch die S.-Fischer-Verlegerin Monika Schoeller. Sie las aus einem noch unveröffentlichten Manuskript de Bruyns über die Gräfin Ahlefeldt, einer markanten Person aus dem frühen 19. Jahrhundert. Die FAZ urteilt:

""Wer in de Bruyn noch immer vorwiegend den Ausleger preußischer Verhältnisse sehen will, fand an diesem Abend zwar durchaus Grund dafür – verfehlte den Autor damit aber total. Die Ausschnitte, die aus seinen Werken verlesen wurden und die von 'Buridans Esel' bis in die Gegenwart reichten, zeigten de Bruyn gleichzeitig als einen verwirrend in vielen Stilen versierten, virtuos flirrenden Autor."

Christian Wulff nahm in seiner Begrüßung "von jedem Umarmungsversuch Abstand" und begründete das so:

"De Bruyn hat sich zu DDR-Zeiten nie zum Staatskünstler machen lassen, und dergleichen soll auch mit der Ehrung in Schloss Bellevue gar nicht angestrebt werden."

Tilman Spreckelsen fasst in der FAZ de Bruyns Wirkung zusammen:

"Dass gegen stillen, beharrlichen Protest kein Kraut gewachsen ist: diese Hoffnung mag man als einen roten Faden im Werk de Bruyns erkennen. Was könnte stärker in unsere Gegenwart weisen als dies?"