Von A wie Abendland bis B wie Beleuchtung

Rezensiert von Edelgard Abenstein · 22.08.2005
Das Nachschlagewerk aus dem Metzler-Verlag verfolgt einen interdisziplinären kulturhistorischen Ansatz. Es soll insgesamt 16 Bände umfassen, die bis 2012 erscheinen. Eine große Zahl an Fachherausgebern um den Kulturwissenschaftler Friedrich Jaeger bringt ihr Wissen aus Bereichen wie Politik, Naturwissenschaften oder Kunst ein.
Als einer der brillantesten Geister seiner Zeit, Denis Diderot, im Verein mit d'Alembert, Rousseau und Voltaire, 1751 den ersten Band der "Großen Enzyklopädie" herausbrachte, stellte er dieser Bibel der Aufklärung ein ehrgeiziges Leitmotiv voran, mit dem die Welt aus den Angeln zu heben wäre: Nicht nur "alle Kenntnisse der Menschen" sollte es enthalten, sondern auch "die allgemeine Denkweise" von Grund auf verändern. 30 Jahre später war das Werk mit 35 Bänden vollendet, und es hatte das Macht- und Wissensmonopol von Kirche und Monarchie ein für alle Mal außer Kraft gesetzt.

In die vornehme Tradition der französischen Aufklärung stellt sich der Herausgeber der 16 Bände umfassenden "Enzyklopädie der Neuzeit", der Kulturwissenschaftler Friedrich Jaeger. Mehr als ein Lexikon, als ein Nachschlagewerk, habe sie ihre Tauglichkeit für die "historische Selbstaufklärung" auch jenseits der engen Grenzen der Fachgelehrten zu beweisen. Sie verfolgt einen interdisziplinären, kulturhistorischen Ansatz – so gibt es keine Artikel zu einzelnen Personen, Orten und Ländern. Vergeblich sucht man das Stichwort "Aristoteles" etwa, stattdessen aber findet man unter dem Passus über antike Religionen die Schule des griechischen Philosophen neben der seines Landsmannes Platon als große Alternative zum Christentum.

Friedrich Jaeger hat 24 Fachherausgeber um sich geschart, die fast alle der Wissenschaftlergeneration der heute Vierzigjährigen angehören und an fachübergreifende Forschungen gewöhnt sind. Damit bringen sie die aktuellen Ergebnisse aus den unterschiedlichsten Disziplinen mit ein wie Politik, Recht und Verfassung, Lebensformen und sozialer Wandel, Wirtschaft und Naturwissenschaften, Bildung, Religion, Umwelt, Medien, Literatur, Musik und Kunst.

Entsprechend breit gefächert sind die Artikel der ersten Bandes, in denen es vom Abendland über Alchemie, Altarbild, Androgynität, Asylrecht über Barock und Barrikade schön bedeutungsvoll bis zu Beleuchtung geht. Anders als beim britischen Konkurrenzunternehmen, der 2004 erschienenen "Encyclopedia of the Early Modern World", das mit der französischen Revolution endet, umfasst die deutsche Enzyklopädie den Zeitraum von 1450 bis 1848. Auf diese Weise finden hier auch Themen des 19. Jahrhunderts wie Arbeitsmarkt und Frauenbewegung, Eisenbahnen, Industriespionage und Reklame Zugang und markieren die Epoche der Neuzeit zugleich als die Wegbereiterin der Moderne.

Das 16-bändige Werk, dessen einzelne Teile bis 2012 jeweils halbjährlich erscheinen sollen, kann nach und nach zwar, jedoch nur als Ganzes subskribiert bzw. erworben werden. Gewiss, der Preis ist enorm. Doch wer Wert auf umfassende Information und auf die gute alte Bildung legt, außerhalb von Akademien, Universitäten und exklusiven Clubs, findet Zugang zum neuesten Wissensstand in zumeist verständlicher Sprache. Lediglich die mager eingestreuten Illustrationen entfalten keinen ästhetischen Mehrwert und lassen wehmütige Erinnerungen an die prachtvollen Abbildungen in Diderots großem Kompendium der Aufklärung wach werden.

Abgesehen von dem durchgängig hohen Niveau der Beiträge, wird der Enzyklopädie kein digitales, kein kostenfrei zugängliches Nachschlagewerk im Internet den Rang ablaufen: das gedruckte Werk eröffnet wie jedes Buch beim Blättern die wunderbarsten Zufälle und Nebenwege, Stichwörter, in die man sich vertieft wie in ein Treffen mit alten Bekannten, aber, Querverweisen folgend, kommt es auch zu überraschenden Begegnungen. Es ist wie meistens im Leben: die schönsten Stücke spürt auf, wer nicht sucht und trotzdem findet.

Enzyklopädie der Neuzeit. Gesamtausgabe in 16 Bänden. Herausgegeben von Friedrich Jaeger im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen. Band 1: Abendland – Beleuchtung. J.S. Metzler-Verlag, Stuttgart 2005, 600 Seiten. Subskriptionspreis bis 31.7.2007 für alle Bände 2.718,40 Euro, danach 3.198,40 Euro.