"Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens"

Rezensiert von Gustav Seibt · 11.04.2005
"Das süße Nichts" - was über dem ersten der neuen Prosa- und Dialogstücke von Max Goldt steht, könnte der Titel des ganzen Bandes sein. Stattdessen hat sich der Meister, bekannt für seine langen, barock ausführlichen Werkbenennungen, dafür entschieden, "Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens" zu handeln.
Und wäre er dabei, während dies geschrieben wird, so würde der Rezensent ihn fragen: "Herr Goldt, wie finden Sie es, dass ich, um das Wort "Titel" nicht zweimal unmittelbar hintereinander zu gebrauchen, einmal "Titel" sage, das zweite Mal aber "Werkbenennung"?" Wie immer die Antwort ausfiele - man dürfte sicher sein, dass Max Goldt wenigstens Verständnis für das Problem hätte. Denn ob es sich um ein süßes Nichts handelt - wir lernen, dass damit eine rätselhaft schimmernde, aber nur fast durchsichtige Herrenunterwäsche gemeint ist - oder ob der Autor sich an einem lärmenden und stark riechenden Weihnachtsmarkt vorbeidrückt - "dank der guten baupolizeilichen Bestimmungen in Deutschland ist es ja möglich, seitlich an so ziemlich allem, was hässlich ist, vorbeizugehen" -, jedenfalls zeigt dieser Autor eine fast unbegrenzte Bereitschaft zu abseitiger Subtilität.

Er greift das auf, was durchaus nahe vor Augen liegt, worüber aber kein Mensch redet, weil es sich um einen zunächst sinnarm wirkenden Staub der Wahrnehmung handelt. Wovon haben wir gestern Abend eigentlich geredet? Wer das am nächsten Morgen - nach drei Flaschen Wein pro Person - rekonstruieren will, der kommt auf ein mäandrierendes Themenspektrum, das zur so genannten Wirklichkeit nur noch assoziative Verbindung hat: Herrenunterwäsche, Pfeffermühlen (immer viel zu groß) und der Weg von einem zum anderen, also das unberechenbare Weiterspinnen eines nie straff gezogenen Fadens. Das ist weniger Gegenstand als Form dieser Prosa. Sie hat die scharfe Alltagsbeobachtung oder gar den satirischen Ton, wie man sie von Max Goldt lange Zeit erwartete, längst hinter sich gelassen. Seine Szenen und Prosastücke sind schaumgeborene Luftgebilde, die fast beliebige Ausgangspunkte haben, um sich umso freier vom Erdboden zu erheben und - selig in sich selbst - um die eigene Achse zu drehen.

Max Goldt schreibt heute das schönste Deutsch aller jüngeren Autoren. Es liegt zwischen der Ruhe Ernst Jüngers und dem sanften Wahn Robert Walsers. Die Heiterkeit und Stille, die diese Sprache ihren Lesern schenkt, liegt nicht nur im Humor; ebenso in einem freundlichen Abstandnehmen von den Aufdringlichkeiten einer Wirklichkeit, an der man sich besser seitlich vorbeidrückt.



Über Max Goldt: Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens
Rowohlt Verlag, Reinbek 2005
17,90 Euro