Vom Wert echter Freundschaft

01.07.2008
Das letzte Werk des verstorbenen US-Schriftstellers Wallace Stegner, "Zeit der Geborgenheit", ist ein durch und durch amerikanischer Roman. Die Figuren haben wenig Brüche und nahezu keine Vorbehalte. Und um ein Loblied auf wirkliche Freunde zu singen, trägt der Autor manchmal ganz schön dick auf.
"Zeit der Geborgenheit" ist die facettenreiche Beschreibung einer fast lebenslangen und grundehrlichen Freundschaft zwischen zwei Paaren. Larry und Sally Morgan aus dem Westen der USA legen keinen Wert auf materielle Werte und leben mit Selbstvertrauen und innerer Ausgeglichenheit. Während der großen Depression in den Dreißiger Jahren lernen sie Sid und Charity Lang kennen, Repräsentanten des Ostküstenadels mit Vermögen, Einfluss und gesellschaftlicher Anerkennung.

Die gegenseitige Sympathie beider Paare und ihre Neugier aufeinander lassen die vier Hauptpersonen ihre großen Unterschiede, was Herkunft, Status und Charakter angeht, schnell vergessen und einander an ihren Lebensläufen teilhaben.

Nach Jahrzehnten treffen die beiden Paare zum letzten Mal in der Viererkonstellation zusammen, denn Charity Lang liegt im Sterben. Vor ihrem Tod hat sie Sally und Larry zu einem Abschiedsbesuch auf den Landsitz der Langs geladen. Larry lässt dort die gemeinsame Freundschaft Revue passieren.

Seine Beschreibungen werden ein schwermütiger Widerhall auf lange glückliche Jahre vierer Menschen, die miteinander Glück, Schicksal, Hoffnungen und Niederlagen geteilt haben. "Zeit der Geborgenheit" ist zugleich ein hohes Lied auf echte Freundschaft zwischen geradlinigen und aufrichtigen Charakteren.

Das Buch ist 1987 im Original erschienen - sechs Jahre vor seinem Tod war es Wallace Stegners letzter Roman, und er wurde zum Klassiker der amerikanischen Moderne. Ein paar liebenswert-altmodische Züge hat der Roman aus heutiger Sicht schon aufgrund seines Erscheinungsdatums. Aber das stört nicht, ebenso wenig die - wenn man aus postmoderner Sicht auf das Buch blickt - Hymne auf eine Freundschaft, die in Jahrzehnten keinerlei Brüche erfährt.

Pulitzer-Preisträger Stegner, eine der großen literarischen Stimmen des amerikanischen Westens im 20. Jahrhundert, hat einen ganz und gar amerikanischen Roman geschrieben. Ihm ist gelungen, eine komplexe Freundschaft in einfacher Sprache, mit kurzen, direkten Sätzen zu schildern. Aber es geht um mehr als um vier nette Menschen.

"Zeit der Geborgenheit" zeigt ausgesprochen nuancenreich und vielschichtig, wie Amerika im vergangenen Jahrhundert zusammengewachsen ist: mittels Neugier, Offenheit und Interesse füreinander als treibende Kräfte. Die Menschen aus dem amerikanischen Westen und aus dem Osten kommen sich auf ihrem riesigen Kontinent langsam nahe, sie stellen fest, dass sie viele Gemeinsamkeiten haben.

Selten gibt es Romanfiguren mit so wenigen Vorbehalten anderen Menschen gegenüber. Die vier Hauptpersonen verkörpern die amerikanische Idee geradezu. Wer damit etwas anfangen kann, wird das Buch lieben. Die anderen werden es als "zu amerikanisch" kritisieren, ihnen werden die Charaktere dann doch zu wenig Brüche haben.

Wenn der Roman eine echte Schwachstelle hat, dann ist es die Tatsache, dass Wallace Stegner in seinen Schilderungen einer außergewöhnlichen Freundschaft sehr dick aufträgt. Fast so, als müsste er den vier Hauptpersonen ihre Freundschaft jedes Mal aufs Neue beweisen. Der Leser glaubt es längst.

Aber es wird spannend sein, zu verfolgen, wie ein typisch amerikanischer Stoff in Europa ankommt, wie deutsche und zukünftig auch andere europäische Leser auf das Buch reagieren.

Rezensensiert von Roland Krüger

Wallace Stegner: Zeit der Geborgenheit
Aus dem Amerikanischen von Chris Hirte
Deutscher Taschenbuch Verlag (Reihe: dtv premium), München, 2008
418 Seiten, 14,90 Euro