Vom Umgang mit Kriegsverlierern

22.08.2013
Der Historiker Holger Afflerbach stellt in seinem originellen Buch "Die Kunst der Niederlage" Kapitulationen als aufregend vielschichtige Ereignisse der Geschichte vor. In Sprüngen durcheilt er die Jahrtausende und analysiert Niederlagen von der Antike bis in die Neuzeit.
"Ein Wort habe ich nie kennengelernt, es heißt: Kapitulation", behauptete Adolf Hitler. Die Folgen sind bekannt. Generell prägte Rigorismus die Geschichte des Krieges. "Aut vincere aut emori" - Sieg oder Tod -, lautete der Ehrenkodex der Römer. Soldaten können seit jeher heldenhaft siegen oder heldenhaft sterben. Aber heldenhaft kapitulieren? Klingt sinnwidrig. Trotzdem haben Kämpfer zu allen Zeiten kapituliert. Wie und warum sie es taten, erklärt Holger Afflerbach in "Die Kunst der Niederlage". Der Historiker ist optimistisch. Obwohl er unzählige blutige Massaker kennt, gibt es für ihn eine "'unsichtbare Hand des Krieges', die automatisch Exzesse als unvorteilhaft für alle Krieg führenden Parteien abstraft". Beweisbar ist das kaum. Fest steht aber: Kapitulationen sprengen die dumpfe Alternative 'Sieg oder Tod'. Deshalb glaubt Afflerbach, dass sie Anteil an der allmählichen "Einhegung der Gewalt im Kriege" haben.

So oder so ist das Buch originell. Afflerbach stellt Kapitulationen als aufregend vielschichtige Ereignisse vor und verbindet den chronologischen Überblick mit systematischen Gedanken. Carl von Clausewitz bemerkte in "Vom Kriege", es gebe einen Punkt, "über den hinaus das Verharren [im Kampf] nur eine verzweiflungsvolle Torheit genannt und also von keiner Kritik gebilligt werden kann". Womit gesagt war: Der kluge Verlierer hisst rechtzeitig die weiße Fahne. Laut Winston Churchill liegt das Problem damit bei den Siegern. Ein Kriegsgefangener, so Churchill, sei schließlich ein Mann, "der versucht, Dich zu töten, es nicht schafft, und dann bittet, dass Du ihn nicht tötest."

Im antiken Rom folgte auf die Kapitulation die Versklavung
Jede Kapitulation ist ein Interessenausgleich. Bereits die Antike hat ihn erprobt. Obwohl die Spartaner den Kampf bis zum Tod idealisierten - im berühmten Kampf bei den Thermophylen ließen alle Krieger ihr Leben, "wie das Gesetz es befahl" -, boten sie bisweilen an, bedingungslos zu kapitulieren. Die Römer akzeptierten umgekehrt nur die deditio, die totale Unterwerfung. Weil jedoch stets die Versklavung folgte, kam es zu heroischen Kapitulationsverweigerungen. Im Jahr 70 brachten sich in Masada fast tausend belagerte Juden gegenseitig um. Sie folgten laut Flavius Josephus der Parole: "Lasst uns Erbarmen haben mit uns selbst."

Afflerbach durcheilt die Jahrtausende in Sprüngen. Die mittelalterlichen Ritter mussten das Kapitulieren neu erlernen. Söldner frühneuzeitlicher Heere schätzten die Desertion als Privatkapitulation, während moderne Soldaten oft der Nationalstolz am Platz fesselte. Die deutsch-japanische Kapitulations-Phobie kostete im Zweiten Weltkrieg Millionen das Leben. Anders der Fall von Konteradmiral Nebogatow im russisch-japanischen Krieg 1905. Er kapitulierte in aussichtsloser Lage, rettete damit 2.000 Seeleute - und wurde bestraft. Ein deutscher General tadelte ihn mit Schillers Worten: "Über dem Leben kommt doch die Ehre." Merke: Wo immer kapituliert wird (oder nicht), herrschen bestimmte gesellschaftliche Druckverhältnisse.

"Die Kunst der Niederlage" ist ein gelehrtes Plädoyer für die Kampf-Option "Aufhören". Gar nicht erst anzufangen, wäre natürlich eine noch größere Kunst: Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin.

Besprochen von Arno Orzessek

Holger Afflerbach: Die Kunst der Niederlage. Eine Geschichte der Kapitulation.
Verlag C. H. Beck, München 2013
320 Seiten, 14,95 Euro
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