"Vom Umfang äußerst gering"

Holger Poppenhäger im Gespräch mit Christopher Ricke · 02.08.2010
Laut Thüringens Justizminister Holger Poppenhäger betrifft die Reform der nachträglichen Sicherungsverwahrung höchstens ein Dutzend Fälle. Die elektronische Fußfessel hält der SPD-Politiker für eine "erwägenswerte Option".
Christopher Ricke: Die Diskussion über die nachträgliche Sicherungsverwahrung. Holger Poppenhäger von der SPD ist Justizminister in Thüringen, er arbeitet in einer Großen Koalition. Herr Poppenhäger, wie lange haben wir denn eigentlich noch Zeit, über diese Sicherungsverwahrung zu diskutieren? Irgendwann muss doch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umgesetzt werden?

Holger Poppenhäger: Zunächst Mal will ich feststellen, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umgesetzt werden muss. Es gibt ja einige Stimmen, die sind der Auffassung, man könne das tun, man könne es auch sein lassen. Und Deutschland hat ja nun die Konvention über Menschenrechte unterzeichnet und von daher gehe ich mal davon aus, dass eigentlich alle Stimmen sich einig sein müssten, dass wir den Gerichtshof als den Ausleger der Konvention akzeptieren, und daher das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte natürlich auch umsetzen.

Ricke: Die Argumentation des Gerichtshofes kann man ja verstehen, dass auch ein Schwerkrimineller Rechte hat, dass er sich auf sein Urteil verlassen muss. Allein, ich verstehe auch die Sorgen der Menschen, die 100 Schwerverbrecher lieber hinter Gittern als vor Kindergärten sehen. Das muss man doch auch verstehen?

Poppenhäger: Sie haben völlig recht, das muss man verstehen. Und die Sicherheit der Menschen hat eine hohe Priorität natürlich in der Politik für alle Beteiligten – übrigens in allen Parteien. Die Frage ist, wann ordnet man Sicherungsverwahrung an? Es gibt bisher die Möglichkeit in Deutschland, sie mit einem Urteil anzuordnen. Und das geschieht in der weit überwiegenden Zahl der Fälle, die Sie angesprochen haben. Und die nachträgliche Sicherungsverwahrung, die Sie angesprochen haben, ist in Deutschland überhaupt nur in einem Dutzend Fällen überhaupt angewandt worden, und schon von daher auch vom Umfang her äußerst gering.

Ricke: Aber jeder Schwerkriminelle auf der Straße ist ein Schwerkrimineller auf der Straße zuviel.

Poppenhäger: Ja, aber da muss dann in der Tat die verfassungsrechtlichen Rechte auch von Strafgefangenen, die ihre Strafe ja verbüßt haben, bedacht werden. Und die Gerichte entscheiden ja schon bei der Urteilsfindung, ob sie jemanden mit einer hohen Strafe belegen und anschließend mit einer Sicherungsverwahrung. Und in den Fällen, wo sie das nicht tun, da soll in Zukunft die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach den Vorstellungen von Frau Leutheusser-Schnarrenberger nicht mehr möglich sein. Und das hat übrigens auch die große Zustimmung der Mehrheit der Justizminister gefunden.

Ricke: Nun gibt es ja verschiedene Diskussionsansätze: Ein Ansatz ist die elektronische Fußfessel. Ist das der Ausweg aus der juristischen Klemme?

Poppenhäger: Nun muss man wissen, dass die elektronische Fußfessel ja nur nachträglich zum Einsatz kommt, wenn ein Straftäter das Gefängnis verlassen hat. Und ich persönlich halte die Fußfessel für eine erwägenswerte Option. Man muss allerdings wissen, dass man dort natürlich nur die Einhaltung von bestimmten aufenthaltsbezogenen Weisungen überwachen kann. Da kann sie hilfreich sein, aber sie ist kein Alleinmittel, kein allein selig machendes Hilfsmittel.

Ricke: Sie ist auch ein Mittel, um möglicherweise eine Tat schneller aufklären zu können, aber kein Mittel, um eine Tat zu verhindern?

Poppenhäger: So ist es. Man kann mittels dieser sogenannten elektronischen Fußfessel Weisungen überwachen, ob zum Beispiel ein ehemaliger Straftäter einen bestimmten Bereich verlässt, dass er den möglicherweise nicht verlassen darf und Ähnliches. Man kann auch die Aufenthaltsdaten speichern, auch das müsste natürlich gesetzlich angeordnet werden. All das ist noch nicht der Fall und die Bundesregierung hat angekündigt, dass sie dies tun will, und die Länderjustizminister haben sehr einmütig sie aufgefordert, das auch bald zu tun.

Ricke: Es gibt noch einen weiteren Aspekt: Statt Sicherungsverwahrung eine bestimmte Täterklientel, bei der nachträglich die große Gefährlichkeit erst erkannt wurde, also nach dem Urteil, dass man diese Menschen möglicherweise von den Gefängnissen in geschlossene psychiatrische Anstalten überführt. Dann sind sie nicht mehr im Gefängnis, aber auch nicht auf der Straße. Ist das eine Lösung?

Poppenhäger: Nun muss man zunächst sagen, dass diejenigen ehemaligen Straftäter, die weiterhin der Sicherungsverwahrung unterliegen – und das ist ja die Mehrzahl derer, der circa 100, die Sie angesprochen haben, übrigens sind das insgesamt mittlerweile an die 500 Betroffene, die in Deutschland in Sicherungsverwahrung sitzen –, dass die von dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kaum betroffen sind. Sie sind insoweit betroffen, dass der Vollzug der Sicherungsverwahrung sich deutlich unterscheiden muss von der Strafhaft. Er darf also nicht dasselbe sein, es muss etwas gemacht werden mit diesen Menschen, sie müssen behandelt werden, es muss eine Therapie stattfinden. Auch das müssen in Zukunft die Länder sicherstellen, und das werden wir auch tun.

Ricke: Herr Poppenhäger, Sie regieren in Thüringen in einer Großen Koalition von CDU und SPD, in Berlin streiten die Koalitionäre von CSU, CDU und FDP. Ist es vielleicht angezeigt bei solch einem sensiblen Thema, über Parteigrenzen hinweg zu arbeiten, um eine plausible Lösung zu finden?

Poppenhäger: Ich halte das für absolut erforderlich. Ich begrüße deshalb auch den Vorschlag der Bundesjustizministerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die ja im Bundeskabinett bereits Eckpunkte beschlossen hat. Und ich bin natürlich etwas irritiert darüber, dass jetzt im Nachgang Teile der CDU die bereits im Bundeskabinett gefallenen Beschlüsse wieder ablehnt. Also, ich glaube, dass hier eine Einigkeit über Parteigrenzen hinaus dringend notwendig wäre.

Ricke: Was tut man, wenn diese Einigkeit nicht hergestellt werden kann? Muss dann der Spruch des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in irgendeiner Art und Weise justiziabel durchgesetzt werden?

Poppenhäger: Also, ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung die Eckpunkte, die sie beschlossen hat bereits, dass sie auch die im Parlament verteidigen wird. Ich gehe davon aus, dass es auch im Parlament Mehrheiten gibt, und da kann man die Bundesregierung nur auffordern, auch gegen die Stimmen einzelner Mitglieder aus der CDU die Mehrheit im Deutschen Bundestag zu suchen.

Ricke: Was hieße das? Ein übergreifender Entschließungsantrag beispielsweise von SPD und FDP?

Poppenhäger: Also, es gibt tatsächlich große Gemeinsamkeiten hier zwischen den Justizministern der Sozialdemokratie und – die sozialdemokratischen Justizminister, die auch den Beschluss der Justizministerkonferenz einmütig mitgetragen haben –, und einer großen Anzahl der von der FDP getragenen Justizminister. Sie sprechen dort eine Gemeinsamkeit in diesem Punkt an, die in der Tat da ist. Ob die im Bundestag zum Tragen kommen kann, da mache ich mal ein Fragezeichen. Aber in der Tat, es gibt inhaltliche Gemeinsamkeiten an dieser Stelle.

Ricke: Holger Poppenhäger von der SPD, er ist der Justizminister in Thüringen. Vielen Dank, Herr Poppenhäger!

Poppenhäger: Auf Wiederhören!

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