Vom Tellerträger zum Auflagenmillionär

Alain Gsponer im Gespräch mit Waltraud Tschirner · 13.12.2009
"Lila, Lila" ist eine hintergründige Satire auf den Literaturbetrieb des Schweizer Autoren Martin Suter, die nun vom Schweizer Filmemacher Alain Gsponer auf die Leinwand gebracht worden ist.
Waltraud Tschirner: "Lila, Lila" - gedreht hat diesen Film der Schweizer Regisseur Alain Gsponer, von dem Sie bestimmt noch dessen preisgekrönte Filme "Rose" mit Corinna Harfouch und "Das wahre Leben" mit Katja Riemann, Ulrich Noethen und Hannah Herzsprung in Erinnerung haben. Und mit Alain Gsponer bin ich jetzt in Zürich verbunden, einen schönen guten Tag!

Alain Gsponer: Ja, wünsche ich auch!

Tschirner: Ihr Film "Lila, Lila" ist nach Martin Suters gleichnamigen Buch, einem Bestseller, gedreht worden und man könnte meinen, dass sich dessen Bücher irgendwie mehr dafür eignen als andere. Was macht denn die Suter'schen Geschichten für Sie so reizvoll?

Gsponer: Ich glaube, es ist auch ein bisschen ein Trugschluss. Wir sind da auch sehr schnell drauf reingefallen, auch bei "Lila, Lila", und dachten, ja, super, Suter erzählt Geschichten, was im deutschsprachigen Raum gar nicht so üblich ist, dass so gut gestrickte Geschichten erzählt werden, aber das ist auch ein Trugschluss, wenn man es dann adaptiert, dass es so einfach scheint zu erzählen, weil man eigentlich nur noch sozusagen die Visualität finden muss für diesen Film. Das stimmt aber gar nicht. Aber im Prinzip das Besondere daran, Suter zu verfilmen, ist ganz klar: Er erzählt eine straighte Story, mit der kann man umgehen, und das ist das, was ihn unterscheidet von anderen literarischen Werken, sage ich mal so.

Tschirner: Merkt man Suter an, dass er mal Werbetexter war, dass er also ... wohin er schreibt für ein Publikum, dass eine Ware kaufen soll, in dem Fall also eine Geschichte?

Gsponer: Das merkt man auf jeden Fall. Ich habe mit ihm auch gesprochen und er hat gesagt, seine meiste Zeit verbringt er damit, die Sprache zu vereinfachen, also wirklich, was ein Werbetexter auch macht, dass es wirklich jeder versteht, und da investiert er wahnsinnig viel Zeit. Recherchearbeit ist für ihn wichtig und wirklich auch diese Vereinfachung der Sprache. Und das spürt man.

Tschirner: Welcher Moment beim Lesen dieses Buches "Lila, Lila" von Martin Suter war denn für Sie, sagen wir mal, die Einstiegsdroge, der Moment, in dem Sie wussten: Dieses Buch wird mein nächster Film?

Gsponer: Ja, das ist fast ein bisschen peinlich, denn ich konnte mich sehr gut mit der Hauptfigur identifizieren, ...

Tschirner: Sagen Sie nicht, Sie sind auch so ein Hochstapler!

Gsponer: Nein, nicht das Hochstapeln, sondern sozusagen nicht gesehen werden, da würde ich sagen, das ist ja auch ein Teenagerproblem, nicht gesehen werden und dann so tun, als wäre man größer. Und das gab so eine Phase in meiner Zeit, in meinem Leben, wo das dazugehört hat, und dann konnte ich mich wahnsinnig stark mit ihm identifizieren, und ich bin froh, dass ich ein bisschen erwachsener geworden bin und damit anders umgehen kann als seinerzeit. Aber wenn ich schon so ein Problem hatte, dann weiß ich, dass auch andere ein ähnliches Problem hatten.

Tschirner: Das ist heute der Moment der intimen Bekenntnisse. Sie sind ja lange, so habe ich es gelesen, vor dem Drehbeginn bereits mit Ihrem Wunschdarsteller für den David, mit Daniel Brühl zu Martin Suter geflogen. Wollten Sie mit ihm im Schlepptau einfach die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Suter einer Verfilmung von Ihnen zustimmt und welche Rolle hat da Daniel Brühl gespielt bei diesem Spiel?

Gsponer: Nein, Daniel war sehr wichtig aus zweierlei Gründen: Wir wussten, dass Martin Suter schlechte Erfahrungen hatte mit Deutschland und sehr skeptisch war, und er wollte eigentlich nicht mehr nach Deutschland die Rechte verkaufen. Und der Produzent hat dann so ein Package geschnürt, also, da war ich natürlich irgendwie gut - ein Schweizer Regisseur, der hauptsächlich in Deutschland arbeitet. Und sie wussten, dass Martin Suter sehr begeistert war vom Hörbuch von "Lila, Lila", das Daniel Brühl gelesen hat. Und somit haben sie so ein Paket geschnürt mit dem, um nach Ibiza zu reisen und bei ihm anzuklopfen. Und das war, glaube ich, auch der ausschlaggebende Grund, warum wir diesen Stoff auch erhalten haben, weil es gab sehr viel Konkurrenz. Und es ist im seltensten Fall so, dass ein Darsteller mitkommt, also dass der Autor gleich eine Vision kriegt: Wer spielt diese Hauptfigur? Und das war natürlich auch ganz, ganz wichtig.

Tschirner: Alain Gsponer ist mein Gesprächspartner, Regisseur des Films "Lila, Lila", der am Donnerstag in die deutschen Kinos kommt. Wenn ein Schauspieler heute so was wie Störtebeker spielen muss oder Andreas Baader oder, sagen wir, Goethe, dann steckt man ihm in die entsprechenden historischen Klamotten und Kulissen, verpasst ihm eine angemessene Frisur und sofort wirkt er verwegen oder einschüchternd oder setzt die Denkermiene auf. Wie verwandelt man aber nun einen netten, schüchternen Kellner, wie es der David Kern in Ihrem Film ja ist, in den unsicheren Literaturstar David Kern? Da geht es ja, mal abgesehen von den feineren Anzügen, eher um Nuancen, also um Zwischentöne. Wie macht man das?

Gsponer: Man hat eine lange Probephase mit dem Hauptdarsteller. Das ist, glaube ich, das A und O. Aber man beobachtet ihn auch. Ich kannte ja Daniel Brühl und ich wusste: Dieses Schüchterne hatte er auch. Also, er kannte auch diese Phase, wo er unscheinbar war. Ich meine, der ist ja heutzutage wo ganz anders angekommen, diese Selbstsicherheit und dieses Auftreten, das er heute hat im Privaten, das hatte er früher noch nicht. Und man muss dann sozusagen was hervorholen, oder anders formuliert, man muss sozusagen graben in der Zeit, wo der Reifungsprozess noch nicht so abgeschlossen ist, und das muss man halt hervorholen und hervorgraben. Und dann geht das relativ schnell. Was natürlich äußerlich passiert, das ist auch relativ einfach. Man kann sehr stark mit einer Frisur arbeiten, die sehr unvorteilhaft ist, die die Person jünger macht, als sie ist, und all die Kombinationen davon ergeben diesen David Kern.

Tschirner: Sie haben in Deutschland gedreht, in Berlin und Leipzig, unter anderem in der Volksbühne und da soll es mal ein massives Problem gegeben haben, und zwar mit der Sprinkleranlage. Was ist denn da passiert?

Gsponer: Die teuersten Drehtage sind ja immer an den Tagen, wo am meisten Komparsen sind und wo die Motive am größten sind. Und das ist genau die Volksbühne gewesen, und wir hatten eine richtig lange Szene vor der Volksbühne, und es war Juni. Und Berlin im Juni, weiß man, da hat man nur vier Stunden echte Nacht. Und es war eine Nachtszene. Und wir waren mitten in den Dreharbeiten, und dann hat die Stadt eine automatische Sprinkleranlage für diesen Vorplatz. Wir haben einen schönen Sommerabend, wir haben die ganze Zeit schon erzählt, wie toll und warm das eigentlich ist, und dann plötzlich fängt es an zu regnen. Und das ist ja noch das geringere Problem, man kann den Regen ja noch wegerzählen im Film, aber das Geräusch der Sprinkleranlage ging auch nicht. Also, wir haben Sandsäcke drauf getan, damit einfach nichts mehr zu hören und nichts mehr zu sehen war, und haben dann wirklich noch alles reingewürgt, damit das irgendwie funktioniert, und den Tag zur Nacht gezogen teilweise.

Tschirner: "Lila, Lila", das ist auch eine Satire auf den Literaturbetrieb mit all seinen Mechanismen und Zynismen, muss man sagen. Sie sind ein relativ junger Filmemacher noch, Jahrgang 1976, wenn ich mich nicht täusche, der mittlerweile ja die Mechanismen des Filmgeschäfts auch ganz gut durchschaut haben dürfte. Was meinen Sie, sind Literatur- und Filmbetrieb da in ihren Marotten vergleichbar?

Gsponer: Ich denke schon. Ich meine, ich kenne mich im Literaturbetrieb bedingt aus, also, ich bin extra mit Martin Suter seinerzeit dann an der Frankfurter Buchmesse gewesen und ich habe den ganzen Betrieb durch Martin Suter kennengelernt und sehe, dass das sehr ähnlich ist. Es ist einfach eine andere Generation, es ist angenehm, dass die, wie soll ich sagen, die Buchszene ein bisschen älter ist als die Filmszene, die Leute, und wenn man wiederum in die Werbeszene geht, dann sind sie ganz jung, Jungfleisch. Aber im Prinzip sind die Marotten der Selbstdarstellung und sozusagen auch so der Kern allen ist immer dieser Hype, also dieser Hype, wo plötzlich alle Menschen blind werden. Also man macht jemanden zum Star und alle anderen wollen den auch als Star sehen, ohne selbst zu reflektieren und selbst zu überprüfen. Und das ist sowohl in der Literatur wie beim Film, in fast allen Medien mittlerweile, der gleiche Mechanismus.

Tschirner: "Lila, Lila" ist ja, wir haben es erzählt und gehört vorhin, auch ein Spiel mit Identitäten. Wie sehen Sie sich eigentlich: als Schweizer Filmemacher, als deutschsprachigen Filmemacher, als europäischen Filmemacher?

Gsponer: Ich habe mich immer als deutschsprachigen Filmemacher definiert - da zitiere ich auch wieder Herrn Suter, dem das ganz wichtig ist, dass er deutschsprachige Bücher schreibt und nicht Schweizer Bücher -, ich definiere mich schon durch den deutschsprachigen Kulturbereich. Aber man muss ganz klar sagen, ich bin in der Schweiz aufgewachsen, bin Schweizer und habe eine Wahlheimat in Berlin gefunden, und somit bin ich schon beides.

Tschirner: Dann sind Sie aber Berliner. Das ist man nach sechs Wochen, spätestens.

Gsponer: Genau. Ich bin ein alter Neu-Berliner.

Tschirner: Genau. Trotzdem ist ja interessant, dass die Schweizer Filmszene zumindest international viel weniger wahrgenommen wird als beispielsweise die österreichische Filmszene. Das Land ist nicht viel größer. Also klar, wir haben hier gerade die Verfilmung von "Tannöd" in Deutschland zu sehen bekommen, von Bettina Oberli, aber woran liegt das, dass die Schweizer Filmszene international so wenig zur Kenntnis genommen wird?

Gsponer: Das stimmt zwar, dass Österreich fast gleich groß ist wie die Schweiz, aber wenn man dann, sagen wir, den deutschsprachigen Raum der Schweiz betrachtet, dann ist er noch viel kleiner. Das heißt, die Schweiz selber ist in der Filmszene nochmals in drei Teile geteilt, und dann wird eben das Publikum sozusagen immer kleiner. Und ein anderes Problem, das ich aber allgemein in der Schweiz sehe, ist: Die Schweiz besinnt sich auf eine gewisse Nationalität, sie besinnen sich auf eine Kultur, die viel kleiner ist als früher. Früher hat die Schweiz viel globaler gedacht, sage ich mal, vor 20 Jahren, als ich da raus bin - ah, ich bin vor zwölf Jahren aus der Schweiz -, und heute denken sie viel enger. Und die Sprache, das Schweizerdeutsche, ist so viel wichtiger geworden in ihrem ganzen Kulturschaffen und das begrenzt halt sowohl die Geschichten wie auch das Denken.

Tschirner: Sie drehen jetzt eine weitere Suter-Verfilmung, muss man sagen, nämlich das Buch "Der letzte Weynfeldt". Was kommt danach?

Gsponer: Ja, das würde ich auch gerne wissen, auf jeden Fall kein Suter als nächstes. Ich bin froh, mal was ganz Frisches zu machen, aber leider weiß ich es nicht. Kann ich leider nicht sagen.

Tschirner: Dann lassen wir uns überraschen.


Info:

Aiain Gsponers Film "Lila, Lila" nach dem Buch von Martin Suter mit Daniel Brühl, Hannah Herzsprung und Henry Hübchen in den Hauptrollen läuft ab kommenden Donnerstag, 17. Dezember 2009, in unseren Kinos an.