Vom Sockel geholt

Wohin mit ausgedienten Denkmälern?

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Mehrere steinerne Statuen von Königen und Reformern stehen aufgereiht nebeneinander und bilden ein Ensemble.
Die preußischen Könige Wilhelm I., Friedrich Wilhelm IV., Friedrich Wihelm III. und der Reformer Karl Freiherr vom und zum Stein, sowie unten links Alexander von Humboldt und der Bildhauer Christian Daniel Rauch haben in der Zitadelle Platz gefunden. © Deutschlandradio / Sebastian Engelbrecht
Von Sebastian Engelbrecht · 19.06.2020
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Weltweit entlädt sich derzeit die Wut über rassistische Akte an Denkmälern zur Kolonialherrschaft. Während an vielen Orten historische Personen gewaltsam vom Sockel gestoßen werden, holt die Berliner Zitadelle sie herunter, um sie erfahrbar zu machen.
In Großbritannien, Belgien und den USA entlud sich in den vergangenen Wochen der Zorn antirassistischer Aktivistinnen und Aktivisten an Statuen von Kolonialherren, Kolonialoffizieren und Sklavenhändlern. Und was ist in Deutschland los? Es herrscht Ruhe, vielleicht auch deshalb, weil die deutsche Kolonialgeschichte kürzer und weniger prägend war. Aber auch in Deutschland wurden in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Denkmale gestürzt. Das zeigt die Dauerausstellung "enthüllt" in der Berliner Zitadelle, die nun unter neuen Vorzeichen steht.

"Proviantmagazin" voller Geschichte

In einem Lagerhaus der preußischen Armee in der Berliner Zitadelle, dem sogenannten "Proviantmagazin", stehen politischen Denkmäler Berlins, die nicht mehr ins Bild passen – in das Selbstverständnis von Staat, Gesellschaft und vorherrschenden Ideologien. Soundinstallationen begleiten die Besuchenden beim Gang durch die Dauerausstellung, die 2016 eröffnete. Die wichtigsten Stücke sind die Statuen der preußischen Könige, Kurfürsten und ihrer Vorläufer. Sie standen bis 1945 im Berliner Tiergarten - bis die Siegermächte sie abbauen ließen.
Für Urte Evert, Leiterin des Museums in der Berliner Zitadelle, war das ein für Berlin typischer Denkmalsturz: "Das war ein Denkmalsturz durch die Alliierten. Ich glaube, das muss ich auch noch einmal betonen, dass es bei uns eben nicht diese Denkmalstürze gibt, also im 20./21. Jahrhundert, wie sie jetzt gerade in Großbritannien, Belgien oder den USA stattfinden." Es sei immer alles einen korrekten Weg gegangen. Und damit meint sie 'korrekt' in Anführungsstrichen, denn das jeweilige Regime habe die Standbilder, die ihm nicht passten, abgebaut, so Evert.

Muss die Siegessäule weg?

Kaiser Wilhelm II. ließ die "Siegesallee" mit 32 überlebensgroßen Herrscherstandbildern errichten, die von einer halbrunden Bank und je zwei Büsten bedeutender Männer der Zeit umgeben waren. Sie lief auf die Siegessäule zu, die bis heute steht. Könnte sie heute einem Denkmalsturm zum Opfer fallen, das Sinnbild der preußischen Siege über Frankreich, Dänemark und Österreich, gebildet aus Kanonen der einstigen Feinde?
Blick in den Ausstellungssaal mit einer Statue von Albrecht, dem Bären (1134-1170), Anführer des Wenden-Kreuzzuges von 1147. Er christianisierte die späteren preußischen Gebiete der Hohenzollern.
Albrecht der Bär (1134-1170), Anführer des Wenden-Kreuzzuges von 1147, christianisierte die späteren preußischen Gebiete der Hohenzollern.© Deutschlandradio / Sebastian Engelbrecht
"Abgerissen werden muss es nicht mehr", sagte Urte Evert. "Ich denke, diejenigen, die es betrifft, also Frankreich zum Beispiel, was sich dadurch gedemütigt fühlen könnte, oder Dänemark nichts dagegen haben, dass das dort steht und dass sie sich das als Touristen selber auch wieder aneignen können." Es abzureißen, einfach nur weil es ein kriegerisches Symbol ist, derer wir viele haben, wäre aus Everts Sicht auch "tatsächlich total kontraproduktiv." Zornige Volksmengen, die in aller Öffentlichkeit Denkmale niederreißen, habe es in Berlin nie gegeben, sagt sie. Die Berliner stürzten nicht. "Es gab ganz brav Anträge beim Bezirksamt und beim Senat."

Mit Denkmälern auseinandersetzen

Auch der zwölf Meter hohe Lenin im Bezirk Friedrichshain stand, bis das Bezirksparlament 1991 den Abbau beschloss. Ein Eilantrag der CDU führte zum geordneten Abbau. "Anstatt ehemalige DDR-Bürger die Möglichkeit gehabt hätten, sich mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen, ist ihre Geschichte einfach abgerissen worden", so Urte Evert. Das finde sie höchst problematisch.
Museumsleiterin Urte Evert steht neben dem liegenden steinernen Lenin-Kopf.
Museumsleiterin Urte Evert steht neben dem liegenden Lenin-Kopf. Sie beklagt, dass den ehemaligen DDR-Bürgern durch den Abriss die Auseinandersetzung verwehrt wurde.© Deutschlandradio / Sebastian Engelbrecht
Lenin landete weit draußen im Berliner Südosten, wurde dort vergraben, bis sein Kopf 2015 für die Ausstellung wieder ausgebuddelt wurde. Dort liegt nun zumindest sein Kopf auf der Seite, umgeben von zwei DDR-Grenzposten aus Bronze und einer Stele mit Worten von SED-Parteichef Erich Honecker.
Nur ein Denkmal findet sich in der Ausstellung, dessen Abbau vielleicht doch als Sturz bezeichnet werden könnte. In Berlin-Zehlendorf stand seit 1933 ein dreieinhalb Tonnen schwerer Granitstein. Er zeigt ein germanisches Macht-Sinnbild, den Weltenbaum der "Irminsul". Noch bevor die Rote Armee 1945 Berlin eroberte, rissen Zehlendorfer Bürger den Trumm nieder und vergruben ihn.

Geschichte fühlbar machen

Von den heutigen Denkmalstürzen hält Urte Evert als Historikerin wenig. Als Mensch hat die Museumsleiterin Verständnis für die antikolonialistischen Bilderstürmer, die jetzt Diskussionen angeregt haben. Sie habe den Eindruck, dass das erst jetzt möglich sei. "Weil erst durch die Wut, die sich an Statuen und eben nicht an Menschen, ausgelassen hat, diese Menschen überhaupt gehört und auch ernst genommen werden."
In der Zitadelle darf niemand ungeliebte Denkmale umstoßen, mindestens aber dies: "Außerhalb von Corona-Zeiten darf man die auch alle anfassen. Dafür haben wir sie vom Sockel geholt", erklärt die Museumsleiterin.
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