Vom Raubtier zum Teddy

Rezensiert von Susanne Billig · 14.02.2006
Schon vor 70.000 Jahren gab es in Europa Bären-Kulte. Wie der Mensch auf den Bär kam, was der Bär symbolisch verkörperte und wie aus einem nicht ganz ungefährlichen Raubtier ein Teddy und Kinderspielzeug werden konnte, erklärt Bernd Brunner in seinem Buch "Eine kurze Geschichte der Bären".
Bären sind die größten Landraubtiere unserer Zeit. Obwohl sie dem Menschen gefährlich werden können, faszinierten sie ihn schon immer. Eine Geschichte des Bären ist deshalb auch eine Geschichte des Menschen.

Bärenkulte gab es in Europa schon vor mindestens 70.000 Jahren. In der griechischen Mythologie war Ursa Major, die große Bärin, eine Inkarnation der Göttin Artemis oder Kallisto, die als Wächterin des Polarsterns und der Weltachse galt. Der kindliche Zeus wurde auf Kreta von zwei Bärinnen ernährt. Für viele Indianerstämme ist der Bär heilig, und die "Berserker" waren eine germanische Kriegerkaste: Ein Hemd aus Bärenhaut, die "ber sark", verlieh ihnen die Kraft und den Mut einer Bärin, die um ihre Jungen kämpft.

Warum es so viele Mythen um Bären gibt, wie und warum der Mensch den Bären einerseits gefürchtet, andererseits gezähmt hat, das erzählt Bernd Brunner in seinem kulturhistorischen Streifzug durch die Bärengeschichte. 20 Kapitel widmet er dem Thema – fast auf jeder Seite gibt es Bärenbilder aus der Kunstgeschichte und Fotografien zu betrachten, die meisten davon in Farbe. Obwohl er auch einige naturwissenschaftliche Themen streift, geht es Brunner in erster Linie um die kulturgeschichtlichen Aspekte – um das Verhältnis des Menschen zum Bären.

Man kann davon ausgehen, dass das Ursprungsempfinden des Menschen gegenüber Bären schlicht in Furcht bestand: Die Bären waren da, wo Menschen auch hin wollten - in den Höhlen, in den Wäldern, wo es Schutz und Nahrung gab. Sie griffen an, waren groß und stark, umso schwieriger war es, an ihr Fell und ihr Fleisch zu gelangen. Wie lässt sich nun erklären, dass der Bär für den Menschen eine besondere Faszination besitzt? Bernd Brunner liefert die interessante Erklärung: Bevor man im Norden Europas den Affen kannte, war der Bär das Tier, das dem Menschen am ähnlichsten sah. Der Bär richtet sich auf und geht dann auf zwei Beinen – das erschien den Menschen als erstaunliche Ähnlichkeit. Der Bär ernährt sich – wie der Mensch – von Beeren, Wurzeln, Kleintieren und hat darüber hinaus eine Vorliebe für Süßigkeiten. Deshalb, so berichtet Bernd Brunner, gingen die Menschen früher davon aus, dass Mensch und Bär nah miteinander verwandt sein müssen. Die Cree Indianer nannten den Bär "Vierbeiniger Mensch". Die Samen in Nordskandinavien sprechen von dem "alten Mann mit dem Pelzgewand". Man hat übrigens auch lange geglaubt, Bären würden sich sexuell wie Menschen begegnen - in der Missionarstellung. Das aber ist biologisch nicht haltbar.

Erst ab dem 17. Jahrhundert haben Affen den Bären in seiner Rolle als angeblich "nahester Verwandter des Menschen" verdrängt, weil die aufkommende Wissenschaft mehr und mehr über die genetischen Zusammenhänge entdeckte.

Auch der Winterschlaf hat, meint Brunner, dazu beigetragen, Bären ins Reich der Mythen zu heben. Bären verschwinden im Winter und tauchen im Frühling plötzlich wieder auf. Unsere Vorfahren haben wild spekuliert, was diesem Phänomen stecken könnte. Heute weiß man, dass Bären keinen Winterschlaf, wohl aber eine Winterruhe einhalten - mit verringerter Körpertemperatur und niedrigerer Herzschlagfrequenz. Sie suchen dazu hohle Baumstämme auf oder liegen in Erd- oder Steinhöhlen. Man hat aber auch schon einen Bären im Gipfel einer Weißtanne gefunden. Während der Winterruhe bauen die Tiere kaum Muskelfleisch und Knochen ab. Medizinforscher erhoffen sich heute daraus Erkenntnisse, die in Therapien gegen Knochen- und Muskelschwund einfließen könnten.

Das Verhältnis zwischen Mensch und Bär war nicht nur von Faszination geprägt, sondern auch von Grausamkeit. Unter dem Strich, so sagt Brunner, haben die Bären durch den Menschen sicherlich mehr gelitten als umgekehrt. In den römischen Legionen gab es die speziell ausgebildeten "ursarii". Dieses Spezial-Soldaten haben in Germanien Bären mit Netzen und Fallgruben eingefangen massenhaft nach Rom transportiert. Dort, so erzählt Brunner, wurden die Tiere dann zu Tausenden in Zirkusspielen getötet. Die Bärenhatz, also die öffentliche Tötung von Bären, war bis in die frühe Neuzeit hinein eine beliebte Vergnügungsveranstaltung. Brunner berichtet an einer Stelle mit hörbarem Schaudern von der wohl "erfolgreichsten" Bärenjägerin aller Zeiten: Elisaweta Butina aus Waldiwostok, die im Sommer 1937, zu ihrem 83. Geburtstag mit dem Titel "Große Jägerin" ausgezeichnet wurde. Kurz zuvor soll die rüstige Dame ihren 1000. Bär erlegt haben. Besonders erstaunlich an ihrer Geschichte ist, dass sie erst als 70-Jährige mit der Bärenjagd angefangen haben soll. Da fühlte sie sich mit einem Mal von den Tieren auf ihrem kleinen Gehöft bedroht und machte es sich fortan zur Lebensaufgabe, täglich in den Wäldern umherzustreifen und Bären den Garaus zu machen. Sie ließ es sich auch nicht nehmen, ihnen eigenhändig das Fell abzuziehen. Auch der traurigen Existenz der Tanzbären widmet Bernd Brunner ein Kapitel. Gefangene und abgerichtete Bären waren in Europa als Tanzbären bis in das 20. Jahrhundert hinein eine Jahrmarktsattraktion. Erst seit etwa einem halben Jahrhundert greifen hier Tierschutzgesetze und haben diese zweifelhafte "Attraktion" von den Straßen verschwinden lassen.

Wie konnte aus dem kaum zähmbaren, gefährlichen Raubtier ein "Kuschelbär" werden? Dieses Bild, erklärt Brunner, ist erst entstanden, als der Bär aus unseren Wäldern fast verschwunden war. Überlebt hat der Bär in Deutschland nur im Kinderzimmer. Der Mensch hat dem Tier längst seine natürlichen Rückzugsgebiete geraubt - unsere Städte werden immer größer und wir zersiedeln die Natur mit Straßennetzen und Einfamilienhäusern. Für den Bären ist in Europa kaum noch Platz, und der Kontakt zwischen Mensch und Bär findet heute nur noch im Zoo statt. Die Vorstellung vom Bär als Kuscheltier ist, sagt Bernd Brunner, eigentlich absurd und denkbar realitätsfern. Der Legende nach bekam der Teddy seinen Namen durch Theodore "Teddy" Roosevelt, den 26. US-Präsidenten, der ein leidenschaftlicher Bärenjäger war. 1902 soll er auf einer Jagd ein Bärenbaby vor den Flinten seiner Jagdgenossen beschützt haben – diese Anwandlung von Tierliebe wurde von einem Karikaturisten der Washington Post in einem Bildchen festgehalten. Daraufhin avancierte der kleine Bär zur Symbolfigur des Präsidenten, die ersten Stoffbären wurden entworfen - und auf den "Teddy" getauft, den Spitznamen des Präsidenten.

So unterhaltsam und lehrreich Brunners Buch daherkommt - manchmal wirkt es leider ein wenig wie ein Sammelsurium. Oft reißt Brunner seine Themen nur an – und wenn man sich wünscht, mehr zu erfahren, hört das Kapitel auch schon wieder auf. Weniger wäre mehr gewesen – Brunner hätte zum Beispiel auf die naturwissenschaftliche Seite ganz verzichten können – das kann man an anderer Stelle auch nachlesen. Stattdessen hätte er seine Stärke – die kulturwissenschaftlichen Exkurse – ausspielen und hier mehr in die Tiefe gehen können. Aber das Buch hält genau das, was der Titel verspricht: "Eine kurze Geschichte des Bären". Im Fazit hat Bernd Brunner ein unterhaltsames und facettenreiches Buch geschrieben, das mit seiner einfacher, humorvollen Sprache und vielen, schönen Abbildungen erfreut.

Bernd Brunner: Eine kurze Geschichte der Bären
Claassen Verlag
16 Euro