Vom Mechaniker zum Schriftsteller

Von Kim Kindermann · 14.09.2009
In der DDR musste sich Klaus Kordon der "Berufslenkung" beugen und wurde zum Mechaniker ausgebildet. Er floh in den Westen und brauchte noch Jahre, bis er seiner Liebe zur Schriftstellerei nachzugeben wagte.
"Man muss wissen, dass meine Mutter eine Kneipe hatte am Prenzlauer Berg und die hatte den schönen Namen ‚Zum ersten Ehestandsschoppen’, weil gegenüber das Standesamt war und ist und da bin ich aufgewachsen. Nach dem Krieg, in der Trümmerlandschaft Berlin, die Mutter hat die Kneipe durchbringen müssen, aber wir mussten nicht hungern."

Nichts hat Klaus Kordon mehr geprägt als seine Kindheit im Berlin der Nachkriegsjahre. Schwierig war sie. Voller Verluste. Voller Ängste und Entbehrungen. 1943 kam er als jüngster dreier Söhne in Berlin-Pankow auf die Welt. Seinen Vater lernte er nie kennen. Er fiel, als Klaus Kordon noch ein Baby war. Der Prenzlauer Berg und der angrenzende Wedding werden zur Heimat dieses Jungen, der mit abgöttischer Liebe an seinem Bruder Wolfgang hängt.

Bestimmt hat diese Kindheit auch der ungeliebter Stiefvater.

"Ich bin praktisch mit meiner Mutter und diesem Mann alleine geblieben und als meine Mutter starb, da war ich dreizehn, na ja da habe ich noch eine Zeitlang bei dem Mann gelebt und bin dann ins Kinder- und Jugendheim gekommen."
Da war sein Bruder Wolfgang schon tot. Gestorben ist er an einem Milzabriss bei einem Fußballturnier. Für Klaus Kordon bricht eine Welt zusammen. Bis heute ist er mit dem Verlust nicht fertig geworden.

"Ich war sieben Jahre alt, als mein Bruder starb, er war 14 und für mich der große Held, der toll Fußball spielen kann, der mit dem schwierigen Stiefvater sich auch Kämpfe liefert und der auch im Bierkeller die Fässer ansteckt, die man als siebenjähriger doch bewundert. Und ich bin als Kind schon lange nicht damit fertig geworden, habe mir eingebildet, den gibt es noch irgendwo, über den Wolken oder so und er gibt mir Signale."

Es folgen Jahre in DDR Kinder- und Jugendheimen, in denen Klaus Kordon mit militärischen Drill zum überzeugten Sozialisten gemacht werden soll. Zum dienenden Staatsbürger.

"Diese Kindheit und Jugend, die hat einem schon etwas mit gegeben und ich habe ja auch deshalb bei meinem schreiben solche Problem aufgegriffen, weil ich das miterlebt habe und ich sage immer, eine schwierige Kindheit, die kann man nicht so leicht wegstecken, wie heile Kindheit, nicht, also das prägt einen und man kann sich immer noch eher hineinversetzen in Kinder und Jugendliche, die ähnliche Erfahrungen heute machen."

Geschichte in Geschichten erzählen, das ist Klaus Kordons Spezialität. Das merkt man schnell, wenn man ihm begegnet. Alles ist verpackt. Das hat Sogwirkung: Klaus Kordon ist der geborene Erzähler. Man hört ihm gern zu. Seine Bücher haben Kultstaus. Und immer stehen junge Protagonisten im Mittelpunkt, die sich durchs Leben schlagen müssen. Ganz so wie eben der Schriftsteller selbst.

Zum Schreiben kam er spät, über Umwege und dass, obwohl es ihn schon immer zum Papier, zum Buch gezogen hat. Aber in der DDR brauchte man Maurer, Dreher oder Mechaniker. Letzteres lernt Kordon. Beim DDR-Rundfunk, doch bricht er die Lehre schnell ab, jobbt lieber als Fahrer und holt an der Abendschule das Abitur nach, um anschließend Volkswirtschaft zu studieren. Doch je weiter sein Horizont wird, umso enger wird die DDR für ihn und seine Frau, seine Jugendliebe.

"Wir waren zwei alleingelassene und haben schnell geheiratet, schnell ein Kind da, unsere Tochter, vier Jahre später noch ein Sohn dazu, Wir haben uns gesucht und gefunden."

1972 wagen die Kordons gemeinsam mit ihren beiden Kindern, der damals neunjährigen Karen und dem sechsjährigen Frank, die Flucht – und werden verhaftet. Drei Jahre Gefängnis lautet das Urteil, die Kinder kommen ins Heim. 1973 kauft die BRD die Familie frei, doch noch ein Jahr vergeht bis auch die Kinder freikommen.

"Wir haben das ja nicht freiwillig gemacht, Fluchtversuch das klingt immer so. Man hat uns ja vertrieben, denn Menschen die ihre Meinung sagen wollten, die hat man in diesem Staat drangsaliert und deshalb musste man gehen, wenn ich nicht hätte Alkoholiker werden wollen oder meine Frau an Depressionen zugrunde gehen sollte. Also, wir mussten gehen."

Denn erst im Westen, nach ihrer Flucht lebt die Familie 15 Jahre im Rhein-Main-Gebiet, traut sich Klaus Kordon seiner Liebe zur Schriftstellerei nachzugeben.

"Dann habe ich als Exportkaufmann ein Erlebnis gehabt, Zufall gewesen, dass dieses Erlebnis mich zum Schreiben gebracht hat. Es hätte auch etwas anderes sein können, aber es war doch bezeichnend. Ich war in Jakarta und da lief mir ein junger Bettler über den Weg und er hat mir erzählt von seiner Schwester, die an Unterernährung starb und von seinem Bruder, der aus Armut zum Verbrecher wurde. Die Geschichte hat mich nicht los gelassen und ich habe immer gedacht, dass müsste man mal aufschreiben."
"Takadi" erscheint 1977 und bildet nur den Anfang. Über 50 Bücher hat Klaus Kordon seitdem geschrieben. Lange und kurze. Solche zum Nachdenken, zum Weinen und zum Mutmachen. Geschichten, die etwas über die Welt erzählen, sie begreifbarerer machen und die diesem lebhaften und überaus sympathischen Autor zahlreiche Preise wie etwa den Deutschen Jugendliteraturpreis eingebracht haben.

Doch trotz Erfolg ist Klaus Kordon, der seit 1991 wieder in Berlin lebt, bescheiden geblieben – auch was die Technik angeht: Seine Bücher schreibt er alle mit der Hand. Auch wieder so eine Geschichte.