Vom Klang der Tropen

Von Burkhard Birke und Kersten Knipp · 12.01.2008
Rhythmen, die keine Schwere kennen, Melodien von wunderbarer Leichtigkeit: Die Musik der Karibik gehört zu den anmutigsten Klangwelten überhaupt. Ob Salsa, Rumba oder Merengue, längst haben die betörenden Lieder und Tänze aus den tropischen Gefilden ihr internationales Publikum gefunden.
Erstaunlich ist das nicht - schließlich ist die Musik selbst ein internationales Produkt: Seit die spanischen Eroberer im 15., 16. Jahrhundert zur Eroberung Mittel- und Südamerikas ansetzten, wurde die Region zu einem Schmelztiegel der unterschiedlichsten Formen und Stile.

Die europäische Musik trifft auf die der afrikanischen Sklaven, und beide vermischen sich mit der der indianischen Ureinwohner. Endgültig aber entwickelt sich der neue Stil erst im 19. Jahrhundert, als nach der Abschaffung der Sklaverei auch die musikalischen Freiheiten durchbrechen.

Nie gehörte Rhythmen steigen in den Himmel, Harmonien, an die in der Alten Welt niemand auch nur zu denken wagte. Mal wild, mal sinnlich, mal romantisch präsentiert sich die neue Musik, und sie spannt einen gewaltigen Bogen weit über die Staatengrenzen hinweg.

Die Großen und die Kleinen Antillen sind darum Stationen dieser Reise, Kolumbien und Venezuela, Mexiko und New York, wo die karibische Musik längst ihr neues Zentrum hat. Alte Lieder sind zu hören und neue, zarter Boleroschmelz ebenso wie HipHop aus Havanna. Die Tropen singen, und das Herz schlägt schneller. Hasta la música siempre!

Emeline Michel: She is the reigning Queen of Haitian Song. A captivating performer, versatile vocalist and one of the premier Haitian songwriters of her generation. Weiterlesen (Französisch und Englisch): Emeline Michel

Machel Montano is a young Trinidadian who is edging his name among the elite in the music industry. Weiterlesen (Englisch): Machel Montano

Gentleman hat wirklich allen Grund, sein neues Album "Confidence" zu nennen und voller Zuversicht in die Zukunft zu blicken. Was in den letzten zwei Jahren passiert ist, hat alle Erwartungen, die der Reggaekünstler aus Köln mit seinem letzten Studioalbum "Journey To Jah" gehegt hatte, weit übertroffen. Weiterlesen: Gentleman

Ausschnitt aus dem Manuskript: Musik im Gepäck Kolumbus entdeckt Amerika.

Chan Chan, eine ausgelassene Musik, und doch auch eine leicht melancholische. Eine Melancholie, die vielleicht eine des Alters ist, der späten Tage, die für die Musiker des "Buena Vista Social Clubs" so unerwartet turbulent und ihnen damit doppelt teuer wurden. Vielleicht aber auch die Melancholie der Geschichte, eine Melancholie, die heraufzieht aus den Tiefen der Zeit, jenen Jahren, als Kuba und die übrigen Karibikinseln lernen mussten, was es heißt, an der Weltgeschichte teilzuhaben.

Diese Weltgeschichte beginnt für die Karibik 1492. In diesem Jahr tut Spanien einen gewaltigen Sprung in Richtung Weltmacht. Und diese Macht basiert zu großen Teilen auf dem Geist des Krieges: Soeben hat das Land mit der Rückeroberung von Granada die letzten Reste der 800-jährigen islamischen Invasion abgeschüttelt; ebenfalls hat es seine jüdischen Untertanen vertrieben, fleißige Bürger allesamt, die durch ihren Wohlstand den Neid ihrer christlichen Mitbürger erregten. Raus mit den Juden, verlangten die christlichen Spanier von ihren Herrschern, und die gaben nach. Zugleich schickten sie sich an, nach neuen Territorien zu greifen. Der Seefahrer Christoph Kolumbus steht in ihren Diensten und setzt in jenem Jahr 1492 an zum Sprung in die Neue Welt. Die ist betörend schön, und selbst er, der nüchterne Seefahrer und Kartograph, kann ihrer Schönheit kaum entziehen. In einem Brief an den spanischen Königshof beschreibt er die Schönheit von "La Hispaniola", jener Insel, die sich heute Haiti und die Dominikanische Republik teilen.

" Die "Spanische Insel" ist ein wahres Naturwunder: ihre zahlreichen Gebirge, weiten, ebenen und fruchtbaren Landschaften eignen sich in hervorragender Weise zur Anlage von Pflanzungen, zur Viehzucht und zur Errichtung von Städten und Ortschaften. Von der Schönheit der natürlichen Seehäfen kann man sich kein rechtes Bild machen, wenn man sie nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Die Flüsse sind äußerst zahlreich, sehr breit und viele von ihnen sind sehr goldhaltig. (…) Die Bewohner dieser Insel sind genauso wie jene aller anderen Inseln, die ich entdeckt und worüber ich Kunde erhalten habe, ohne Unterschied des Geschlechts vollkommen nackt, wie Gott sie erschaffen: einige Frauen bedecken einen einzigen Körperteil mit einem Blatt oder einem Wollstück, den sie zu diesem Zwecke selbst verfertigen. (…) Sie huldigen weder einer Sekte noch einem Götzendienst. Doch sie waren alle vom Glauben durchdrungen, dass alle Macht und alles Gute vom Himmel kommt. So waren sie auch felsenfest davon überzeugt, dass ich samt meinen Schiffen und all meinen Leuten vom Himmel herabgestiegen sei."

Kolumbus ist beeindruckt. Aber nicht überwältigt. Denn er kommt nicht als Besucher. Er kommt als Späher der späteren Eroberer. So nimmt er die Demut der Indianer mit dem kühlen Gleichmut des Strategen zur Kenntnis, der ahnt, welche große strategische Chance der religiöse Aberglaube den Entdeckern eröffnet.

Indirekt deutet sich die spätere Landnahme in diesem Brief schon an. Gut möglich also, dass die Melancholie mancher karibischen Melodie hierin ihren Ursprung hat: in dem Bewusstsein, über Jahrhunderte ein Spielball fremder Mächte gewesen zu sein. Denn vor allem war die so genannte "Entdeckung" Amerikas ein gewaltiger Eroberungszug. Um Gold und Reichtum ging es den Konquistadoren, und der kühle Blick, den sie auf die Neue Welt werfen, spricht auch schon aus den Aufzeichnungen des Americo Vespucci, der 1503 seinen berühmten Brief über den "Novus Mundus", "Die Neue Welt", verfasst.

"Was nun die Völker angeht: Wir haben in diesen Ländern eine solche Menge vorgefunden, dass niemand sie aufzählen könnte wie wir in der Apokalypse lesen. Es sind sanfte, umgängliche Menschen; alle, Männer und Frauen, gehen nackt und bedecken ihren Körper an keiner Stelle, und so gehen sie bis zum Tod. (…) Sie sind beim Gehen gewandt und haben einen raschen Blick. Sie haben in ihrer Gesichtsbildung einen freien, hübschen Ausdruck, den sie allerdings selbst zerstören, indem sie die Nasenlöcher und Lippen, die Nase und Ohren durchbohren. (…) Das Land ist sehr fruchtbar, besitzt zahlreiche Hügel, Berge, Täler und große Flüsse und wird von vielen erfrischenden Quellen bewässert. (…) Große Bäume wachsen, ohne dass man sich um sie kümmert. Sie tragen viele wohlschmeckende und für den menschlichen Körper nahrhafte Früchte. (…) Kein Metall außer Gold wurde jedoch gefunden. Darin hat das Land Überfluss, wenn wir auch bei dieser unserer ersten Fahrt keines mitgebracht haben. Die Eingeborenen versicherten uns jedoch, dass unter der Erde eine ungeheure Menge lagere."

Mit der Ankunft der Entdecker haben die Karibik und Südamerika die unschuldigen Jahre hinter sich. Nun bricht die Zeit des großen Plünderns an, die Zeit von Tod, Gefangenschaft und Versklavung. Und doch, der Süden der Welt verliert nicht nur – er gewinnt auch. Er verändert sich, sieht sich dem Geist des Handelns und Wirtschaftens ausgesetzt, den er nach und nach übernehmen wird. Und er macht die Bekanntschaft einer neuen Kultur. Der Literatur, der Kunst und der Musik. Erst klingt die Musik des Militärs und der Geistlichkeit durch die Neue Welt. Doch dann entspannt sie sich. Wird lockerer, gewinnt an Fahrt. Und fließt schließlich so sanft, so zügig und geschmeidig, dass sie nun ihrerseits die Welt erobert.

Weitere Links:

Juan Luis Guerra

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Music of Puerto Rico

Ausschnitt aus dem Manuskript: Die Entwicklung europäischer Instrumente in der Neuen Welt: die Tres

Der Kontertanz kennt würdige Figurationen. Gemessenen Schrittes bewegen sich die Tänzer übers Parkett, sei es allein, sei es paarweise, sei es in größeren Gruppen. Schön und achtbar ist das anzuschauen, vielleicht aber auch ein wenig langweilig.

Als langweilig empfanden den Kontertanz jedenfalls die spanischstämmigen Bauern von Barbacoa, Guantanamo und Manzanillo, die ihn darum mit afrikanischen Rhythmen ein wenig auf Trab brachten. "Danzón" nannte man diese Art des beschleunigten Kontertanzes, aus dem dann, Ende des 19. Jahrhunderts, der Son entstand. Der war noch ein wenig schneller und klang noch ein bisschen karibisch-afrikanischer. Nené Manfugás soll der Musiker geheißen haben, der 1882 im Karneval von Santiago de Cuba den ersten Son auf die Bühne brachte. Manfugás spielte den Tres, eine Gitarre mit drei doppelten Stahlsaiten.

Zum Rhythmus des Son wird gelegentlich auch heute noch getanzt, und der Tres gibt immer noch den Takt an. Und der große Interpret des heutigen Tres heißt Pancho Amat. 1950 in Guira de Melena im Westen Havannas geboren, führt Pancho Amat die Tradition des Tres fort – oder eher die des Sons? Schwer zu sagen, denn Tres, meint Amat, ist Son. Und Son ist Tres.

Einspielung Pancho Amat: El tres es el cordófono nacional

" Der Tres ist das nationale Saiteninstrument von Kuba. Und es wurde zusammen mit dem Son geboren. Als der Son zur Welt kam, gab es einige Perkussionsinstrumente wie die Bongola oder die Maragda, aber das einzige Instrument, das melodische Töne, eine Melodie, hervorbrachte, war der Tres. Wenn es den Tres nicht gegeben hätte, hätte es auch den Son nicht gegeben. Und umgekehrt. Seit durchlief das Tres kleinere technische Veränderungen, aber seine gesamte Geschichte hindurch ist es in seiner Bauweise der Struktur jener Instrumente treu geblieben, die aus Europa, vor allem aus Spanien nach Kuba gebracht wurden: der Bandurria, der Laute, der Gitarre. "

Doch in der Hitze der Tropen hat kaum etwas Bestand – vor allem das europäische Erbe nicht. Es wurde unterwandert von den Rhythmen der afrikanischen Sklaven. Getrieben vom Druck der Trommeln, brachten sie auch den Tres in Schwung – so das es am Ende schließlich europäisch und doch nicht europäisch klang.

Einspielung Pancho Amat: Pero su lenguaje recuerda más el lenguaje ritmatico

" Die Sprache des Tres erinnert an die Rhythmen die unsere afrikanischen Vorfahren auf die Insel brachten. Und wenn du genau auf die Spielweise des Tres achtest, wenn du genau hinschaust, stellst du fest, dass das es den europäischen Instrumenten zwar treu geblieben ist, dass aber trotzdem etwas anderes dabei herauskommt. Es entstammt eben aus dem karibischen Schmelztiegel, aus dem ein neuer Klang entstand. "

Ohne diesen Klang wäre der Son nicht der Son. Außer dem Tres braucht eine ordentliche Son-Gruppe zwar auch ein paar andere Instrumente. Die Gitarre etwa; und die Maracas, die alten, noch aus vorkolumbianischer Zeit stammenden Rasseln; die Botija, eine voluminöse Keramikflasche, in die der Musiker kraftvoll einige Silben stößt; und die Bongos, das auch in Deutschland bekannte Trommelpaar. Vor allem aber, meint Pancho Amat, braucht es den Tres. Denn er ist das geheime Zentrum des Sons. Man kann ihn zwar weglassen – doch durch die Hintertür schleicht er sich wieder in die Musik herein.

Einspielung Pancho Amat: Y el tres lo que representa en su sonoridad es la puesta en práctica de un elemento

" Die Spielweise des Tres steht für eine kubanische Tanzmusik, die wir den "Tumbao" nennen. Es ist eine Melodie, die zu einem bestimmten Rhythmus eine Harmonie hervorruft, die sich immer nach den Akkorden deiner Begleiter richtet. Diese Melodie hat also einen rhythmischen Effekt, den wir "Tumbao" nennen. Es gibt Gruppen, die statt des Tres ein Klavier einsetzen. Wenn das Klavier aber einen Son spielen will, muss es das gleiche machen wie der Tres: einen Tumbao spielen. Damit ein Son erklingt, muss es in der gleichen musikalischen Sprache wie der Tres spielen. "

Musik ist eine Beruf. Und der Tres ist es auch. Hätte Pancho Amat etwas andere werden können als Musiker? Wohl kaum. Ökonomische Umstände zwangen ihn zwar zu einem Universitätsstudium, das in eine Dozentenkarriere führen sollte. Doch die Musik ließ ihn nicht los. So ließ missachtete der Musiker die akademische Berufung, lauschte der inneren Stimme – und widmete sich wieder dem Tres, nun endgültig und für alle Zeiten auf professioneller Ebene. Dass es so und nicht anders kommen würde – das wusste Pancho Amat aber eigentlich von Anfang an.

Einspielung Pancho Amat: Pues de nino tenía inclinación por la musica

"Schon als Kind hatte ich eine Neigung für die Musik, und als ich sieben oder acht Jahre alt war – ich weiß es gar nicht mehr so genau – schenkte mein Vater mir einen Tres. Es war ein Weihnachtsgeschenk. Es sollte so eine Art Spielzeug sein, und mein Vater wusste gar nicht, was er mir da in die Hände legte. Und ich wusste es auch nicht: Es war meine Zukunft. "

Bibliographie:

Birkenstock, Arne, Eduardo Blumenstock
Salsa, Samba, Santería. Lateinamerikanische Musik
München, 2002, DTV.

Eßer, Torsten, Patrick Fröhlicher
Alles in meinem Dasein ist Musik. Kubanische Musik von Rumba bis Techno
Frankfurt a. M. , Vervuert Verlag, 2004.

Galan, Natalio
Cuba y sus sones
Valencia, Edición Pre-textos, 1997.

Morales, Ed
The Latin Beat. The Rythms and Roots pod Latin Music from Bossa Nova to Salsa and beyond
London, Cambridge, Da Capo Press, 2003.

Roy, Maya
Buena Vista. Die Musk Kubas
Heidelberg, 2000, Palmyra Verlag.
Sänger Machel Montano in Port-of-Spain, Trinidad
Sänger Machel Montano in Port-of-Spain, Trinidad© AP Archiv