Vom Gehen und Loslassen

Wenn Kinder ausziehen

Eine junge Frau sitzt mit einem Laptop und einer Tasse Kaffee bei ihren Umzugskisten.
Kinder und Eltern als freundschaftliche Partner: Beim Auszug kann das zum Problem werden. © imago / Westend61
Gerlinde Unverzagt und Claus Koch im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 18.03.2017
Auch wenn sie selbst erwachsen werden, begreifen viele ihre eigenen Eltern als wichtige Bezugspersonen. Versuchen die Kinder, trotz aller Gemeinsamkeit, sich abzunabeln, fühlen sich Mama und Papa regelrecht verlassen. Wie sollte man damit umgehen?
Noch nie zuvor war das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern so entspannt wie heute: Die harten Generationenkonflikte, das Rebellieren und sich Abgrenzen-Müssen von den Älteren scheinen passé. Kinder werden partnerschaftlicher erzogen, Eltern erscheinen mehr als Kumpel oder Vertraute, mit denen die Kinder vieles teilen, was noch eine Generation zuvor undenkbar gewesen wäre. Umso schwerer tun sich viele mit dem gegenseitigen Abnabeln. Das zeigt sich spätestens, wenn die Kinder von zu Hause weggehen.

"Was ist da los in der Generation 45plus und ihren Kindern?", fragt Gerlinde Unverzagt in ihrem neuen Buch "Generation ziemlich beste Freunde".

Zwischen Überfürsorge und Ängstlichkeit?

Die Journalistin, geboren 1960, ist alleinerziehende Mutter von vier Kindern im Alter zwischen 19 und 27 Jahren und Autorin zahlreicher Ratgeber und Sachbücher zu Erziehung, Familie und Partnerschaft. In dem neuen Buch schildert sie nicht nur ihre eigenen Erfahrungen und lässt andere Eltern und Experten zu Wort kommen:
- Warum fühlen sich manche Eltern geradezu verlassen von ihren Kindern?
- Was bedeutet es, dass beide Seiten auch über Tausende von Kilometern noch per Skype und WhatsApp verbunden bleiben, ja verbunden bleiben müssen?
- Welche Rolle spielen der Jugendkult und die Angst vor dem Älterwerden dabei?
- Und welchen Druck üben die Überfürsorge und Anhänglichkeit der Eltern auf die Heranwachsenden aus?

Erfrischend ehrlich ist dabei auch die Sicht der 21-jährigen Tochter Marie, die zu jedem der Kapitel der Mutter ihre Erfahrungen beigesteuert: "Eltern reden einem 20 Jahre lang ein, wie wichtig Selbstständigkeit ist. Sie bereiten einen die ganze Zeit auf den Sprung vom Zehnmeterbrett vor – und am Ende lassen viele ihr Kind nicht einmal gern auf das Einmeterbrett."
Der Psychologe Claus Koch sagt: "Die Lebensspanne zwischen 18 und 30 Jahren trifft die jungen Menschen noch viel stärker als die Pubertät." Er rät dazu, sich zurückzunehmen: "Tritt zurück, aber bleibe verbunden." Sein Buch heißt "Pubertät war erst der Vorwaschgang".
"Loslassen, aber auf der anderen Seite dem Kind das Gefühl geben: Ich bin weiter für dich da. Und die Kinder kommen lassen. Lass sie anrufen. Bloß keine Kontrolle. Aktiv eingreifen nur, wenn es gesundheitsgefährdend wird."

"Rausgehen bedeutet Entdeckerfreude"

Seine Erfahrung, auch als vierfacher Vater: "Die Lebensspanne zwischen 18 und 30 Jahren trifft die jungen Menschen noch viel stärker als die Pubertät."

Sie seien" die härtesten Lebensjahre überhaupt." In dieser Zeit entscheide sich, was tatsächlich aus einer Person wird, welchen Weg sie einschlagen wird. Und es zeige sich, was die Eltern ihnen mit auf den Weg gegeben haben. "Ob sie selbstsichere, lebenshungrige, neugierige und empathische Erwachsene werden - oder aber Menschen, die ständig an sich zweifeln."

Der Bindungsexperte ermutigt alle Beteiligten: "Rausgehen ist keine Flucht, sondern Entdeckerfreude!"
Informationen im Internet

Literaturhinweis
Gerlinde Unverzagt: "Generation ziemlich beste Freunde. Warum es heute so schwierig ist, die erwachsenen Kinder loszulassen", Beltz Verlag, 2017

Claus Koch: "Pubertät war erst der Vorwaschgang. Wie junge Menschen erwachsen werden und ihren Platz im Leben finden", Gütersloher Verlagshaus, 2016

Mehr zum Thema