Vom Fußballprofi zum Liedermacher

Von Daniel Huhn · 15.10.2012
Die Fußballkarriere von Martin Bengtsson endet bereits im Alter von 17 Jahren mit einem Selbstmordversuch im Jugendinternat von Inter Mailand. Seine Vergangenheit verarbeitet der Schwede als Buchautor und in seiner Musik: Als Waaldemar tourt er inzwischen durch Berliner Klubs.
"Dieser Song heißt Mental Hospital. Geschrieben habe ich ihn während meiner Zeit im Krankenhaus in Mailand. Und der geht so ...."

Martin Bengtsson sitzt auf einem alten Sessel in seinem kleinen Ein-Zimmer-Apartment in der Waldemaarstraße in Berlin Kreuzberg. Ein Baseballcap ziert seine schulterlangen, zerzausten Haare. Die Gitarre auf dem Schoß, die Augen geschlossen singt der 26-Jährige über die schwerste Zeit in seinem Leben – die Jahre 2002-2003, in denen er Fußballprofi bei Inter Mailand war.

"Und dann eines Morgens versuchte ich mir die Pulsadern aufzuschneiden. Als ich hinfiel hörte mich eine Putzfrau. Der Krankenwagen kam, sie brachten mich ins Krankenhaus, wo ich schließlich aufwachte."

Die Fußballkarriere von Martin Bengtsson endet bereits im Alter von 17 Jahren mit einem Selbstmordversuch im Jugendinternat von Inter Mailand. Sie beginnt Mitte der 1990er-Jahre im schwedischen Örebrö. Manisch trainiert er Tag für Tag. Immer ein Ziel vor Augen: Fußballprofi zu werden.

"Ich dachte mir, wenn du nicht trainierst, wenn du dich nicht mit dem Ball beschäftigst, dann wird alles scheitern. Das tägliche Training wurde für mich zum Fluch und zum Segen. Es machte mich einerseits mental stark, aber andererseits wurde es schmerzhaft, weil ich mich darin ganz verlor. Ich definierte mich vollkommen über meine Leistung auf dem Fußballplatz."

Die Selbstdisziplinierung bringt den gewünschten Erfolg. Nach Angeboten von den Spitzenklubs aus ganz Europa landet Martin Bengtsson bei Inter Mailand. Aus seinem Traum wird Wirklichkeit. Alles läuft perfekt bis er sich beim Training verletzt und für einige Monate nach Schweden zurückkehrt.

"Zu dieser Zeit fing ich zum ersten Mal an, mir wirklich Gedanken zu machen über Fußball, aber auch über mein Verhalten als Kind. Ich realisierte, dass ich tief in mir sehr, sehr unsicher war und dass der Fußball meine Unsicherheit nur verdeckte. Deswegen kam ich immer wieder auf die Frage zurück: Wer bin ich eigentlich, wenn ich nicht Fußball spiele?"

Zu Hause in Schweden beginnt Bengtsson Gitarre zu spielen und Songs zu schreiben. In der Musik findet er nun den Halt, den ihm der Fußball nicht mehr gibt. Als ihm dann im Internat in Mailand seine Gitarre und Lieder weggenommen werden, verfällt er in eine tiefe Depression. Er stellt fest, dass das Leben als Profifußballer nicht sein Leben ist. Doch der Weg zurück aus dem Profisport erscheint ihm schwieriger als der Weg dorthin.

"Ich hatte tierische Angst. Weil ich immer versucht habe, alles perfekt zu machen, konnte ich nicht einfach nach Hause gehen, weil ich wusste, dass die Leute dann reden würden: Du bist schwach, du hast keinen Charakter, du warst nicht stark genug. Oder: Du wolltest nur nach Hause zu Mama, um dich auszuheulen. Das war meine größte Angst – größer noch, als die Angst zu sterben!"

Nach dem Selbstmordversuch landet Bengtsson in einer psychiatrischen Klinik in Mailand. Die Therapeuten und Verantwortlichen im Verein begegnen ihm mit Unverständnis. Bengtsson kündigt seinen Vertrag, geht zurück nach Schweden und fängt an zu schreiben – ein Buch und immer mehr Lieder.

2008, mit 22 Jahren, zieht Bengtsson nach Berlin. Die Stadt bietet ihm den Gegenentwurf zum Leben im Fußballinternat. Hier hat er zum ersten Mal das Gefühl, er selbst sein zu können. Er gibt sich den Künstlernamen Waldemaar, nach der Straße, in der er wohnt, nimmt seine erste Platte auf und tourt durch die Berliner Klubs.

"Mit der Musik hier und mit Waaldemar, meinem Musikprojekt, war ich bisher immer unabhängig. Und das werde ich auch weiterhin sein. Ich werde darauf achten, dass Waldemaar unabhängig bleibt – ganz egal auf was für einem Level. Ich werde nie wieder den Fehler machen, mich zu verkaufen oder kontrolliert zu werden von anderen oder das Gefühl zu haben, der Besitz von irgendwem zu sein. Dann will ich lieber arm sein. Es geht für mich im Leben darum, die Freiheit zu haben, ich selbst zu sein."

Obwohl Martin Bengtsson heute in Berlin ein völlig anderes Leben führt, versucht er seine Vergangenheit nicht zu verdrängen. Viele seiner Lieder zeugen von seinem Verarbeitungsprozess. Auch seine in diesem Jahr <li_1765733>auf Deutsch erschienene Biografie "Freistoß ins Leben"<li_1765733> ist Teil davon.

"Ich habe meine Fußballerzeit nicht bereut, auch wenn meine Entscheidung mich auf eine manchmal wirklich beschissene Reise geführt hat. Jetzt denke ich, dass es sich gelohnt hat, weil ich es gemacht habe."

Die Fußballschuhe schnürt Martin Bengtsson nur noch, wenn die schwedische Autorennationalmannschaft ruft. Mit Profifußball beschäftigt er sich nicht mehr – außer wenn über seine Zeit als Fußballer singt.</li_1765733></li_1765733>
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