Vom Euter auf den Kleiderbügel

Von Christoph Kersting · 16.10.2011
Schon seit Anfang der 1930er-Jahre werden aus Milcheiweiß, dem sogenannten Casein, Textilfasern hergestellt. Die Biologin Anke Domaske, die gleichzeitig auch Modedesignerin ist, hat das Verfahren optimiert und produziert Mode aus Milch – ganz ohne Chemie und mit einem Bruchteil der früher nötigen Wassermenge.
Ein Samstagmorgen im Modeatelier von Anke Domaske. Stammkundin Ines Eckart schlendert an den Ständern mit schicken Damenkleidern entlang, lässt sich von der Modedesignerin beraten, probiert aus, wie sich die Stoffe anfühlen.

"Das Tollste ist die Wirkung auf der Haut. Also wenn ich andere Kleidungsstücke anhabe, dann habe ich immer so ein Jucken, Kratzen, und meine Haut ist total angespannt. Wenn ich diese Faser, diese Kleidungsstücke anziehe, dann habe ich das nicht."

Kein Einzelfall, sagt Anke Domaske. Viele ihrer Kunden hätten Hautprobleme, seien Allergiker, litten unter Neurodermitis. Das Problem: Auch vermeintlich weiche und hautfreundliche Stoffe wie Seide kämen nicht ohne chemische Zusatzstoffe aus, die die Haut reizen. Die von ihr entwickelte Milchfaser hingegen sei ein reines Bioprodukt, erzählt Anke Domaske, die nicht nur Mode macht, sondern auch studierte Mikrobiologin ist:

"Es ist schon vergleichbar mit Seide oder Wolle, wobei Wolle ja sehr kratzt. Man sieht das unterm Mikroskop: Wolle ist schuppig, aber die Milchfaser ist sehr glatt. 'Bio' ist es deshalb einmal: eine Prozessdauer von nur einer Stunde, und wir brauchen nur zwei Liter Wasser maximal. Im Vergleich dazu gibt es Herstellungsverfahren, die 60 Stunden dauern, und dann muss das nochmals unter fließendes Wasser gehalten werden, damit die Chemie rausgewaschen wird. Wir verwenden Milch, die nicht den Lebensmittelkriterien entspricht, die wird normalerweise weggekippt, dieses Abfallprodukt verwerten wir halt und machen die Faser daraus."

Mode aus flüssigem Müll quasi. Aber wie genau wird aus Kuhmilch eine robuste Faser, die sich zu Textilien verarbeiten lässt?

"'"Also man hat ja die Milch, und man kennt das ja, wenn die sauer wird, dann schwimmt halt unten die Molke und oben so weiße Flocken, und das ist das Casein, das Protein in der Milch. Und wenn man die Molke abschöpft, bekommt man so eine Art Quark. Und dieser Quark wird getrocknet, dann hat man ein Eiweißpulver. Das kennt man von den Protein-Shakes. Und dann gibt man das in eine große Maschine.""

Diese riesige Spinnmaschine steht in einer Werkshalle des Bremer Faserinstitus. Gemeinsam mit den Ingenieuren des Uni-Institus hat Anke Domaske die geheime Rezeptur ihrer Milchfaser entwickelt. Bis zu 50 Kilogramm davon lasse sich mit der speziellen Spinnmaschine pro Tag herstellen, erklärt Lars Bostan vom Bremer Faserinstitut. Der Ingenieur steht vor dem sogenannten Intruder, in den die Hauptkomponenetn der Faser, Casein und Wasser, eingefüllt werden:

"Man kann sich das in gewisser Weise vorstellen, als würde man einen Teig kneten, wo man dann mit Mehl und Wasser anfängt, Pulver und einer Flüssigkeit, und das zu einer homogenen Masse bekommt. Im späteren Verlauf wird der Faser dieses Wasser wieder entzogen, sodass diese Komponenten am Ende die Faser bilden. Auf der molekularen Ebene bekommen wir Reaktionen der einzelne Komponenten, sprich wir kriegen Quervernetzungen zwischen einzelnen Molekülen, dort wird das Gerüst dieser Faser aufgebaut."

Dabei bleiben die im Casein enthaltenen Arminosäuren erhalten. Die wirken laut Anke Domaske nicht nur antiallergen, sondern schützen auch vor Bakterien. Diese Eigenschaft der Milchfaser eröffneten Anwendungsmöglichkeiten auch in anderen Bereichen, sagt die Biologin. Anfragen gebe es etwa aus der Medizintechnik:

"Also Tupfer, ganz klar, es gibt auch Wundauflagen, die man mit Medikamenten tränken kann, die können dann punktuell Medikamente abgeben, um zum Beispiel Krebs zu behandeln, ohne dass das Immunsystem geschädigt wird. Oder es gibt ja auch viele Textilien, die auch im Körper verwendet werden, Implantate oder Ähnliches, und da können wir hoffentlich auch helfen."

Mode aus Milch – da bleibt noch die Frage: Riecht das Ganze nicht?

"Es riecht nicht nach Kuh oder Milch, es ist eine ganz normale Textilfaser, und man kann die auch ganz normal waschen und pflegen, das haben wir so weiterentwickelt, dass es da eigentlich keine Probleme gibt."