Volkswirt: EZB hat Unabhängigkeit aufgegeben

Bernd Lucke im Gespräch mit Hanns Ostermann · 09.08.2011
Es sei ein gefährliches Spiel, wenn eine Zentralbank an den Anleihemärkten eingreife und damit den betroffenen Staaten dabei helfe, ihre Haushaltsnöte in den Griff zu bekommen, kritisiert Bernd Lucke, Geschäftsführer des Plenums der Ökonomen.
Hanns Ostermann: Die Europäische Zentralbank ist eigentlich die Hüterin des Euro, immer häufiger übernimmt sie aber auch die Aufgabe einer Feuerwehr. Erst waren es griechische, portugiesische, irische Staatsanleihen, jetzt sind auch spanische und italienische aufgekauft worden. Die EZB versucht also, sich gegen den Sturm an den Finanzmärkten zu stemmen. Zu Recht, sagen die Einen, von einem gefährlichen Spiel sprechen die Anderen. Professor Bernd Lücke ist Initiator und Geschäftsführer des Plenums der Ökonomen. Es wurde 2010 gegründet. Ihm gehören etwa 330 Mitglieder an, um Fachwissen zu bündeln und über brisante volkswirtschaftliche Themen zu informieren. Guten Morgen, Herr Lucke!

Bernd Lucke: Guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Was meint die gesammelte Fachkompetenz? Macht die EZB denn derzeit das Richtige oder das Falsche?

Lucke: Nein, also, wenn Sie mich fragen, macht die EZB dezidiert das Falsche, weil ich glaube, dass es grundsätzlich ein gefährliches Spiel ist, wie Sie sagten, oder vielleicht sogar ein Tabubruch ist, wenn eine Zentralbank jetzt an den Anleihemärkten interveniert und damit den betroffenen Staaten behilflich dabei ist, ihre Haushaltsnöte in den Griff zu bekommen.

Ostermann: Aber ist die EZB derzeit nicht die einzige europäische Institution, die die Angst vor einer Staatspleite in Europa durch den Kauf dieser Anleihen eindämmen kann? Oder würden Sie das Risiko einer Staatspleite auf sich nehmen?

Lucke: Ich wäre sicherlich dafür, eine kontrollierte Staatsinsolvenz durchzuführen, bei den Staaten, bei denen das im Augenblick notwendig ist. Das ist zuvörderst natürlich einmal Griechenland, Italien und Spanien sehe ich da im Augenblick noch nicht in diesem Stadium; und eine geordnete Insolvenz würde also bedeuten, dass man einen kontrollierten Schuldenschnitt macht. Das hat man bei Griechenland ja auch bereits begonnen, aber der Schuldenschnitt ist vermutlich noch deutlich zu klein. Man hat ja jetzt 20 Prozent vereinbart, und die meisten Beobachter gehen eigentlich eher von der Notwendigkeit eines Schuldenschnitts in der Größenordnung von 50 oder 60 Prozent aus.

Ostermann: Herr Lucke, die EZB schützt doch aber durch den Kauf von Staatsanleihen ihren Wert. Sind das nicht Sicherheiten letztendlich auch für die Banken, die sich refinanzieren wollen?

Lucke: Die EZB schützt durch die Intervention und durch den Aufkauf von Staatsanleihen zunächst einmal die privaten Gläubiger, die bislang diese Staatsanleihen halten, und übernimmt das Risiko dann selber. Und nun muss man sehen, dass das insofern eben, wie ich sagte, ein Tabubruch ist, als dieses Risiko jetzt von einer staatlichen Institution getragen wird, die eigentlich dafür gar nicht zuständig ist. Die EZB ist zuständig für die Wahrung des Geldwertes, für die Stabilität des Euros, und nicht dafür zuständig, die Haushalte von Mitgliedsstaaten zu sanieren. Man muss auch sehen, dass diese Art des Eingriffs ohne jede parlamentarische Kontrolle erfolgt. Natürlich gäbe es auch andere Institutionen, die eingreifen könnten, wenn man das grundsätzlich für sinnvoll hielte: EU-Gremien wie beispielsweise der europäische Stabilisierungsmechanismus könnten eingreifen und Staatsanleihen aufkaufen, aber das würde erfordern, dass die Parlamente dem zustimmen. Und das umgeht man dadurch, dass man die EZB das machen lässt.

Ostermann: Darauf warten wir ja noch, im September soll das passieren. Für wie viele Staatsanleihen hat die EZB eigentlich nach Ihrer Kenntnis bereits eingekauft?

Lucke: Das, was man gehört hat, ist, dass sie für die griechischen, irischen und portugiesischen Staatsanleihen ungefähr 80 Milliarden Euro aufgewendet hat, und gestern soll sie noch mal zwischen vier und fünf Milliarden für die italienischen und spanischen aufgewendet haben.

Ostermann: Gibt es da eine Obergrenze oder könnte das Spiel unendlich weitergehen?

Lucke: Das Spiel könnte im Prinzip soweit weitergehen, wie die Verschuldung dieser Staaten eben ist, denn die EZB hat keine Budgetbeschränkung. Die druckt das Geld einfach, mit dem sie diese Staatsanleihen kauft.

Ostermann: Und wie wird die EZB diese Anleihen dann wieder los, ohne selbst Verluste zu machen?

Lucke: Genau das ist das Problem, nicht? Sie übernimmt die Risiken, und es kann sein, dass wir zumindest bei einzelnen dieser Staaten in absehbarer Zeit einen Staatsbankrott sehen werden, und das bedeutet dann, dass die EZB diese Verluste realisiert.

Ostermann: … oder der Eurorettungsschirm 2 springt ein!

Lucke: Oder der Eurorettungsschirm springt ein und kauft der EZB das Zeugs wieder ab, das wäre natürlich auch denkbar. Aber in jedem Fall bleibt dann der Verlust bei der öffentlichen Hand, denn die EZB genau so wie Rettungsschirm 2 – also haben wir eben zu Recht unterschieden zwischen dem ESFF und dem ESM, aber ökonomisch gesehen, ist das dieselbe Institution. Beide diese Institutionen sind Teile des Staates, und die Verluste werden dann von der Allgemeinheit getragen, also von Lieschen Müller und August Schulze.

Ostermann: Ja, Sie haben die deutschen Namen jetzt gerade angeführt; was kommt da bei uns in Deutschland, auf uns in Deutschland zu, denn wir verfügen ja ganz offensichtlich in Europa über das meiste Geld oder sind diejenigen, die am meisten blechen müssen?

Lucke: Richtig! Deutschland hat den größten Kapitalanteil an der EZB. Dieser Anteil, mit dem Deutschland sich an den Verlusten beteiligen würde, steigt noch dadurch, dass andere Länder zahlungsunfähig werden, weil Deutschland dann proportional stärker belastet werden wird, und in welcher Form die Allgemeinheit diese Verluste dann tragen muss, das ist noch offen. Es gibt da im Prinzip zwei Möglichkeiten: Entweder das wir durch Inflation bezahlt – nämlich dann, wenn die EZB wirklich durch Geldschöpfung, durch Gelddrucken diese Staatsanleihen kauft, ohne ausgleichende Operationen am Geldmarkt vorzunehmen, zurzeit tut sie das, zurzeit gleicht sie das aus, indem sie andere Wertpapiere verkauft – oder es ist so, dass die EZB überschuldet wird. Wenn die Staatsanleihen einfach in den Bankrott gehen, dann bedeutet das, dass die Bilanz der EZB, dass das gesamte Eigenkapital dort aufgezehrt wird, und dann müssen die einzelnen Staaten als Anteilseigner der EZB nachschießen. Das bedeutet also, dass man einfach durch Steuermittel das Defizit der EZB auffängt.

Ostermann: Wir haben jetzt über die finanziellen Aspekte gesprochen, aber wie sieht es aus mit der Entscheidungsfreiheit der EZB, wenn sie sich zu sehr in die Finanzgeschäfte verstrickt hat, oder dort einspringt? Ist die Unabhängigkeit aus Ihrer Sicht gefährdet?

Lucke: Meines Erachtens hat die EZB ihre Unabhängigkeit bereits aufgegeben, indem sie in dieser Form dort interveniert hat. Die Unabhängigkeit der EZB besagt ja gerade, dass sich die EZB ohne politische Pression nur kümmern soll um den Wert des Euro, um die Geldwertstabilität. Und diese Aufgabe, die vernachlässigt sie im Augenblick dadurch, dass sich gleichzeitig eben um die Stabilität der Haushaltslage in peripheren EU-Staaten kümmert. Sie tut das auf drei verschiedene Arten und Weisen: Sie haben angesprochen den Aufkauf von Staatsanleihen, dazu kommt, dass die EZB seit geraumer Zeit auch diese Staatsanleihen als Sicherheiten akzeptiert, wenn Geschäftsbanken sich bei der EZB Geld leihen - das ist ebenfalls ein Tabubruch gewesen, weil es eigentlich immer Usus gewesen ist, dass lediglich Papiere höchster Bonität als Sicherheit bei der EZB hinterlegt werden können, also gerade keine risikobehafteten Papiere. Und inzwischen akzeptiert die EZB sogar griechische Staatsanleihen, die praktisch nur noch Ramsch-Status haben. Und der dritte Mechanismus, mit dem die EZB interveniert hat zugunsten der peripheren EU-Staaten, sind die sogenannten Target-2-Salden, das sind etwas komplizierte Ausgleichsforderungen, die im Rahmen der internen Geldversorgung der EZB entstehen, wenn sich Geschäftsbanken in Griechenland gegenüber der EZB verschulden.

Ostermann: Und das sind auch Riesensummen bei diesen Targets, von denen Sie sprechen.

Lucke: Riesensummen, diese Target-2-Salven; das ist viel mehr als das Anleihekaufprogramm derzeit. Nämlich insgesamt sind es 340 Milliarden Euro, die von der Öffentlichkeit fast nicht zur Kenntnis genommen werden.

Ostermann: Professor Bernd Lucke, Initiator und Geschäftsführer des Plenums der Ökonomen. Herr Lucke, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Lucke: Sehr gerne!


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