Volker Reiches "Manu und Saul" in Frankfurt

Comic-Strip am Bauzaun

Ausschnitt aus einer Geschichte der Comicfigur "Strizz" von Volker Reiche
Ausschnitt aus einer Geschichte der Comicfigur "Strizz" von Volker Reiche. Am Bauzaun des Jüdischen Museums Frankfurt will Reiche nun 14-tägig jüdisches Alltagsleben im Comic zeigen. © dpa/ picture-alliance/ Holger Hollemann
Von Ludger Fittkau · 05.09.2016
Volker Reiche zeichnet eigentlich Comics für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Die kommenden zwei Jahre werden seine Bilder aber am Bauzaun des Jüdischen Museums Frankfurt hängen, alle 14 Tage neu. Das Museum will damit an die große Bedeutung des Comics in der jüdischen Geschichte erinnern.
Volker Reiche setzt gekonnt den Akku-Tacker auf den Rand der mehrere Meter langen Kunststoff-Plane, auf die sein Comic gedruckt ist. Es dauert kaum 15 Minuten, dann hat der langjährige Comic-Zeichner der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sein Werk vollbracht. Die zweite Fortsetzungsgeschichte mit dem Mädchen Manu und ihrem Hund Saul hängt am Bauzaun des Erweiterungsgebäudes des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main- gut lesbar noch auf der anderen Straßenseite. Während Volker Reiche tackert, winkt ein Bauarbeiter den nur wenige Zentimeter am Künstler vorbeifahrenden Autos, sie sollen langsamer fahren. Denn der Bauzaun steht wirklich direkt an einer viel befahrenen Main-Uferstraße:
"Zuerst war der Plan und so haben wir das vor anderthalb Jahren auch noch besprochen, wir haben einen Bauzaun und davor ist ein Bürgersteig mit viel Platz und ich male direkt. Ich mache die Comics in dieser Form mit einer Plane, aber die Zwischenszenen, die werden an die Wand gemalt. Dauert natürlich lange und dann hatten wir das alles so schön besprochen, dann kam es zum Straßenverkehrsamt der Stadt Frankfurt, die haben Hohn gelacht. Für Herrn Reiche die Straße sperren, kommt nicht in die Tüte! Unmöglich! Und dann haben sie hinter vorgehaltener Hand gesagt: Sie können doch jemand mit einem Fähnchen hinstellen, der macht dann für zehn Minuten Ruhe. So machen wir das jetzt."

Die Figuren sollen "halbwegs von heute" sein

Heute bringt Volker Reiche die Zweite von insgesamt 52 geplanten Fortsetzungsgeschichten an, die sich um jüdisches Alltagsleben drehen. Die kreisrunde braune Fläche auf dem Kopf des Hundes mit weiß-braun geflecktem Fell entpuppt sich darin als von Geburt an eingebaute Kippa. Per Smartphone versucht das Mädchen Manu herauszufinden, welche religiöse Bedeutung eigentlich hinter der jüdischen Kopfbedeckung steckt. Am Ende des Comics ist der Hund Saul genervt von den schlauen Erklärungen, die das Mädchen Manu im Internet findet. Volker Reiche:
"Für mich ist das natürlich wirklich wichtig, dass die Figuren schon von heute sind. Ein junges Mädchen soll natürlich halbwegs von heute sein, das heißt: Immer hat sie ihr Smartphone dabei und immer, wenn sie was nicht weiß, dann geht sie nicht in die Bibliothek, dann guckt sie mal bei Wikipedia oder Google und dann weiß sie sofort Bescheid. Und das Hündchen, dem das verwehrt ist mit seinen Krallen, kann da nicht ordentlich aufs Smartphone drücken, das denkt: Was ist denn jetzt los, jetzt weiß die plötzlich alles besser und sagt dann: Internet ist auch nicht Gott!"
Das Jüdische Museum lässt dem 72 Jahre alten Volker Reiche freie Hand für die Auswahl der Geschichten, die Manu und Saul in den nächsten zwei Jahren am Bauzaun des Museums erleben werden. Die Entscheidung, das Medium Comic in der Errichtungsphase des Erweiterungsgebäudes am Mainufer so prominent zu platzieren, traf das Museum schon vor Jahren nach einer Ausstellung über die Bedeutung des antifaschistischen Comic in der jüdischen Kunst-Tradition. Miriam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums:
"Wir haben 2008 die Ausstellung "Superman Golem" gemacht, in der wir die jüdische Comic-Tradition großgeschrieben haben. Die hat sehr viel mit der Entstehung der Superhelden-Erzählung, insbesondere mit Superman, der von dem Planeten Krypton kommt, ein Findelkind dann auf der Erde ist, eine Moses-Erzählung eigentlich und dann gewissermaßen im Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland übermenschliche Kräfte gewinnt. Ihm zu Seite steht Captain America, auch von einem jüdischen Comic-Zeichner gezeichnet, der beginnt, die erste Serie von Captain America, mit einem Faustschlag in das Gesicht von Adolf Hitler."

Volker Reiche will jüdische Kulthandlungen und Denktraditionen nahe bringen

Volker Reiche zückt jetzt mit seinem Comic nicht den politischen Säbel angesichts der anstehenden faschistischen Katastrophe, sondern er wählt das feine Florett, um jüdische Kulthandlungen und Denktraditionen in ruhigeren Zeiten nahezubringen. Mit Beschädigungen seines Bauzaun-Comics, der am Ende auch als graphic novel zwischen Buchdeckel gepresst werden soll, ist nicht zu rechnen, hat sich Volker Reiche von den Museumsmitarbeitern versichern lassen:
"In Frankfurt ist ihres Wissens so gut wie keine antisemitische Szene, mit Hakenkreuzen werden wir nicht rechnen müssen auch mit keinen größeren Schmierereien, da ist ja auch der Verkehr davor, da bringt man sich ja um, wenn man Schmierereien drauf machen will."
Mirjam Wenzel: "Das Besondere an diesem Projekt ist, dass es sich immer erneuert. Alle zwei Wochen bringt Herr Reiche hier unter vollem Einsatz seiner Körperkraft und vorbeifahrenden Lastwagen eine neue Plane an. Und das tut er über zwei Jahre lang. Das heißt, man wird auch die ersten Comics nicht mehr sehen. Es ist also nicht ein stehender Comic über zwei Jahre lang, sondern es ist eine fortlaufende Erzählung."
Wer nicht vierzehntätig zum Bauzaun ans Frankfurter Mainufer kommen will, um die nächste Folge des Comics zu sehen, kann übrigens zum FAZ- Rhein-Main-Regionalteil greifen. Dort wird der Comic nachgedruckt. Außerdem sind die Abenteuer von Manu und Saul auf der Homepage des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main nach zu verfolgen.
Anmerkung der Redaktion: Der Online-Text wurde nachträglich verändert. Die Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt, Mirjam Wenzel, war in ihrem Statement ein Fehler unterlaufen.
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