Volker Kutscher: "Olympia"

Abstieg in die Finsternis von Nazideutschland

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Das Buchcover "Olympia" von Volker Kutscher ist vor einem grafischen Hintergrund zu sehen.
Kulminationspunkt der immer düsterer werdenden Rath-Romane: "Olympia" von Volker Kutscher © Piper Verlag / Deutschlandradio
Von Irene Binal · 02.11.2020
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Volker Kutschers Rath-Romane dienen als Vorlage für die Serie "Babylon Berlin". Der achte Band, "Olympia", spielt im Jahr 1936: Während Berlin im trügerischen Glanz erstrahlt, verstrickt sich Gereon Rath immer tiefer in den Ränken des Nazi-Regimes.
Die deutsche Hauptstadt im Olympia-Fieber: Berlin präsentiert sich den ausländischen Gästen makellos, der "Stürmer" wurde aus den Schaukästen genommen, judenfeindliche Schilder sind verschwunden und Sportler und Besucher zeigen sich beeindruckt. Wenn da nur nicht diese Todesfälle wären, die einen Schatten auf die schicke Fassade werfen. Als ein Amerikaner im Speisesaal des Olympischen Dorfs tot zusammenbricht, ist für die SS klar, dass dahinter nur eine kommunistische Verschwörung stecken kann.
Also wird Oberkommissar Gereon Rath – mittlerweile unwilliger Handlanger des Sicherheitsdienstes – ins Olympische Dorf versetzt. Dann sterben mehrere Wehrmachtsangehörige bei seltsamen Unfällen, und Rath hat alle Hände voll zu tun, um seine Vorgesetzten zu befriedigen und gleichzeitig herauszufinden, wer wirklich hinter all dem steckt.

Vom Todfeind erpresst und gedemütigt

In Volker Kutschers Romanen spiegelt sich der Weg Deutschlands in die Finsternis: Während Gereon Rath in den ersten Bänden noch in einem lebenslustigen Berlin ermittelt, wird die Stimmung von Buch zu Buch düsterer und erreicht in "Olympia" einen vorläufigen Kulminationspunkt. Rath wird von seinem Todfeind, SS-Obersturmbannführer Sebastian Tornow, erpresst und gedemütigt, und als er tatsächlich einen Olympia-Mitarbeiter mit kommunistischer Vergangenheit findet, zwingt Tornow ihn dazu, bei der Folterung des völlig unschuldigen Mannes zuzusehen.
Reinhold Gräf, mit dem Rath sich so gut verstanden hat, ist inzwischen ein strammer Nazi, der es genießt, seinen ehemaligen Vorgesetzten herumzukommandieren, und auch in seinem Privatleben findet der Kommissar keine Ruhe, seit er gezwungenermaßen amerikanische Olympiatouristen beherbergt und seine Frau Charly die gemeinsame Wohnung aus Protest vorübergehend verlassen hat. Meisterlich zeichnet Kutscher dem Weg eines Mannes nach, der das Richtige tun will und doch immer wieder im Falschen landet – bis er schließlich selbst auf der Abschussliste des Regimes steht.

Gesellschaft von Getriebenen

Wie schon in den bisherigen Rath-Romanen geht es Kutscher vor allem darum, dem Alltag in einer Diktatur nachzuspüren, und er tut das in einer langsamen und atmosphärisch dichten Prosa, in der jedes Detail stimmt und der Autor immer ganz nah bei seinen Figuren ist. So entsteht das plastische Bild einer Gesellschaft von Getriebenen, die sich durch ein Dickicht aus Willkür und Despotismus kämpfen, ein Bild, in dem es kein Schwarz und Weiß gibt, nur zahlreiche Graustufen.
Raths ehemaliger Ziehsohn Fritze ist stolz, dass er zum Jugendehrendienst bei Olympia eingeteilt wurde, aber seine Begeisterung für die schwarzen Sportler entfremdet ihn von seinen Kameraden, und als er Zeuge eines vermeintlichen Selbstmordes wird, ist plötzlich die Gestapo hinter ihm her. Raths Frau Charly erkennt immer deutlicher, dass es in Deutschland keine Zukunft für sie gibt, und Rath selbst mäandert durch eine Ermittlung voller Fallstricke, in denen er sich zu verheddern droht. Für den Leser bringt die Lektüre des neuesten Rath-Romans das schaurige Gefühl, für ein paar Stunden selbst in einer Diktatur gelebt zu haben.

Volker Kutscher: "Olympia"
Piper, München 2020
544 Seiten, 24 Euro

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