Vivian Maier: "Die Farbphotographien"

Ein ganzer Band voller Kostbarkeiten

Vivian Maier: "Die Farbphotographien"
Die Straßenfotografin Vivian Meier ist in New York City geboren © Unsplash / Schirmer Mosel Verlag
Von Eva Hepper · 18.12.2018
Bisher war die US-amerikanische Straßenfotografin Vivian Meier vor allem bekannt für ihre Schwarz-Weiß-Fotografien. Doch dieser neue Band zeigt ihr großes Können auch in Farbe - unzählige Kostbarkeiten sind darin versammelt. Und auch ihr Humor blitzt immer wieder durch.
Was für ein schräger Bildausschnitt! Die Fotografin hat sich mittig hinter zwei Kindern postiert, die vor einem Maschendrahtzaun stehen und einen Esel betrachten. Das Tier ist ganz nahe gekommen und reckt den beiden seine Nase entgegen. Es ist ein anrührendes Foto von großer Ruhe und Intimität. Herausragend wird die Aufnahme jedoch wegen ihrer Farben und der grafischen Komposition. So trägt eines der Kinder einen knallbunten Anorak mit psychedelischem Kringel-Muster, das andere hält einen Ball mit roten Streifen im Arm, und die Liniatur des Zauns begrenzt die Szenerie. Fast könnte man darüber den Esel im Hintergrund vergessen.
Was also ist das Sujet dieses Bildes? Die Begegnung zwischen Mensch und Tier oder das Zusammentreffen von Formen und Farben? Tatsächlich hat sich Vivian Maier hier für beides interessiert, und das ist eine große Überraschung. Bisher war die 1926 in New York geborene und 2009 in Chicago verstorbene Fotografin vor allem für ihr Werk in Schwarz-Weiß bekannt. 2007 hatte es der Hobbyhistoriker und Sammler John Maloof auf einer Versteigerung für Haushaltsauflösungen entdeckt, und seither weltweit präsentiert. So wurde Vivian Maier, die zeit ihres Lebens als Kindermädchen gearbeitet und nur im Verborgenen fotografiert hatte, schlagartig berühmt. Heute wird sie in einem Atemzug mit den großen Fotografen ihrer Zeit genannt. Nun lässt sich anhand eines prächtigen Bildbandes mit über 150 Aufnahmen auch die Qualität ihrer Farbfotografien ermessen.

Die große Unbekannte geistert durch den gesamten Band

Um es vorwegzunehmen: Viele der Bilder sind absolute Kostbarkeiten. Da wäre die Rückenansicht einer müden Frau, die sich mit tiefrotem Mantel und lila Hut rittlings auf einem Hydranten niedergelassen hat; die Einkaufstaschen rechts und links zu ihren Füßen. Oder die Dame in den weißen Pumps, die am Kiosk steht und deren grell buntes, ornamental gemustertes Kleid eine aberwitzige Paarung mit dem Zeitungsstapel zu ihren Füßen bildet. Oder die vielen Porträts von Passanten mit verwegenen Frisuren oder ausgefallenen Kopfbedeckungen, die sich wie Vorreiter der skurrilen Bilder des britischen Fotokünstlers Martin Parr ausnehmen.
Die Straßenfotografin Vivian Maier zeigt auch in Farbe ihr großes Können. Sie versteht im rechten Moment abzudrücken und hat den Blick für Menschen und Situationen, für zufällige Begegnungen und auch für arrangierte Kompositionen; etwa wenn sie Kinder in Blumenkübel setzt. Nicht zuletzt blitzt immer wieder ihr Humor durch und ihre Obsession für Selbstporträts. So geistert die große Unbekannte durch den gesamten Band, mal als Schatten auf Mauerwänden, mal als Spiegelung im Schaufenster oder auf blitzblank polierten Küchengeräten.
Problematisch ist wie bei allen Büchern und Ausstellungen zu Vivian Maier die Zusammenstellung der Bilder. Tatsächlich existieren über 40.000 Ektachrome-Farbdias, die sie selbst nie ediert hat. Was sie gezeigt hätte, und warum sie es tatsächlich nie tat, bleibt weiterhin im Dunkeln. Darüber lässt sich in Farbe genauso schön rätseln wie in Schwarz-Weiß!

Vivian Maier: "Die Farbphotographien"
Mit Texten von Joel Meyerowitz und Colin Westerbeck
Aus dem Englischen von Ursula Wulfekamp
Schirmer Mosel Verlag
240 Seiten, 58,00 Euro

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