Visionen für die Stadt der Zukunft

Moderation: Stephan Karkowsky · 22.03.2013
Mit 60 Projekten will die Internationale Bauausstellung IBA in Hamburg-Wilhelmsburg zeigen, wie wir zukünftig leben könnten. Der Architektur-Professor Jürgen Pietsch hofft, dass mit der IBA "sowohl Baukunst als auch Lebensqualität" gefördert werden.
Stephan Karkowsky: Der Stadtteil Wilhelmsburg im Hamburger Süden steht für Wenige noch immer für den sozialen Brennpunkt, den Problemkiez, wo drei Viertel der Jugendlichen einen Migrationshintergrund haben. Viele andere sehen in Wilhelmsburg längst das Ottensen von morgen, das nächste teure Szeneviertel. Hamburgs regierender Bürgermeister Olaf Scholz spricht am liebsten von der größten bewohnten Flussinsel der Welt nach Manhattan. Morgen eröffnet er in Wilhelmsburg die IBA, die Internationale Bauausstellung. Für uns ist das ein Grund, mal die Kernfrage zu stellen: Wer braucht diese IBAs überhaupt und was bringen sie für die Stadtentwicklung? Aufklären soll uns darüber Jürgen Pietsch, er ist Professor für Architektur an der HafenCity Universität Hamburg, der Universität für Baukunst und Metropolenentwicklung. Herr Pietsch, guten Morgen!

Jürgen Pietsch: Einen wunderschönen guten Morgen!

Karkowsky: Wie geht es Ihnen? Täuscht der Eindruck, dass Veranstaltungen unter diesem Label "Internationale Bauausstellung" sich die letzten Jahre inflationär vermehrt haben? Wir haben ja neben Hamburg derzeit auch in der Lausitz eine, in Brandenburg und in Sachsen-Anhalt, und fünf weitere sind die nächsten Jahre in Deutschland geplant.

Pietsch: Das ist ohne Zweifel so. Das liegt daran, dass es für solche Bauausstellungen keine zentrale Vergabeinstanz gibt wie etwa bei Weltausstellungen, wo das also einheitlich geregelt wird. Jeder, der will, kann eine IBA ausrufen. So wird es ja auch demnächst in Berlin eine fürs Tempelhofer Feld geben, also noch nicht für Schönefeld.

Karkowsky: Und ist das gut oder ist das schlecht?

Pietsch: Das hängt von der Sichtweise ab. Die jeweiligen Betreiber hoffen ja, dass das Ergebnis für sie gut ist, dass sie also im Rahmen der Aufmerksamkeitsökonomie dadurch einen Vorteil gewinnen.

Karkowsky: 1901 gab es die erste Internationale Bauausstellung in Darmstadt. Was war denn eigentlich mal der ursprüngliche Gedanke dahinter?

Pietsch: Der Gedanke war, sowohl Baukunst als auch Lebensqualität demonstrativ miteinander zu verbinden. Das kann man in Darmstadt sehen, das kann man dann in Stuttgart sehen, und das war die Idee. Ein erster Wandel bei den Zielen kam bei der Berliner IBA der 80er-Jahre, wo es insbesondere dann um soziale Fragen und Stadterneuerung ging.

Karkowsky: Das sind auch die IBAs, an die ich mich noch erinnern kann. Da ging es dann immer darum, Problemviertel aufzuwerten. In Berlin-Kreuzberg wurde mit der IBA 85 nicht mehr abgerissen, sondern saniert, und das Ruhrgebiet, das wandelte sich durch die IBA Emscher Park in den 90ern vom Industriebrachland zur Kulturregion mit nutzbaren Industriedenkmälern. Was hat diesen Wandel bewirkt, dass der praktische Nutzen dann auf einmal mehr im Zentrum der IBA stand als früher?

Pietsch: Zum einen wurde reflektiert, dass die 70er-Jahre ja ein Jahrzehnt von Großprojekten waren, größer, schneller, weiter, wo man versuchte, mit Großsiedlungen, Großkliniken und so weiter sozusagen die Zukunft zu bauen, und man hat dann Anfang der 80er-Jahre festgestellt, dass das kein zukunftsweisender Weg ist, sondern dass man auch den Bestand sich anschauen muss.

Karkowsky: Und Sie haben es schon gesagt, IBA, Internationale Bauausstellung, das ist keine geschützte Markenbezeichnung. Gibt es denn dann überhaupt so etwas wie das IBA-Konzept, oder kocht da jeder sein eigenes Süppchen?

Pietsch: Da kocht jeder sein eigenes Süppchen. Sie haben ja schon das Beispiel der Lausitz genannt, welches etwa kaum jetzt mit Hamburg vergleichbar ist. Wie gesagt, im Prinzip kann jeder, der will, seine IBA ausrufen.

Karkowsky: Sie hören Jürgen Pietsch, er ist Professor für Architektur an der HafenCity Universität Hamburg. Herr Pietsch, im Vergleich zum Ruhrgebiet wurden in Hamburg nur Peanuts investiert in die Bauausstellung, immerhin knapp über eine Milliarde Euro, zwei Drittel davon aus privater Hand. Reicht das aus, um das Ziel zu erreichen, Wilhelmsburg den letzten Anstoß zu geben zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung?

Pietsch: Also warum letzter Anstoß? Wilhelmsburg ist ein Stadtteil, der keineswegs in der Vergangenheit benachteiligt war. Allein in den 90er-Jahren hat die vor allem Hansestadt Hamburg da etwa 250 Millionen D-Mark investiert. Problem ist allerdings, dass die Gelder nicht immer die erhofften Ziele erreicht haben.

Karkowsky: Wo gab es denn da genau die Probleme, wo sind Gelder versickert?

Pietsch: Sie sind nicht unbedingt versickert, aber sie haben eben nicht die erhoffte Wirkung erzielt.

Karkowsky: Haben Sie ein Beispiel?

Pietsch: Es ist viel Geld in Schulen investiert worden, und trotzdem sind die meisten Hamburger Problemschulen laut Auskunft der Schulleiter immer noch in Wilhelmsburg.

Karkowsky: Nun gibt es ja auch manche, die sagen, dass die IBA endgültig den Grundstein legt für die Gentrifizierung Wilhelmsburgs, das ja schon jetzt sehr interessant geworden ist für kreative Kräfte, für Künstler, auch viele Studenten sind da hingezogen. Also dann passiert dort das, was wir in anderen Städten schon kennen: die Verdrängung der jetzigen Bewohner durch zahlungskräftigere Mieter – und die IBA trägt dazu bei?

Pietsch: Nein, keineswegs. Nach einer aktuellen Erhebung von Hamburger Wohnungspreisen ist Wilhelmsburg sogar fast der einzige Stadtteil, wo die Mieten nicht steigen, sondern sogar latent sinken, also da ist überhaupt keine Gefahr gegeben.

Karkowsky: Ich habe gehört, gelesen, im Reiherstiegviertel, so heißt es glaube ich, da ist es umgekehrt, da steigen die Mieten.

Pietsch: Im Reiherstieg, da sprechen Sie jetzt eins der Grundprobleme der IBA an: Die Elbinsel ist riesengroß, besteht aus sehr unterschiedlichen Quartieren. Und einer der Fehler, den die IBA gemacht hat, zu sagen, alles ist Wilhelmsburg, und damit die unterschiedlichen Identitäten, die es dort gibt, nicht zu Entfaltung kommen lässt.

Karkowsky: Sie haben im Vorfeld bereits auch die auf Ökologie setzenden Klimaschonprojekte der IBA Hamburg kritisiert. Selbst sind Sie ja Stadtökologe. Was gefällt Ihnen daran nicht?

Pietsch: Das ist nicht eine Frage von gefallen, sondern ganz schlicht von Fakten. Die Projekte zur Energieversorgung sind zum einen relativ punktuell, wie die bundesweite Energiewende vor allem teuer, und technologisch kurz vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum, sprich, in wenigen Jahren museumsreif.

Karkowsky: Welche Projekte sprechen Sie da ganz konkret an?

Pietsch: Das sind sowohl der Energiebunker als auch der Energieberg.

Karkowsky: Was machen die beiden?

Pietsch: Beide sind, um es mal positiv zu formulieren, eine anerkennenswerte Ästhetisierung von Energieprojekten, das heißt, sie machen sozusagen Energieerzeugung sichtbar in einer architektonisch netten Form. Aber ansonsten findet man dort Lösungen, sowohl jetzt für Solarenergie, für Windenergie, die Strom zu Kosten produzieren, der über den normalen Haushaltstarifen liegt.

Karkowsky: Aber es gibt doch auch ein innovatives Algenhaus, wo an der Fassade durch Algen Biowärme erzeugt werden soll. Ist das kein Modell für die Zukunft?

Pietsch: Das weiß noch keiner. Das ist ein Experiment. Ob das funktioniert oder nicht, wird sich erst in mehreren Jahren herausstellen.

Karkowsky: Dann bleibt am Schluss die Frage: Wem nutzt eine solche IBA heute noch? Früher war sie dazu da, Menschen zu zeigen, was baulich möglich ist. Jetzt leben wir in einem Zeitalter, in dem man sich die ganze Welt per Mausklick anschauen kann. Für wen ist diese IBA da in Hamburg?

Pietsch: Na ja, die IBA ist zunächst ein Projekt des Hamburger Oberbaudirektors, der aber auch von seinem Vorgänger kritisiert worden ist. Der Vorgänger hat gesagt, die IBA musste das falsche Programm am falschen Standort realisieren.

Karkowsky: Und Sie stimmen dem zu?

Pietsch: Dem würde ich zustimmen, ja.

Karkowsky: Wenn ich Sie also frage nach einem Fazit, Ihrer Prognose, was wird diese IBA Hamburg bringen, da sind Sie eher pessimistisch?

Pietsch: Nein, nicht pessimistisch, aber Sie haben mich eingangs nach den vergangenen Internationalen Bauaustellungen gefragt: Die waren zum Teil ja sehr zukunftsweisend. Die Hamburger ist eher zeitgeist-surfend. Und wenn man jetzt noch mal wirklich ein Fazit ziehen soll: Die interessante Schau fürs allgemeine Publikum wird die Internationale Gartenschau, die in vier Wochen eröffnet auf der Elbinsel, die durchaus würdig eingerahmt ist von den paar interessanten IBA-Bauten.

Karkowsky: Und dem Kirchentag, und dann sprechen wir uns noch mal, dann werden wir noch mal über Hamburg reden. Morgen erst mal wird die IBA Hamburg nach siebenjähriger Bauzeit eröffnet, die Internationale Bauausstellung. Sie hörten dazu Jürgen Pietsch, Professor für Architektur an der Hamburger Universität für Baukunst und Metropolenentwicklung. Herzlichen Dank!

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