Virtuelles Erbe bei Facebook

Wem gehören die Erinnerungen im Netz?

Mann tippt bei Dunkelheit am Computer
Es spreche einiges für den Gedenkzustand eines Facebook-Accounts nach dem Tod des Nutzers, findet Rechtswissenschaftler Wolfgang Schulz. © imago/Westend61
Wolfgang Schulz im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 31.05.2017
Haben Eltern ein Recht auf Einsicht in das Facebook-Konto ihres toten Kindes? Darüber entscheidet heute das Berliner Kammergericht. Geklagt hatten die Eltern eines Mädchens, das von einer einfahrenden U-Bahn getötet wurde. Der Rechtsphilosoph Wolfgang Schulz erwartet ein wegweisendes Urteil.
Es ist die Hoffnung auf Klarheit, die die klagenden Eltern antreibt: Gibt es in den Chats der verstorbenen Tochter Hinweise auf ihre Todesumstände? Ein Vergleich mit Facebook, wonach die Personalien der Chat-Partner geschwärzt werden sollten, war gescheitert. Wolfgang Schulz meint: Das wäre im Grunde "ein gangbarer Weg" - wenn "die Persönlichkeit der anderen hinreichend geschützt werden kann". Den Eltern sei dies aber nicht ausreichend gewesen.
Gegen den so genannten "Gedenkzustand", in dem sich das Facebook-Konto des Mädchens befindet, hat Schulz nicht grundsätzlich etwas einzuwenden:

"Eine Art digitale Identität"

"Wenn ich ein Facebook-Konto habe, (...) dann habe ich eine Art digitale Identität von mir geschaffen - und man kann berechtigt die Frage stellen, was soll mit der eigentlich nach dem Tod passieren? Ist es sachgerecht zu sagen, es wird sofort gelöscht (…)? Oder ist es nicht eigentlich im Sinne der Person, dass es zumindest in einer Art eingefrorenem Zustand noch da ist (...)."
Das erwartete Urteil des Berliner Kammergerichts dürfte nach Einschätzung des Rechtswissenschaftlers "ein wichtiger Baustein" für die Diskussion sein:
"Erstmal die Frage, was ist dieser Account bei Facebook eigentlich? Und diese übergreifende Frage, wie geht man mit der Konfliktsituation um, dass bei der Einsichtnahme in Material die Rechte von anderen Nutzern betroffen sein können? Da ist diese Entscheidung schon wegweisend."
(bth)

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Dass Angehörige erben, was ein Verstorbener hinterlassen hat, Briefe, Fotos, das ist selbstverständlich. Aber gehört dazu auch ein Facebook-Konto? Darüber streitet der US-Konzern mit den Eltern eines gestorbenen Mädchens. Die wollen auf die Daten zurückgreifen, weil sie sich erhoffen, mehr über die Todesumstände ihrer Tochter zu erfahren, die sich das Leben genommen hatte. Das Landgericht Berlin hatte zuvor Facebook verpflichtet, den Eltern Zugang zu gewähren. Das Berliner Kammergericht hatte diese Entscheidung in der ersten Verhandlung relativiert und eine außergerichtliche Einigung angeregt.
Jedoch - daraus wurde nichts. Die Eltern fürchteten wohl, dass Facebook Textpassagen gekürzt haben könnte, die über Mobbing der Tochter etwas aussagen. Das Gericht hatte zudem die Facebook-Mitgliedschaft einer Vereinsmitgliedschaft im analogen Leben gleichgesetzt, und diese erlischt mit dem Tod. Heute nun fällt das Urteil im Berufungsverfahren am Berliner Kammergericht, und der Fall macht klar, wie kompliziert es in der virtuellen Welt offenbar ist, Dinge zu regeln, die in der analogen ganz einfach sind. Anlass für uns, darüber zu reden mit dem Rechtswissenschaftler und Rechtsphilosophen Wolfgang Schulz, der am Hans-Bredow-Institut in Hamburg lehrt. Ich grüße Sie!
Wolfgang Schulz: Hallo, ich grüße Sie auch!
von Billerbeck: Rechtlich gesehen, wo siedeln Sie die virtuelle Kommunikation an? Oder anders gefragt: Was ist Facebook? Ein Verein, eine briefähnliche Kommunikation oder irgendwas dazwischen?
Schulz: Das ist nicht ganz einfach zu beantworten. Das gehört aus unserer Sicht zu den gar nicht so häufigen Fragestellungen, wo wir online wirklich etwas komplett Neues haben, also etwas, wo alle Analogien zu Briefen, zu Tagebüchern nur ein Stück weit tragen. Und deshalb wir man sich diesen Fall sehr genau anschauen müssen und gucken, wie viel Gemeinsamkeit hat das etwa mit einer Vereinsmitgliedschaft. Es hat einige Gemeinsamkeiten, nämlich, dass es etwas sehr Persönliches ist, mit der Person zu tun hat, etwas eher Ideelles. Es geht um die Verbindung mit anderen Menschen und nicht unbedingt, jedenfalls aus der Sicht des Nutzers, nicht unbedingt aus der Sicht von Facebook, ein kommerzielles Interesse dahintersteht, sich bei Facebook mit anderen zu verbinden.
von Billerbeck: Facebook beruft sich ja bei der Weigerung der Datenherausgabe an die Eltern auf den Schutz dieser Daten, auf die Persönlichkeitsrechte. Ist das für Sie nachvollziehbar?
Schulz: Auch diese Frage muss man sich differenziert anschauen. Zum einen ist es natürlich etwas, was mit der Persönlichkeit der verstorbenen Person zu tun hat. Da muss man sagen, diese Person ist verstorben, also rechtlich gesehen ist diese Persönlichkeit nur noch, wie das Bundesverfassungsgericht sagt, in ihrem Menschenwürdekern geschützt. In diesem Fall kommt aber etwas hinzu, nämlich, dass, wenn man Einblick in das Facebook-Konto hat, man eben auch die Kommunikation mit anderen ansehen kann, und das hat mit der Persönlichkeit dieser anderen Personen zu tun. Insofern ist die Lage auch nicht ganz mit einem Tagebuch etwa vergleichbar, das ja im Wesentlichen die Kommunikation einer Person mit sich selbst beinhaltet.

Die Persönlichkeit anderer muss hinreichend geschützt sein

von Billerbeck: Aber wenn man die anderen Personen schwärzen würde und nur die Reaktionen oder die Antworten dieses Mädchens auf deren Äußerungen den Eltern zur Verfügung stellte, dann wäre das doch okay.
Schulz: Ja, wenn die Persönlichkeit der anderen hinreichend geschützt werden kann und sich nicht zum Beispiel aus der Reaktion der Person, zu der dieses Konto gehört, etwas darüber ergibt, wer die andere Person sein könnte, dann ist das tatsächlich ein gangbarer Weg, und ich habe deshalb auch das für nachvollziehbar gehalten, was das Kammergericht offenbar vorgeschlagen hat. Aber wenn ich die Unterlagen richtig gelesen habe, war das den Eltern, die hier auf der Suche nach Ursachen sind, nicht ausreichend, was Facebook dort jedenfalls angeboten hat bei dem Versuch, hier einen Vergleich zu erzeugen.
von Billerbeck: Das Konto der Jugendlichen bei Facebook, also dieser jungen Frau, die sich das Leben genommen hat, ist ja inzwischen in eine Art Gedenkzustand versetzt, und dennoch für Freunde zumindest unter bestimmten Bedingungen weiter einsehbar. Da könnte man doch sagen, da hinkt doch auch der Vergleich mit der Vereinsmitgliedschaft, die ja mit dem Tode erlischt und die man nicht erben kann, wenn da trotzdem noch jemand Zugang bekommen kann.
Schulz: Ja, dieser Vergleich hinkt auch tatsächlich. Wie ich vorhin sagte, ist es in der Tat so, dass einige Merkmale ähnlich sind – also die Verbindung mit anderen Personen, die im Vordergrund steht, das Ideelle, das im Vordergrund steht für den Nutzer oder die Nutzerin. Aber es gibt eben auch durchaus Unterschiede, und bei der Vereinsmitgliedschaft steht natürlich die Symbolik nicht so im Vordergrund. Wenn ich ein Facebook-Konto habe oder ein anderes Konto irgendwo, wo ich mich mit anderen Leuten verbinde, dann habe ich eine Art digitale Identität von mir geschaffen, und man kann berechtigt die Frage stellen, was soll mit der eigentlich nach dem Tod passieren?
Ist es sachgerecht zu sagen, das wird sofort gelöscht, wenn hinreichend belegt wird, dass diese Person nicht mehr lebt? Oder ist es nicht eigentlich im Sinne der Person, dass das zumindest in einer Art eingefrorenem Zustand noch da ist, sodass die einfach nicht digital verschwindet von einem Tag auf den anderen. Und das scheint mir hinter der Idee dieses Gedenkstatus von Facebook-Konten zu liegen. Das kann man sicher auch anders sehen, dass man sagt, das muss eigentlich sofort verschwinden. Und wenn ich es richtig in Erinnerung habe, bietet Facebook auch die Möglichkeit an, dass ich mich selber zu Lebzeiten entscheide, ob das sofort gelöscht werden soll oder nicht.

Kontrolle über das, was wir preisgeben

von Billerbeck: Allein, da habe ich meine Zweifel, muss ich sagen, so ein bisschen an den Altruismus von Facebook zu glauben. Und jeder von uns kann sich ja vorstellen, dass man als Jugendlicher vermutlich nicht dran denkt, dass man irgendwann in relativ kurzer Zeit stirbt und dass man sich deshalb darüber Gedanken machen muss. Da stellt sich also unabhängig von dem Berliner Prozess die Frage nach der Freiheit sozialer Kontakte im Netz, die sich ja so ein bisschen als das Ausgeliefertsein auch über den Tod hinaus darstellt. Es sei denn, man hat eben verfügt, dass dieses Konto gelöscht wird, wenn man stirbt. Aber das machen ja viele Jugendliche nicht. Wie kann man denn hier für Regelungen und für Lösungen sorgen?
Schulz: Die erste Frage wäre ja, gibt es hier tatsächlich ein Defizit in dem Bereich. Und ich würde jetzt überhaupt nicht sagen, dass Facebook nun ein altruistisches Unternehmen ist, sondern es ist eines, das davon lebt, das sein Geschäftsmodell darauf aufgebaut hat, dass es Kontakt zwischen Personen gibt. Aber unabhängig davon kann man sich fragen, wo hier Rechte und Interessen von Personen betroffen sind. Und da würde ich im Augenblick eher sagen, man muss sich fragen, inwieweit ist die Persönlichkeit insgesamt, auch von Lebenden, hinreichend geschützt? Haben wir genug Kontrolle über das, was wir preisgeben?
Ist es sinnvoll, dass als Grundeinstellung es natürlich im Interesse von Facebook liegt, dass man da möglichst viel teilt, während es in meinem Interesse sein kann, eher das auf einen Kreis zu beschränken? Das kann ich tun, aber in bestimmten Weichenstellungen wird mir eher nahegelegt, das weiter zu öffnen. Da gibt es wirklich Interessengegensätze zwischen dem kommerziellen Anbieter und möglicherweise demjenigen, der das nutzen will. Was jetzt das Gedenken angeht, kann ich im Augenblick eigentlich nicht erkennen, dass hier ein möglicherweise durch rechtliche Regelungen auszugleichendes Übergewicht von Facebook als Anbieter liegen kann. Also da spricht schon auch ein Argument dafür, so etwas wie Gedenkzustände hier zu haben.
von Billerbeck: Das Urteil vor dem Berliner Kammergericht, wird das ein Präzedenzfall werden für unseren Umgang mit diesen digitalen Hinterlassenschaften?
Schulz: Ich kann mir gut vorstellen, dass es zumindest ein Baustein ist und ein wichtiger Baustein für die Diskussion: Erst mal die Frage, was ist dieser Account bei Facebook eigentlich? Und dann diese übergreifende Frage, wie geht man mit der Konfliktsituation um, dass bei der Einsichtnahme in Material die Rechte von anderen Nutzern betroffen sein können? Da ist diese Entscheidung schon wegweisend.
von Billerbeck: Dann sind wir gespannt, wie sie heute gefällt wird. Informationen waren das vom Hamburger Rechtswissenschaftler und Rechtsphilosophen Wolfgang Schulz. Ich danke Ihnen!
Schulz: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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