Violinsonate von Johannes Brahms

"… in Erwartung der Ankunft einer lieben Freundin"

Eine Skulptur von Johannes Brahms von Maria Fellinger aus dem Jahr 1889
Eine Skulptur von Johannes Brahms von Maria Fellinger aus dem Jahr 1889 © picture alliance / dpa / Beate Schleep
Moderation: Michael Dasche · 10.05.2015
Eine "Liebes- und Lieder-Sonate“ nannte Max Kahlbeck die A-Dur-Violinsonate von Johannes Brahms - eine treffliche Charakterisierung, für die der Freund des Komponisten biografische Hintergründe ins Feld führte, für die er aber auch viel analytischem Scharfsinn aufwandte. Wie weit ist ihm darin zu folgen?
Diese Frage durchzieht die Erörterung des Werks und die vergleichenden Betrachtungen zu seinen Interpretationen. Ziemlich unstrittig ist wohl, dass Brahms' briefliche Äußerung, die Sonate sei "in Erwartung der Ankunft einer lieben Freundin“ komponiert worden, auf die von ihm umschwärmte Altistin Hermine Spieß gemünzt war. Die junge hübsche Sängerin hatte er als Solistin seiner "Alt-Rhapsodie“ kennen und schätzen gelernt. Und in der Folge entstanden für sie einige Lieder, darunter zwei Vertonungen von Texten seinen holsteinischen Freundes Klaus Groth: "Komm bald“ (op. 97, 5) und "Wie Melodien zieht es mir“ (op. 105, 5). Beide Lieder fanden Eingang in die Sonate, die Brahms während seines überaus ertragreichen Sommeraufenthalts nahe Thun, inmitten der reizvollen Landschaft des Berner Oberlandes, komponierte.
Die Sonate als Liebesgabe für die junge Frau anzusehen, mit der Brahms dann einige Tage in seinem Sommeridyll verbringen sollte, ist kaum mehr als eine pikante Spekulation. Unüberhörbar dagegen, dass die Musik von Natur- und Liebeslyrik inspiriert ist, dass sie in Themen und Formen eine genuin kantable und liedhafte Prägung aufweist: "Man schwelgt in den schön hinfließenden Melodien; eine wonnige, so rein musikalische Behaglichkeit…durchströmt die Spieler wie die Hörer“, so die bewundernden Worte, die der befreundete Arzt Theodor Billroth für das Werk fand.
Dass eine Sonate thematisch und formal fast ausschließlich im kantablen Sujet verharrt - das hatte Brahms selbst, im Zusammenhang mit dem Vorgängerwerk, der "Regenlied-Sonate“, nicht ohne Skepsis vermerkt. Er fürchtete gar, das Stück könne "langweilig“ sein. Abgesehen von dieser selbstironischen Übertreibung, wusste er den "Mangel“ an konflikthafter Zuspitzung zu kompensieren: durch eine "sich selbst genügende Präsenz“ der Themen, die "als tönende Inkunabeln von ‚Verweile doch‘ am liebsten bei sich selbst bleiben“ wollen, sich - "dem Paradox sogenannter ‚schöner Stellen’ gemäß -, dem Zeitverlauf letztlich verweigern“ (Peter Gülke).
Wenn Brahms die musikalische durchmessene Zeit nicht primär prozessual, sondern eher als etwas in sich Ruhendendes, Gedehntes, man könnte auch sagen: als "erfüllten Augenblick“ gestaltet, so rückt er damit einmal nicht in die Nähe des ohnehin allgegenwärtigen Beethoven, sondern in die von Franz Schubert. Das Brahmssche mit dem Schubertschen Idiom zu verschmelzen, scheint denn auch die eigentliche Herausforderung bei der Interpretation der A-Dur-Violinsonate zu sein.