Vierte Verfilmung von "Jugend ohne Gott"

"Es sollte sehr nah an unserer Realität sein"

Jannik Schümann in "Jugend ohne Gott"
Der Schauspieler Jannik Schümann in "Jugend ohne Gott" © Constantin Film Verleih
Alain Gsponer im Gespräch mit Susanne Burg · 02.09.2017
Schon drei Mal wurde Ödön von Horvaths Antifaschismus-Parabel "Jugend ohne Gott" verfilmt. Für die vierte hat Regisseur Alain Gsponer die Handlung in die nahe Zukunft verlegt. Ihm geht es darum, die Jugend wachzurütteln.
Susanne Burg: Es ist ein Klassiker der Schulbuchlektüre: Ödön von Horvaths "Jugend ohne Gott". Die Antifaschismus-Parabel aus dem Jahr 1937, bei dem die Nationalsozialisten zwar nicht genannt werden, aber klar erkennbar sind. Mehrfach ist der Roman bereits verfilmt worden, nun kommt die vierte Verfilmung ins Kino – eine sehr freie Adaption. Der Regisseur Alain Gsponer verlegt die Handlung in die nahe Zukunft, in die Berge. Hier sollen ehrgeizige Schüler in einer Art Assessment-Center darum kämpfen, in eine Eliteschule aufgenommen zu werden.
Der Film stellt dieser darwinistischen Leistungsgesellschaft ein verelendetes Proletariat gegenüber, die sogenannten "Illegalen". Ich habe den Schweizer Regisseur Alain Gsponer zum Interview getroffen und ihn erst mal dazu gefragt, warum er die Handlung in die Zukunft verlegt und aus dem nationalsozialistischen Kontext herausgehoben hat.
Der Regisseur Alain Gsponer kommt am 21.08.2017 zu seiner Filmpremiere "Jugend ohne Gott" im Mathäser Filmpalast in München. Das Filmdrama kommt am 31.August 2017 in die Kinos.
Im Gespräch: Der Regisseur Alain Gsponer © picture alliance / dpa / Ursula Düren
Alain Gsponer: Es gab ein paar Gründe dafür. Also ich habe mich wirklich damit beschäftigt, wie viele lesen das Buch überhaupt noch in der Jugend, und was können die damit anfangen, und zu meiner Überraschung, im Gegensatz zu mir, können die Jugendlichen sehr wenig mit diesem Roman anfangen, was eher enttäuschend war. Das hat mehrere Gründe: Ein Hauptgrund ist sicher, dass es zu stark geht, der Lehrer sieht sich gegen die Schüler. Das akzeptieren die nicht mehr so sehr, und trotzdem habe ich gesagt, das sind aber Themen, die ähnlich sich entwickeln heute und die man wirklich thematisieren müsste, und man muss das näherbringen den Jugendlichen heute.
Dann ist es der Ansatz gewesen, was machen wir. Wir haben uns darüber unterhalten und gesagt, wir müssen es mehr in die Realität der Jugendlichen bringen. Hier gibt es keinen Faschismus mehr bei uns in diesem System. Der Faschismus, der in unserer Verfilmung da ist, ist ein selbstgemachter Faschismus, also Sachen, die durch ständigen Wettkampf und Wettbewerb, in dem man steht, entstehen. Was passiert gesellschaftlich mit Menschen, die keinen Freiraum mehr haben, überhaupt Fehler zu begehen? Wen fördert die Gesellschaft nach oben? Es ist ein modularisches System, das sozusagen Menschen entstehen lässt, die dann in dieser Entmenschlichung teilweise ähnlich sind einem sehr organisierten faschistischen System wie in der NS-Zeit, und das wollten wir spiegeln, und das war der Hauptgrund, warum man entschieden hat, eine Dystopie eines Deutschlands in der nahen Zukunft zu zeigen.
Burg: Im Roman spaltet sich die Jugend ja auch in zwei Lager: einmal die christlich-humanistisch Orientierten und dann die nationalsozialistisch Orientierten. Die Frage, die dahintersteckt, ist ja: Ein System kann einen prägen, aber warum prägt es manche Menschen so und manche anders. Wie haben Sie diesen Gedanken aufgreifen wollen im Film?
Gsponer: Das Buch trägt sich in erster Linie durch den Lehrer, der natürlich ein Humanist in sich ist und nicht mehr an Gott glaubt und in einem Zweifel dann eher, sage ich mal, für mich eine katholische Erscheinung hat, die eher mit Heiligenerscheinung zu tun und dann zurück auch zu Gott findet. Bei uns in unserem Film wird es eher sein, dass persönliche Erfahrungen der einzelnen Protagonisten dazu führen, das System, also diese Kälte und die Entmenschlichung nicht stattfindet, indem sie gewisse Erlebnisse hatten. Also unsere Figur Zach verliert den Vater, und es ist unklar, warum er ihn verloren hat. Das wird alles nicht thematisiert. Jedenfalls hat er gemerkt, etwas stimmt nicht. Auch sein Vater ist an diesem System gestorben auf die eine Art und Weise oder gibt dem schuld, und er muss anders sein, und er hinterfragt das.

Also das sind persönliche Erfahrungen, die dazu führen, dass sie anders denken und dass sie nicht anfällig sind. Die anderen werden ja auch viel direkter als jetzt im Faschismus belohnt. Also wenn man gut ist und mitmacht, wenn man erfolgreich ist, wird man ja auch in diesem System sehr stark belohnt, und dadurch ist es auch einfach, so lange es rund läuft, auch mitzumachen. Man muss da nicht mal Mitläufer sein und gegen etwas zu sein wie in faschistischen Zeiten.

Alle Szenen in Deutschland gedreht

Burg: Diese Zach-Figur ist ja auch sehr spannend, weil seine Motive ja irgendwie unklar bleiben. Rebelliert er, hat er ein Ziel, ist er nur diffus gegen etwas oder was treibt ihn eigentlich an? Würden Sie ihn als eine klassische Heldenfigur beschreiben?
Gsponer: Er ist insofern ein Held, weil er außer seinem Frust so eine Rebellion hat. Die Rebellion löst auch gewisse Sachen aus. Die sind aber sehr ungerichtet. Er setzt sich dann für ein Mädchen ein, was eigentlich total sinnlos ist, aber das ist einfach in dieser Opposition zu dieser Gesellschaft, zu dem, was alles so wahnsinnig gut rund läuft, einfach so einen Sand ins Getriebe streuen, das ist er, und das knarzt dann, und es löst dann aus, dass andere Leute vielleicht auch anfangen nachzudenken, aber ganz klar: Er ist kein Anführer, er ist nicht jemand, der Leute mitreißt. Er ist jemand, der einfach rebelliert und einfach nein sagt, und das ist die Figur von ihm.
Burg: Also es gibt einmal die Elite, die auf einer Fahrt in einem Zeltlager oder so ähnlich zu großen Teilen ist, und dann gibt es die anderen, die einmal die Ausgestoßenen, die Abgehängten sind. Sie sagten schon, Sie haben daraus eine Dystopie gemacht. Wie dystopisch sollte diese andere Welt sein? Denn man gewinnt auch so ein bisschen Einblicke in diese andere Welt, in eine Schule, in eine Straße, aber wie nah sollte es dann doch auch an unserer Realität sein?
Gsponer: Es sollte sehr nahe sein an unserer Realität. Die Bilder, die wir gefunden haben, sind ja alle auch Deutschland, auch wenn das nicht so aussieht. Wir haben einfach eine Gesellschaft genommen, wo es sozusagen diese Mittelschicht nicht gibt. Also entweder man gehört zur Elite, steigt auf oder man fällt sehr stark runter. Eine Anekdote vielleicht, um das zu beschreiben: Als wir diese Schule gesucht haben in Frankfurt, wo diese Abgehängten vor sich hervegetieren mit Informationen, die werden nicht richtig unterrichtet, als wir die gesucht haben, haben wir wirklich ein sehr interessantes Schulgebäude gefunden im Keller, und das sah so schlimm aus – das ist ein echtes Schulgebäude –, dass wir es nicht mal mehr geglaubt hätten, und das ist ein Schulraum in Deutschland, und wir mussten dann etwas Schöneres nehmen, was aber immer noch grauenhaft aussieht, um das darzustellen, was wir da wollten, damit man es filmisch überhaupt noch glaubt, weil ich glaube, die Darstellung im Film ist schon sehr extrem, aber das ist eigentlich besser als gewisse Realitäten, die wir haben in Deutschland.

Botschaft ans Publikum: "Man muss sich engagieren"

Burg: Sie sind ja auch bekannt geworden für Ihre Kinderfilme, wie zum Beispiel "Heidi" von vor zwei Jahren oder auch "Das kleine Gespenst", jetzt eben ein Jugendfilm. Was reizt Sie daran, für die Jüngeren zu drehen?
Gsponer: Ich war völlig überrascht: Bei Kinderfilmen ist es das dankbarste Publikum, und man weiß, warum, wenn man den Film gemacht hat, mit dem Film on Tour ist, dann weiß man, warum man diese Filme macht. Das bewegt die sehr stark. Jetzt habe ich einen Jugendfilm gemacht, und das habe ich auch … ein bisschen didaktisch ist es schon auch von mir, weil ich glaube, wir sind in einer Zeit, wo viele Jugendliche das Gefühl haben, wenn sie auf Facebook oder bei Instagram etwas voten, das ist schon Mitbestimmung oder wenn sie etwas schlechtschreiben und mobben, ist auch Mitbestimmung, ist eine freie Meinungsäußerung, aber im Prinzip, die Zukunft wird sich sehr stark verändern. Wir haben einen demografischen Faktor, und die Jugend muss mitbestimmen, wie es jetzt in der Zukunft geht, und wenn man alles akzeptiert, was häufig jetzt der Fall ist, ist das schlecht. Es geht nicht um Rebellion und Zerschlagen von irgendwas und Aggression, sondern es geht um den Willen mitzubestimmen, und dafür ist das auch gedacht gewesen. Also nicht so, dass man wie bei dem Brexit, wenn der abgelehnt wird …, und dann merken die Jugendlichen, dass es gar nicht gestimmt hat, dass ihr ganzes Leben sich ändert und es zu spät ist. Man muss sich vorher engagieren.
Burg: Ich frage auch deswegen, weil im ersten Kinohalbjahr, wenn man sich die Zahlen anguckt, liefen sehr, sehr gut Kinderfilme beziehungsweise Jugendfilme. Der Film, der im ersten Halbjahr über eine Millionen Zuschauer ins Kino locken konnte, war der neueste Teil von "Bibi und Tina", kurz danach kam dann "Hanni und Nanni", und ich habe mich gefragt, ob in Deutschland Kinder- und Jugendfilme auch einfach sehr konkurrenzfähig sind gegen die Übermacht amerikanischer Filme.

Vergleich mit "Tribute von Panem" und "Maze Runner"

Gsponer: Jugendfilm ist noch mal was anderes. Das ist schwieriges Terrain, weil vor allem bei uns wir auch einen Genrefilm haben … also es keine Vergleichsfilme so ohne Weiteres gibt, aber was tatsächlich der Fall ist, ist, dass Deutschland eine Kinderfilmtradition hat und deswegen auch konkurrenzfähiger ist. Ein gutes Beispiel ist eine tolle Vorlesung, die ich mal auf YouTube gehört habe vom damaligen Pixar-Chef, der einfach gesagt hat, er macht keine Kinderfilme, sondern Filme für Erwachsene, die Kinder gucken können. Die Filme funktionieren fantastisch auch. Somit ist es Family-Entertainment, aber man hat bei Pixar oder allen digital animierten Filmen keine expliziten Kinderfilme mehr. Das ist ausgestorben. Das macht Deutschland noch, und dadurch haben sie ein Alleinstellungsmerkmal. Deswegen funktionieren die auch gut. Natürlich, bei "Bibi und Tina" ist es auch noch eine spezielle Sache. Da ist ja alles drin, da sind Pferde drin, und da sind erfolgreiche Kassetten, und da ist Musik drin. Es sind alle Komponenten drin, die zu einem wirklich erfolgreichen Film führen. Das haben sie sehr gut gemacht.
Burg: Und Sie sagten, der Jugendfilm an sich, den würden Sie da rausnehmen. Also der konkurriert dann schon wieder eher mit amerikanischen Filmen. Der Jugendliche an sich ist wahrscheinlich eher ein unberechenbares Wesen, weil man nicht weiß, in welche Richtung der sich orientiert, oder?
Gsponer: Das stimmt, ganz genau, weil wir haben diesen Trailer von uns veröffentlicht, und der wurde sofort mit "Tribute von Panem", "Die Bestimmung" oder "Maze Runner" verglichen. Natürlich sind Elemente so geschnitten. Es sind Filme, mit denen niemand in Deutschland überhaupt konkurrieren kann, rein ökonomisch, aber gleich da … So ein Film wird gleich sofort in diese Kategorie …, aber "Bibi und Tina" wird mit keinem amerikanischen Film verglichen, wenn man den Trailer sieht. Das gibt es da nicht. Also das ist schon wirklich ein schwierigeres Segment, eindeutig.
Burg: Mal schauen, wie er sich dann schlägt an den Kinokassen. Vielen Dank!
Gsponer: Danke sehr!
Burg: Der Regisseur Alain Gsponer. Sein Film "Jugend ohne Gott" läuft seit Donnerstag in den Kinos.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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