Vielstimmiges Miteinander

Rezensiert von Anke Leweke · 17.03.2006
Höchstwahrscheinlich der schönste Moment der diesjährigen Oscarverleihung: Meryl Streep und Lily Tomlin kamen auf die Bühne, um Robert Altman den Oscar für sein Lebenswerk zu überreichen. Sie spielten seine filmische Methode nach: Sie fielen sich gegenseitig ins Wort, liessen die andere nicht ausreden. Altmans Prinzip der Polyphonie kann man sich jetzt mit derDVD-Edition des 1978 gedrehten Meisterwerks " Eine Hochzeit" vergegenwärtigen.
"Alle glauben, ich erfand die überlappenden Dialoge. Ich denke, es ist absurd, das zu sagen, denn so reden die Leute. Leute hören nicht zu. Sobald Du einen Satz anfängst, glaubt mein Gehirn zu wissen, worum es geht und ich habe eine Antwort parat und will dich unterbrechen und weiter springen. Wir reden weiter, weil wir uns nicht bremsen können. Also reden Leute gleichzeitig, nehmen gleichzeitig auf, so kommunizieren wir."

Schon allein die Dokumentation über Robert Altmann, die auf einer Zusatz DVD vorliegt, lohnt den Kauf. Wir lernen einen völlig uneitlen Regisseur kennen, der sich eher als Handwerker denn als Künstler versteht. Entstanden ist die Dokumentation während der Dreharbeiten zu "Vincent von Gogh". Wir sehen Altmann bei der Arbeit am Set, am Schneidetisch und im Gespräch mit den Schauspielern. Ausführlich führt er uns in die einzelnen Arbeitsphasen ein. Von der Pike auf hat Altmann sein Fach gelernt, zunächst drehte er Industriefilme und konnte dort erste Erfahrung in Umgang mit Kamera- und Schnitttechnik machen, die nächsten Lehrjahre fanden dann beim Fernsehen statt.
"Und dann ging ich zum Fernsehen, versuchte, dort meinen Fuß rein zu bekommen. Ich drehte hunderte von Stunden halbstündiger Fernsehprogramme. Unter anderem mehrere Folgen der Westernserie 'Bonanza'. In dieser Zeit lernte ich, wann man welche Technik einzusetzen hat. Und ich lernte, mit Schauspielern zu arbeiten, sie zu verstehen und zu respektieren. Die Künstler im Filmgeschäft sind die Schauspieler. Sie stehen im Ring und müssen kämpfen."

Und Robert Altmann ist ihr Dompteur, Dirigent und Choreograph. Wie kaum ein anderer Regisseur versteht er es ein großes Schauspielerensemble zusammen zu halten. In "Short-Cuts", "Nashville" oder eben "Eine Hochzeit" verfolgt er in nahtlos ineinander übergehenden Kamerabewegungen und flüssigen Schnittfolgen bis zu 20 Helden und Heldinnen gleichzeitig. In "Eine Hochzeit" ist es Geraldine Chaplin in der Rolle einer professionellen Zeremonienmeisterin, die die Festgesellschaft mit ihrem Regelwerk mehr schlecht als recht zusammenhält:

Ohne dass seine Regie jemals in den Vordergrund tritt, verwebt er ihre Lebensläufe und Schicksalslinien miteinander. Dabei entsteht ein zugleich wahrhaftiges und schonungsloses Porträt der amerikanischen Oberschicht, die vor allem durch Betrug und Selbstbetrug zusammengehalten wird. In "Eine Hochzeit" nutzt Altman die Festlichkeiten rund um den schönsten Tag der Welt für einen hundsgemeinen Blick hinter den schönen Schein. Gerade ist im oberen Stockwerk die Großmutter gestorben, deren Tod aber geflissentlich vertuscht wird, um das Fest nicht zu stören.

Mehr dunkle und dreckige Geheimnisse durchstoßen die prächtige Fassade des großen Fests. Der Vater des Bräutigams ist ehemaliger Mafioso, seine Frau ist drogenabhängig. Die Mutter der Braut steht kurz vor der einem Seitensprung und die Schwester der Angetrauten erwartet ein Kind vom Bräutigam. Nach und nach entpuppt sich die Hochzeit als Bankrotterklärung einer Gesellschaft, die sich an hohle Formen klammert, sich im seichten Konversationston aber fortwährend selbst entlarvt. Auch die Standesunterschiede zwischen den beiden Familien lassen sich nicht mehr überdecken:

In "Eine Hochzeit" ist die Kamera Voyeur, Geheimagent und Klatschreporter, bringt Geständnisse und Entblößungen zum Vorschein. Immer wieder wurde Robert Altman Zynismus vorgeworfen. Doch schwebt über dem vielstimmigen Miteinander all dieser kaputten Figuren eine leise Trauer. Ratlos, verzweifelt und leer starren die Figuren auf eine Welt, in der sie sich nur noch wie soziale Zombies zu bewegen scheinen. Wie kaum ein anderer Regisseur verbindet Robert Altman Musik, Sprache und Bildkomposition zu einem filmischen Gesamtkunstwerk. Dennoch begegnet man im Interview auf der DVD zu "Eine Hochzeit" einem Regisseur, der weit davon entfernt ist, sein eigenes Schaffen zu glorifizieren.

"Ich weiß nicht, ob man Filme je zu den höheren Künsten rechnen wird. Wahrscheinlich nicht. Aber das ist nun mal unsere Arena und wir zappeln darin herum. Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll. Ich kichere und sage nichts dazu."


Robert Altman: Eine Hochzeit
2-DVD-Set,
Arthaus.