"Viele sagen: Wir sind keine Europäer"

Falk Richter im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 15.06.2012
Von einer "enormen Identitätskrise" unter jungen Griechen spricht Falk Richter, Theaterregisseur, der gerade in Griechenland gearbeitet hat. Das Bedürfnis zu reden und die Situation zu verstehen sei sehr hoch. Die Wahl am Sonntag mache vielen Griechen Angst.
Liane von Billerbeck: "Wir fallen - zurück". So steht es über einem Text, den der Theaterregisseur Falk Richter geschrieben hat, im heutigen "Tagesspiegel", und er beschreibt darin die Lage in Griechenland vor der Wahl am Sonntag, bei der Links- oder Rechtsextreme an die Macht kommen könnten. Falk Richter, der seit Jahren als Autor und Regisseur für die Berliner Schaubühne arbeitet, außerdem fürs Wiener Burgtheater und das Zürcher Schauspielhaus. Seine Stücke "Electronic City", "Unter Eis", "Trust", "Protect me" wurden in 25 Sprachen übersetzt und werden weltweit gespielt. Mit dem Stück "Protect me" war Falk Richter nach Griechenland eingeladen. Er hat dort auch eine Masterclass gegeben, und kurz vor unserer Sendung habe ich mit ihm am Telefon sprechen können. Herr Richter, wie haben Sie Griechenland, wie haben Sie Athen kurz vor der Wahl erlebt?

Falk Richter: Ja, eine große Unsicherheit, wo es hingeht. Und viele grundsätzliche Fragen, die die Leuten sich jetzt stellen. Also, es wird ganz existenziell: Sind wir Europäer? Was sind wir eigentlich? Sind wir wirklich so, wie die Nordeuropäer uns beschreiben, dieses korrupte, faule Volk, was nichts auf die Reihe bekommt. Und es ist die Frage, was passiert eigentlich? Also, was würde jetzt passieren, wenn wir wirklich aus dem Euro rausfliegen. Oder wenn wir weitermachen, wenn wir weiter diese Sparauflagen erfüllen müssen. Ich glaube, das Problem ist, dass alle das Gefühl haben, es wird im Moment nur schlechter. Oder es gibt keine wirklich positive Aussicht, für die man kämpfen könnte.

von Billerbeck: Nur ist das ja so eine grundlegende Krise, die sorgt ja bekanntlich immer für so ein Wechselbad der Gefühle. Von "es wird schon irgendwie weitergehen" bis zu Wut und Hass - was überwiegt denn?

Richter: Im Moment überwiegt, glaube ich, der Hass. Und der ist vor allen Dingen gegen Deutschland bemerkbar. Es gibt sehr viel Wut auf Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, mit dem die ganzen Sparauflagen verbunden werden. Und die große Frage ist immer, an wen geht eigentlich das Geld, was im Austausch mit den Sparauflagen gezahlt wird an Griechenland. Das geht ja nicht an die Bürger. Das heißt, die Sparauflagen, die machen das Leben dort wirklich unangenehm, Leute verdienen weniger oder zum Teil haben sie gar keine Jobs mehr. Und gleichzeitig ist unklar, an wen dieses Geld ausgezahlt wird. Es wird wahrscheinlich an irgendwelche Leute gezahlt, die Staatsanleihen aus Griechenland gekauft haben und die vielleicht gar nicht in Griechenland leben.

von Billerbeck: Wie können sich denn in so einer Situation gerade die Kulturschaffenden über Wasser halten?

Richter: Es gibt Leute, die zum Beispiel ein Theater besetzen und dort erst mal nur auf einen Abend spielen, also die jetzt erst mal Theater machen, weil sie es machen wollen. Ich habe auch mehrere junge Regisseure getroffen, die außerhalb von den Theatern inszenieren. Das heißt, die inszenieren zum Beispiel in so Hinterhöfen und machen da Inszenierungen und machen es eigentlich mit sehr, sehr wenig Geld. Dann gibt es natürlich immer noch die großen staatlichen Institutionen, die haben noch weiterhin Geld. Es ist ja nicht so, dass keiner mehr Geld hat in Griechenland, sondern es gibt immer noch sehr reiche Leute und es gibt auch noch ein paar Staatstheater, die Geld haben, aber es ist eher so, dass sozusagen - ab der Mitte abwärts, da wird es eng. Und gerade, was die jungen Leute angeht, die so noch unter 35 sind, die haben Schwierigkeiten. Und die, ja, die machen dann weiter. Die machen es dann für weniger Geld.

von Billerbeck: Sie waren da eingeladen zum Gastspiel, und Sie haben auch eine Masterclass unterrichtet. Unter welchen Umständen hat das alles stattgefunden?

Richter: Na ja, das war in einem ganz edlen Institut, also das ist die Onassis Foundation des verstorbenen Milliardärs Onassis, der auch mit Jacky O. und so weiter zusammen war. Das Geld dieses Unternehmens geht in die Kulturförderung, und insofern ist es so ein sehr großes, teures Gebäude, was komplett gesichert wird von Sicherheitsdiensten, das ist ganz interessant für deutsche Verhältnisse, wir kennen das so nicht.

Das heißt, wenn man in den Seminarraum rein geht, dann muss man irgendwie seinen Namen auf einer Liste erst mal angeben und es hat so eine Schickheit und davor stehen zwei Wächter. Aber sonst war es sehr, sehr interessant. Natürlich ist gerade unglaublich viel Bedürfnis da, zu reden und die Situation zu verstehen. Und vielleicht sogar auch mal von jemandem von außen zu hören, was ich denn also denke oder wie ich vielleicht darauf reagieren würde als Theatermacher und Autor. Und insofern war das eine unglaublich interessante Zeit. Auch sehr turbulent. Viele Auseinandersetzungen, es wurde viel gestritten, gerade über die Frage, was ist Europa, wo geht das hin.

von Billerbeck: Fühlen sich die Griechen denn noch als Europäer?

Richter: Viele sagen, wir sind keine Europäer. Wenn wir nach Paris fliegen, dann sagen wir immer, wir fliegen morgen nach Europa. Und viele sagen auch, sie sind da so ganz unten in Europa und sie haben das Gefühl, irgendwie haben sie damit gar nicht so viel zu tun. Aber ich habe das Gefühl, es gibt gerade eine enorme Identitätskrise oder große Frage wirklich danach, wer sind wir eigentlich?

Also, die kriegen ja jetzt unentwegt gesagt, dass sie das schlimmste Volk sind Europas, dass sie Europa zum Einsturz bringen. Einer der Studenten hat irgendwie gesagt, wir sind die Teufel Europas, wir bringen den Neoliberalismus zum Einstürzen und wahrscheinlich fliegt der ganze Euro uns allen um die Ohren. Und das führt manchmal zu so einer Art Fatalistischen Haltung, es ist sowieso alles egal, wir sind so ein bisschen wie die Selbstmordattentäter. Und manchmal auch zu einer sehr großen Nachdenklichkeit. Also, wie kann man eigentlich jetzt, angesichts der Krise, für ein neues Europa kämpfen, also ein anderes Europa, wo es mehr auch um die gemeinsamen Werte und nicht nur um das Geld geht.

von Billerbeck: Nun haben Sie Theaterleute unterrichtet in einer Masterclass. Spielen da diese Themen, diese Krise, diese Auseinandersetzung, die Frage, wer sind wir, was sind wir, auch eine Rolle? Was bringen die auf die Bühne?

Richter: Das ging in meiner Masterclass genau darum, dass man sich mal die Frage stellt, wie kann man die aktuelle Situation, die soziale, die wirtschaftliche, aber auch die persönliche, auf die Bühne bringen? Und das haben wir eigentlich so gemacht, indem wir erst mal einfach geredet haben. Also, was geht uns gerade durch den Kopf? Was haben wir in letzter Zeit beobachtet, was uns hängen geblieben ist im Kopf, und das sind natürlich oftmals diese Fragen, was Griechenland, wohin geht das.

Eine Teilnehmerin hat zum Beispiel darüber berichtet, wie sie den ganzen Tag auf der Bank zugebracht hat und man ihr immer gesagt hat, das System ist zusammengebrochen, wir kommen gerade nicht an das Geld ran. Und da war unglaubliche Scham, und die haben dann eben so Sätze gesagt wie, wir warten jetzt auf jemanden, der das System repariert, damit wir wieder an Geld rankommen. Und das sind natürlich sehr starke, metaphorische Sätze, die man auch für das ganze Land so nehmen kann. Und letztlich haben wir sozusagen daran gearbeitet, wie man, ja, wie man eventuell über das Sprechen über die aktuelle Lage zu einem Theatertext finden kann.

von Billerbeck: Nun wird am Sonntag gewählt in Griechenland. Es besteht die Möglichkeit oder die Gefahr, sagen auch manche, dass Links- oder Rechtsextreme an die Macht kommen. Was sind da die größten Ängste unter den Griechen, mit denen Sie zu tun hatten?

Richter: Es gibt eine große Angst, dass - also es gibt zwei Ängste. Einmal, dass die Faschisten, die wirklich schlimm sind in Griechenland, also die wirklich Naziparolen von sich geben und alle Ausländer rausschmeißen wollen und so Bürgerwehren gegründet haben, das ist wirklich eine schlimme Partei, dass die an Macht gewinnen. Und die andere Gefahr ist, dass gar nichts zustande kommt und eventuell eine Militärregierung irgendwann übernimmt. Eventuell sogar eine, die dann von Europa geduldet wird, weil man so denkt, na ja, irgendwann haben die Nordeuropäer auch die Nase voll und denken, da soll endlich mal Ruhe sein. Also man irgendwie ein bisschen Angst, dass es entweder ganz schlimm wird oder dass so gar kein richtiges Ergebnis herauskommt und man so im Chaos endet.

von Billerbeck: Sie haben erzählt, dass Angela Merkel und Wolfgang Schäuble nicht gerade die beliebtesten Politiker in Griechenland sind. Sie sind auch Deutscher und haben in Griechenland gearbeitet. Wie war das für Sie? Wie ist man mit Ihnen umgegangen?

Richter: Also ich muss sagen, es war das erste Mal gab es - seit meiner Interrail-Zeit wieder Momente, wo ich Situationen hatte, wo ich nicht so gern erzählt habe, dass ich Deutscher bin. Also richtig, dass ich gemerkt habe, das Bild der Deutschen in Europa verschiebt sich gerade wieder und wir werden wieder so assoziiert mit denen, die die Macht haben wollen, die den anderen sagen, wo es lang geht, die das Bild des nordischen, rationalen, gut strukturierten, arbeitsamen Menschen entwerfen im Gegensatz zu dem faulen, korrupten Südländer.

von Billerbeck: Was erhoffen Sie sich für die Wahl in Griechenland am Sonntag.

Richter: Die Lage ist wirklich ganz schön kompliziert, weil die alten Parteien ja so korrupt sind, dass man gar nicht so richtig sagen kann, hoffentlich kommen die alten Parteien dran. Das Schlimme ist nur, dass die neuen Parteien ja auch nicht besser sind.

von Billerbeck: Die Wahl zwischen Pest und Cholera?

Richter: Ich persönlich glaube, würde mir irgendwie jetzt doch eine gemäßigtere Partei wünschen, die in der Lage ist, das Land wieder zu einen. Also, weil im Moment, das ist auch sehr zerstritten und - also dieser Moment der Krise setzt auch nicht unbedingt die guten Eigenschaften bei den Menschen frei, sondern das wird irgendwie so ein bisschen zerstrittener, missgünstiger, aggressiver und ganz wenig konstruktiv. Insofern wünsche ich mir eigentlich eine Beruhigung. Und so Kräfte, die sich wirklich überlegen, okay, wie kann man die Leute mobilisieren, dass man noch mal eine neue Idee für dieses Land entwirft: was könnte jetzt als Nächstes passieren? Und vor allem Entscheidungen. Also, wir wollen in Europa bleiben, wir wollen im Euro bleiben, und wie machen wir das?

von Billerbeck: Das sagt der Theaterregisseur Falk Richter über die Lage in Griechenland, wo er zum Gastspiel eingeladen war und auch unterrichtet hat. Herr Richter, ganz herzlichen Dank!

Richter: Danke auch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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