Viele Ärzte mit Zeitvertrag

Prekäre Beschäftigung an der Charité

06:13 Minuten
Prof. Dr. Markus Scheibel bei einer OP in der Charité.
Rund 150.000 Patienten werden in der Berliner Charité jährlich stationär behandelt. © picture alliance / Rolf Kremming
Von Benjamin Dierks · 15.04.2019
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Die Berliner Charité ist das größte Krankenhaus in Europa. Rund drei Viertel der Ärzte sind befristet angestellt, zum Teil seit vielen Jahren über Kettenverträge. Das sei auch eine Folge der Sparpolitik des Berliner Senats, sagen Kritiker.
Das Charité-Hochhaus in Berlin-Mitte, Herz des berühmtesten Krankenhauses Deutschlands. Gut 150.000 Patienten werden hier jährlich stationär behandelt, von insgesamt 2800 Ärztinnen und Ärzten. Dreiviertel der Mediziner sind befristet angestellt. Das hat eine kleine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Catherina Pieroth im Berliner Abgeordnetenhaus zu Tage gefördert.
"Bei der Anfrage kam heraus, dass von 2812 Medizinerinnen und Medizinern 2077 befristet angestellt sind."
Die Charité darf Beschäftigte als wissenschaftliche Einrichtung nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz befristet einstellen, wenn es Lehre und Forschung verlangen. Ein Anteil von 75 Prozent befristet Angestellten ist hoch. Der Verband der Universitätsklinika Deutschlands gab an, dass auch andere Unikliniken in Deutschland einen ähnlich hohen Anteil befristeter Ärzte hätten. Catherina Pieroth vermutet, dass die Charite das Gesetz nutzt, um ihren Beschäftigten eine unbefristete Anstellung zu verwehren. Selbst von den Oberärzten seien noch 20 Prozent ohne dauerhafte Anstellung, sagt Pieroth.
"Ich denke mal, dass Zeitvertragskarrieren bis zur Oberärztin, bis zum Oberarzt gar nicht gehen. Die Charité hat auch einen Versorgungsauftrag und 75 Prozent sind nie und nimmer in Lehre und Forschung tätig."
Pieroths Skepsis wird von dem bestätigt, was Mediziner aus der Charité berichten. Eine langjährig beschäftigte Fachärztin hat uns ihre Situation geschildert. Sie will unerkannt bleiben. Deswegen haben wir ihre Aussagen nachgesprochen:
"Meine längste Vertragszeit war drei Jahre und die kürzeste ein Jahr; und so ist es immer weitergegangen. Als ich jünger war, habe ich mich noch freier gefühlt, aber das hat sich geändert. Jetzt wird mir deutlich, in was für eine Lage ich mich gebracht habe, indem ich nicht dafür gesorgt habe, in einem sicheren und stabilen Arbeitsverhältnis zu sein."

"Der Leistungsdruck ist sehr hoch"

Die Charité erklärte die befristete Anstellung der Ärztinnen und Ärzte damit, dass viele von ihnen ausgebildet würden. Andere Befristungen seien Sonderfälle. 1000 Ärzte befänden sich allein in der Facharztausbildung. Darüber hinaus säßen viele an ihrer Promotion oder Habilitation. Als Ausbildungsbetrieb brauche die Uniklinik junge Ärzte, um Innovationen voranzutreiben. Dem widerspricht der Ärzteverband Marburger Bund nicht grundsätzlich. Allerdings spreche auch niemand davon, alle Ärzte unbefristet anzustellen, sagt Geschäftsführer Reiner Felsberg.
"Es ist ganz selbstverständlich, dass an Wissenschaftseinrichtungen junge Wissenschaftler befristete Verträge kriegen. Das ist auch in der Medizin an Fakultäten üblich. Aber der Umfang ist enorm. Und was dazu kommt, dass diese jungen Ärztinnen und Ärzte, die eh schon unter permanentem Stress arbeiten, weil der Leistungsdruck sehr hoch ist, weil der Zeitdruck sehr hoch ist, dass die noch nicht mal einigermaßen Familien- und Lebensplanung machen können."
Das bestätigt die betroffene Ärztin. Sie selbst ist Mutter und kam nach mehreren Schwangerschaften stets zurück in die befristete Beschäftigung. Sie berichtet von jungen Kolleginnen, die gern Kinder bekommen würden, sich das angesichts der unklaren Beschäftigungsverhältnisse aber nicht zutrauten. Auch, weil die Verträge stets äußerst kurzfristig verlängert würden.

Ständige Unsicherheit für die Ärzte

"Es kommt regelmäßig vor, dass Mitarbeiter erst in der Woche oder auch nur einen Tag bevor ihr Vertrag endet, einen neuen vorgelegt bekommen. Bei meinen ganzen Verlängerungen habe ich vielleicht einmal den Vertrag schon zwei Monate vorher gehabt, sonst war es immer sehr kurzfristig."
Auch sie verstehe, dass die Charité ausbilden müsse und in Forschung und Lehre befristet einstellt, etwa, wenn eine Promotion oder ein Forschungsvorhaben ansteht. Der Bedarf der Charité gehe aber weit darüber hinaus.
"Es werden ja Menschen gebraucht, die an der Front kämpfen und eine klinische Versorgung sicherstellen, wie sie an der Charité gewün scht ist und wie man es ja auch machen will. Dafür braucht man erfahrene Leute, die wissen, was sie tun."

Berliner Senat will die Zahl der Zeitverträge senken

Auch politisch ist die hohe Zahl befristeter Ärzte ein Problem. Berlin hat sich zum Ziel gesetzt, die Gesundheitsstadt Europas zu werden. Deswegen will der zuständige Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung, Steffen Krach, die Verhältnisse an der Charité ändern.
"Es gibt einen Fachkräftemangel insgesamt in Deutschland und natürlich ist es ein Wettbewerbsvorteil, wenn man gute Beschäftigungsbedingungen anbietet. Und dazu gehört eben auch die Frage, ob ein Vertrag befristet oder unbefristet ist. Und wir werden jetzt mit der Charité sprechen, wie man mit der sehr hohen Quote an befristeter Beschäftigung bei den Ärztinnen und Ärzten umgehen kann."

Befristungen sind auch eine Folge der Sparpolitik

In der Charité soll künftig ein allein für Personal zuständiger Vorstand für bessere Arbeitsbedingungen sorgen. Dazu gehört auch, dass zwei bislang ausgelagerte Tochterbetriebe für Gebäude- und Anlagenmanagement sowie für Physiotherapeuten an der Charité wieder ins Stammhaus und damit in den Tarifvertrag eingegliedert werden. Krach räumt allerdings ein, dass die Sparpolitik des Berliner Senats mitverantwortlich sei für die Personalzustände in der Charité.
"Wir haben in den letzten 10, 15 Jahren auch Beschlüsse gefasst vom Senat, die dazu geführt haben, dass wir bei den Beschäftigungsverhältnissen da sind, wo wir gerade sind."
Der Senat habe die Charité jahrelang zu einem harten Sparkurs gedrängt. Noch vor zehn Jahren habe das Krankenhaus ein Defizit von 58 Millionen Euro ausgewiesen. Im vergangenen Jahr schloss es erneut mit einem leichten Plus ab. Die Haushaltskassen seien jetzt etwas voller, sagte Krach. Ob die Charité mehr Geld erhalten solle, sagte er aber nicht.
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