Videonale im Kunstmuseum Bonn

Zersplitterte Realität im Film

05:11 Minuten
Das Bild Zeiht links einen Menschen von hinten, der auf einem Bett sitzt, auf der rechten Seite sieht man ein menschliches Gesicht.
Eine Slideshow der Gewalt, der Armut, des Aufstands ist das Video "The Lost Head & The Bird" des indischen Künstlers Sohrab Hura. © (c)SohrabHura
Von Rudolf Schmitz · 21.02.2019
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"Refracted Realities" lautet das Motto der 17. Videonale in Bonn. Die Filme sind mal bierernst, mal genderbezogen verspielt, mal sprachakrobatisch überdreht. Sie haben viel mit Politik zu tun und halten der Wirklichkeit den Spiegel vor.
Eine Slideshow der Gewalt, der Armut, des Aufstands. Das Video des indischen Künstlers Sohrab Hura serviert eine Bilderflut aus immer schneller geschnittenen Fotosequenzen, die soziopolitische Ereignisse in Indien mit Popkultur kreuzen, bis uns Betrachtern die Luft ausgeht. Das ist der politisch gefährliche Jahrmarkt der Stimmungen und Emotionen, aber diese Bildsplitter hinterlassen uns bei aller Faszination auch ein wenig ratlos.
Klar jedenfalls ist: Die 29 Videos, in installativer Weise präsentiert, auf prismenartigen Raumgebilden, haben viel mit Politik zu tun. Mal bierernst, mal genderbezogen verspielt, mal sprachakrobatisch überdreht, beispielsweise in diesem Video: "Weiß, weiß, weiß? Was ist das alles? Bin ich etwa wirklich gelb? Oder grün vielleicht? Am I really black? Bist Du wirklich weiß? Oder blue-blau? Oder pink? Oder kleinkariert vielleicht? Oder was?"

Sprachakrobatik und Körpergymnastik

Im Video "Hostel" von Stefan Panhans sieht man fünf Darsteller und Darstellerinnen in einem Hostel-Zimmer, die nicht nur Körpergymnastik, sondern auch geistige Dehn- und Kraftübungen vollziehen. Es geht um alltäglichen Rassismus, um Konsumversprechen, um digitalisierte Selbstoptimierung, um Casting, Kunst und Schauspiel. Und um die Karriere- und Lebens-Warteschleifen, in denen wir allzu oft gefangen sind. Nicht nur die Refugees, die Flüchtlinge. Im Video hören wir:
"Meist sind solche Rollen in so Filmen so aufgebaut, als ob man als fugitive, als refugee, als Flüchtling, schon auf die Welt gekommen wäre. Pfifferling, Widerling, Pflegling, Schädling, Säugling, Schützling, Schönling, Schwächling, Hänfling, Flüchtlinggelinggeling".

Zeitgenössische Poesie aus Werbeprospekten

Der Videokünstler Stefan Panhans hat eine Mischung aus Gameshow, Doku-Reality-Soap und Kammerspiel produziert. Sitzsäcke, Gymnastikbänder und Hanteln vor den Screens machen es zu einem Vergnügen, die vier Hostel-Episoden zu verfolgen.
"Also ich zitiere oft aus Werbeprospekten", sagt Stefan Panhans. "Aus Mails, aus redaktionellen Texten, aus Filmen und mach daraus eine Cut-up-Collage. Das mag ich sehr gerne, denn diese Texte sind für mich so eine Art zeitgenössische Poesie".

Tendenz zu konventionellen Erzählformen

Virtuelle Realität - also 3D-Brille aufsetzen -, gibt es auf dieser 17. Videonale überhaupt nicht. Das lag diesmal, anders als sonst, an der mangelnden künstlerischen Qualität der eingereichten Arbeiten. Aber anscheinend hat die Tendenz zu eher konventionellen Erzählformen auch mit dem Wunsch zu tun, angesichts einer zersplitterten Welt nicht noch mehr Eskapismus zu befördern.
Ein Video wie das von Clemens Wedemeyer zum Thema der Crowd-Control-Software, also der simulierten Steuerung von Menschenmassen, führt ohnehin schon in die Welt machtpolitisch genutzter Digitalisierung.
Kuratorin Tasja Langenbach: "Wie wir da vielleicht heute schon mit unseren Bewegungen im öffentlichen Raum kontrolliert werden, wahrgenommen werden, aufgezeichnet werden, wie auch Daten, die aus sozialen Medien da mit reingespeist werden in diese Software, uns erkennen, auf eine Art und Weise, die sehr umfassend ist. Mit diesen Daten wird umgegangen und diese Daten werden verarbeitet. In der Zukunft kann man sich vorstellen, dass damit weitergehend beeinflusst wird, wie wir Menschen im öffentlichen Raum auch treffen – das sind alles Möglichkeiten, die er in diesem Video durchspielt."

Vision von wünschenswertem Leben

Inmitten der latenten Überforderung, die das aufmerksame Anschauen von 29 Videos bedeutet, sind es die einfachen Erzählformen und sorgfältig komponierten Bilder, die am nachhaltigsten beeindrucken.
Wie das Video der Iranerin Maryam Tafakory. Die Bilder stammen aus einem iranischen Krafttrainingsraum, traditionell ausschließlich Männern vorbehalten. Die "Frau" ist anwesend als Hand, als nackter Fuß, als Stimme, als Flüstern.
Es ist eine Stimme, die sich gegen jede Ausgrenzung wehrt. Die Macht der Stimme und der Schrift, montiert gegen rätselhaft geheimnisvolle Bilder. Mehr braucht es nicht, um der zersplitterten Wirklichkeit eine Vision von heilendem Bewusstsein und wünschenswertem Leben entgegenzuhalten.

Die Ausstellung "Videonale.17 - Refracted Realities - Festival für Video und zeitbasierte Kunstformen" im Kunstmuseum Bonn ist bis zum 14.4.2019 zu sehen.

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