Videoinstallation

Bizarrer Vandalismus am Klavier

Von Rudolf Schmitz · 04.09.2014
Hämmern, Hacken, Tasten festnageln: In einer Videoinstallation zeigt die Künstlerin Andrea Büttner die Zerstörung von Klavieren durch Männer - und das virtuose Klavierspiel von Frauen. Eine simple Gender-Abrechnung ist ihr Werk jedoch nicht.
Männer zerstören Klaviere und Frauen spielen Chopin. So einfach könnte man es sich machen, angesichts von Andrea Büttners neuer Videoinstallation. 40 Minuten Klavierzerstörung aus den Jahren 1959-2009, dargestellt auf vier parallelen Leinwänden, dann ein weiteres Video mit neun Pianistinnen, die synchron Chopin, Schumann, Monteverdi spielen. Sobald die Pianistinnen spielen, werden die Bilder der Klavierzerstörung stumm geschaltet.
Also Männer gegen Frauen, Destruktion gegen Virtuosität, Barbarei gegen Kultur? So einfach ist es aber nicht. Weil das zum Beispiel die humoristisch bilderstürmerischen Absichten der Fluxus-Bewegung, ihre antibürgerlichen und der Neuen Musik verpflichteten Aktionsformen unterschlagen würde. Und weil bei Andrea Büttner nichts einfach nur einfach ist. Mit der Einteilung des Lebens in Schwarz und Weiß, mit simplen Gender-Abrechnungen will sie nichts zu tun haben:
"Ich hab selbst Klavier spielen gelernt als Kind, und fast alle meiner Freundinnen haben Klavier spielen gelernt und das war der Grund, dass ich diese Mädchen auch als Gruppe zeigen wollte, wie die Männer als Gruppe sichtbar sind, und in beiden Fällen sind das merkwürdige Gruppen..."
Andrea Büttners Recherche zum Thema "Klavierzerstören" fördert bizarre Vandalismen ans Tageslicht: Hämmern, Hacken, Pressluftbohren, Trampeln, Springen, Milch vergießen, Tasten festnageln, Klaviere vom Kran aus auf das Pflaster schmettern. Aber wie lange sind solche Gesten eigentlich radikal? Büttner:
"Dadurch dass es so viele sind, wird das Heroische an der Klavierzerstörung zweifelhaft. Und diese Wiederholung ist beim Spielen eines Klaviers ganz anders, das schwächt sich nicht ab in dieser Weise".
Spaß beim Zerlegen und Zweckentfremden
Dass Andrea Büttner sich allerdings nicht einfach nur auf die Seite der Frauen schlägt, zeigt der zweite Raum der Ausstellung. Denn dort hängt unter anderem ein Holzdruck, den die Künstlerin mit Teilen eines zerlegten Klaviers gemacht hat. Und sie gibt zu, wie viel Spaß ihr dieses Zerlegen und Zweckentfremden gemacht hat.
Raum 2 dieser Ausstellung versucht ein Problem zu stemmen, das mindestens so schwergewichtig ist wie ein Klavier. Denn es geht um die Frage, woher unsere Urteile überhaupt kommen, wenn wir der Kunst begegnen. Es geht um Immanuel Kants "Kritik der Urteilskraft". Und in dieser Schrift von 1790 gibt der Philosoph Begründungen für das ästhetische Urteil.
Andrea Büttner hat sich gefragt, welche Bilder Kant beim Nachdenken vor Augen gehabt haben mag. Teilweise kennt man seine Privatbibliothek, teilweise ist die Künstlerin von ihren eigenen Assoziationen ausgegangen. Und hat dazu Bilder aus dem Internet heruntergeladen. Das alles präsentiert sie auf elf großen Postern.
Andrea Büttners Anspruch ist gewaltig
"Es gibt eine enge Anbindung an Kant, weil Andrea Büttner behauptet, dass das Kants Bilder sind. Die hat sie sich nicht ausgedacht, sondern Kant spricht von Blumen, von Schuhen, von Katastrophen, und sie hat Bilder dazu gesucht, die natürlich nicht unbedingt persönlich von Kant gesehen worden sind, aber so etwas Ähnliches hatte er auch in seiner Vorstellung. Und Kants Buch ist ja nicht nur eins von Kant, sondern auch der heutigen Leser, und insofern rufen wir ja auch Bilder auf, wenn wir dieses Buch lesen."
Kuratorin Julia Friedrich bereitet zusammen mit der Künstlerin eine illustrierte Edition des Kantschen Textes vor, die noch während der Ausstellung erscheinen soll. Oft illustrieren die gefundenen Bilder nicht nur die Gedanken des Philosophen, sondern konterkarieren sie, haben eigenes kritisches Potenzial. Und Andrea Büttner scheint selbst überrascht zu sein, was diese Fülle von ebenso außergewöhnlichem wie alltäglichem Bildmaterial mit der philosophischen Schrift, aber auch mit den Betrachtern macht:
"Dass es wirklich eine Welt ist, eine Riesenwelt ist und Bilder auf so verschiedenen Ebenen, und dass das Urteil in einem total komplizierten Verhältnis ist zu so einem Kosmos."
Die Künstlerin Andrea Büttner macht es sich nicht leicht. Uns auch nicht. Ihr Anspruch ist gewaltig. Er betrifft unser aller Urteilsvermögen. Wo kommt es her, wie begründet es sich, wann ist etwas schön, wie lässt sich die Rolle der Kunst und der Bilder beschreiben? Ihr multimedialer Anmerkungsapparat, der sich jetzt im Kölner Museum Ludwig ausbreitet, ist ebenso opulent wie spröde. Aber immer inspirierend.