"Victoria" bei der Berlinale

Der längste Take der Spielfilmgeschichte

Szene aus dem Film "Victoria" von Sebastian Schipper mit Frederick Lau, Franz Rogowski und Laia Costa.
Der Film "Victoria" war für Sturla Brandth Grøvlen der zweite Spielfilm. © Senator Film
Von Bernd Sobolla · 11.02.2015
Der Film "Victoria" sorgte bereits für eine Menge Gesprächsstoff auf der Berlinale. Der norwegische Kameramann Sturla Brandth Grøvlen steht dabei im Zentrum der Aufmerksamkeit - seine Kamera begleitet die Schauspieler 140 Minuten lang und das ohne Schnitt.
Die junge Spanierin Victoria tanzt selbstvergessen in einem Club. Als sie ihn eine Weile später verlässt, lernt sie vier junge Typen kennen: abenteuerlustig, gut drauf, ein eingeschworenes Team.
Filmausschnitt: "Victoria"
"What´s your name?
Victoria!
Mine is Sonne, nice to meet you!
That´s Boxer, and that´s Blinker.
You are very nice.
I show you our world."
Victoria zieht mit ihnen durch die Nacht, blickt von einem Dach auf die Stadt und beginnt mit Sonne, gespielt von Frederick Lau, zu flirten. Vielleicht könnte daraus mehr werden. Doch die Annäherung wird abrupt unterbrochen: Um eine alte Schuld zu begleichen, muss die Crew ein Ding drehen - jetzt, sofort. Der Film "Victoria" war für den 34-jährigen Kameramann Sturla Brandth Grøvlen der zweite Spielfilm. Und es wird vielleicht ewig seine größte Herausforderung bleiben.
Film ohne Schnitt
Denn Regisseur Sebastian Schipper hatte die Idee, den Film ohne Schnitt, also in einer einzigen Einstellung zu drehen. Sturla Brandth Grøvlen:
"Ich dachte mir: 'Großartig!' Am Anfang hatte ich natürlich einige Zweifel, weil ich mir nicht sicher war, ob dies die beste Umsetzung für die Geschichte sei. Aber so, wie wir mit Sebastian daran arbeiteten, war es ein sehr interessanter Prozess für mich. Außerdem liebte ich das Skript."
Denn Victoria fühlt sich verpflichtet, der Gruppe zu helfen. Sie fährt den Wagen.
Filmausschnitt: "Victoria"
"We have to do Boxer a favour.
Is it something bad to do it?
Sturla Brandth Grøvlen stammt aus Trondheim. Bereits in seiner Schulzeit faszinierten ihn Fotografie und Film. Dennoch machte er zunächst eine Art Rundum-Filmausbildung: Er studierte Medienkommunikation in Oslo, ging dann 2001 nach Dänemark und widmete sich am European Media College dem Filmton. Dort lernte er auch seine beiden Vorbilder kennen: Anthony Dod Mantle, der Thomas Vinterbergs Dogma-Klassiker "Festen" drehte, und Manuel Claro, der bei Lars von Triers "Melancholia" und "Nimphoniac" hinter der Kamera stand.
Als Sturla Brandth Grøvlen nach Norwegen zurückkehrte, begann er an der Kunstakademie in Bergen im Bereich Visuelle Medien zu arbeiten, drehte dann Kurzfilme und Musikvideos und schließlich seinen ersten Spielfilm. Das Drama "I am here" mit Kim Basinger und Sebastian Schipper in den Hauptrollen. Schipper war so von Grøvlens Kameraarbeit begeistert, dass er ihn für "Victoria" engagierte.
Kurzfilme und Musikvideos
Sturla Brandth Grøvlen: "Wir wollten 'Victoria' im Dokumentarfilmstil drehen. Sebastian wollte, dass ich wie ein Kriegsreporter hinein tauchen sollte, ohne mich zu sehr um andere Sachen zu kümmern. Es sollte alles sehr frisch aussehen, im Moment des Drehens entstehend und nicht so geplant. Vor dem eigentlichen Drehen, machten wir dann einen Kurzfilmtest und lernte viel dabei. Auch, dass wir nicht zu kompliziert heran gehen sollten, sondern eher impulsiv."
Um sich an das riesige Projekt heranzuarbeiten, drehten Grøvlen und Schipper den Film zunächst in zehn Sequenzen, setzten diese im Schnitt zusammen und berieten, was funktionierte und wo es Probleme gab. Zum Beispiel erkannten sie, dass der Auftrag, die Bank zu überfallen, zu schleppend verlief.
Filmausschnitt: "Victoria"
"I want to go with you.
Was ist denn das für eine Scheiße? Spricht die kein Deutsch?"
So detailliert sich Sturla Brandth Grøvlen den Dreharbeiten näherte, andere Filme in einer Einstellung, zum Beispiel "Russian Ark" von Alexandre Sokurov, sah er sich bewusst nicht an, um frei von Einflüssen zu sein. Schließlich drehte das Team dann den Film drei Mal. Wobei die letzte Fassung die beste war und jetzt zu sehen ist.
Sturla Brandth Grøvlen: "Das Skript ändert sich ständig, die Charaktere entwickelten sich weiter, wir mussten Szenen weglassen und neue hinzufügen. Im letzten Moment gab es auch noch neue Drehorte. Das war ein völlig neuer Arbeitsprozess für mich. Alles war immer in Bewegung. Das galt auch fürs Drehen selbst. Denn die Schauspieler mussten darauf reagieren, was um sie herum gerade passiert."
Es war ein großes Improvisations-Experiment, und es ist gelungen. Vor allem weil Sturla Brandth Grøvlen mit 140 Minuten den längsten Take der Spielfilmgeschichte gedreht hat. Nicht nur deshalb werden wir von ihm noch viel hören und sehen.
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