"Victor oder Die Kinder an der Macht" am Schauspiel Köln

Angestaubte Bürgervernichtung

Eine Luftaufnahme zeigt das Panorama von Köln abends - mit Dom und Rhein.
Domstadt Köln: Hier führt das Schauspiel gerade Roger Vitracs groteske Komödie "Victor oder die Kinder an der Macht" auf. © picture-alliance / dpa / Daniel Kalker
Von Stefan Keim · 02.04.2016
Viktor ist ein Wunderkind, das an seinem neunten Geburtstag die ganze verlogene Gesellschaft auffliegen lässt. Das Schauspiel Köln holt den Jungen aus Roger Vitracs Groteske "Victor oder Die Kinder an der Macht" wieder auf die Bühne. Doch das Stück hat Staub angesetzt.
In den sechziger und siebziger Jahren stand Roger Vitracs groteske Komödie "Victor oder die Kinder an der Macht" oft auf den Spielplänen. Das Stück von 1928 passte zur Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft und den utopischen Lebensentwürfen. Heute wird es seltener gespielt. Moritz Sostmann hat nun am Schaupiel Köln eine Wiederbelebung versucht.
Victor ist ein Wunderkind, unglaublich intelligent, der Stolz seiner Eltern. Sein Geburtstag wird groß gefeiert. Er hat vor, nicht nur das Fest zu sprengen, sondern die ganze verlogene Gesellschaft.

Hinterlistige Kindlichkeit und boshafte Zerstörungslust

Victor, den Johannes Benecke im virtuosen Wechsel zwischen hinterlistiger Kindlichkeit und boshafter Zerstörungslust spielt, ist genau so groß wie die Erwachsenen. Er konfrontiert die Gäste mit Wahrheiten. Niemand setzt im Widerstand entgegen. Sein Vater hat eine Affäre mit einer Freundin der Familie, ein General ist ein lächerliches Würstchen, alle bekommen Wahnsinnsanfälle.
Normalerweise inszeniert Moritz Sostmann mit einem Ensemble aus Puppen und Menschen. Das hätte sich bei Roger Vitracs wilder Groteske "Victor oder die Kinder an der Macht" auch angeboten. Doch diesmal gibt es nur eine Puppe. Kurz vor Schluss, wenn es ans Sterben geht, wird eine klobige, riesige Figur Victors hinein getragen. Es ist der erste anrührende Moment in einer temporeichen, aber auch ins Leere laufenden Inszenierung.

Analkomik ist keine Provokation mehr

Den Schauspielern gelingen immer wieder schöne Gags und absurde Momente. Vor allem Magda Lena Schlott überzeugt als anarchische Sechsjährige. Doch dem Stück fehlen die Bezüge. Gegen eine dumme, verlogene, engstirnige bürgerliche Gesellschaft anzurennen, scheint heute nicht mehr so dringend.
Ein paar aktuelle Anspielungen auf Guantanamo und die 68er wirken wenig bissig. Analkomik wie eine pupsende Frau in schwarz ist auch keine Provokation mehr, da gibt es längst viel wildere Shows und Filme. Es ist leider so: Roger Vitracs Stück hat Staub angesetzt, es gehört ins Theatermuseum. Wer es auf die Bühne bringt, braucht ein zwingendes ästhetisches und inhaltliches Konzept. Das ist im Kölner Schauspiel nicht zu entdecken.
Mehr zum Thema