Verwunschene Parallelwelten

Von Jochen Stöckmann · 19.08.2006
Der Hamburger Maler Henning Kles spielt mit Motiven des Unheimlichen und Grotesken. Er schöpft dabei aus einem riesigen Motivfundus unterschiedlichster Natur wie Reklame, Pressefotos, Filmstills aus Science-Fiction- und Horrorfilmen. Bei den Sammlern kommt der Künstler mit seinen märchenhaften Montagen sehr gut an.
Dieser Maler mag Kinofilme mit offenem Ende und die verknotet, verwebt oder verzahnt Henning Kles auf seinen Bildern zu neuen, ganz eigenen Geschichten. Die "Ludergrube" etwa zeigt einen Jungen, der mit düster verträumtem Gesicht zwischen Pilzen am Rande einer Moorlache steht, durchs Wasser waten zwei Männer. So etwa sah es auch auf dem Pressefoto aus, das Kles Ende 2004 – kurz vor seinem Hochschuldiplom – als Vorlage diente. Aber auf der großformatigen Leinwand fügte der Kunststudent seinem virtuos verfremdeten Bild eine geisterhaft weiße Gestalt hinzu, die vom anderen Ufer herüberwinkt. Und er wählte als Farben ein morbide changierendes Dunkelblau, schweflig schimmerndes Gelb, giftig leuchtendes Grün:

Henning Kles: "Meine erste Mallehrerin hat mal zu mir gesagt: 'Sie haben Talent, aber leider einen wahnsinnig schlechten Geschmack.' Vielleicht trifft das ja zu, auf die Farbigkeit. Vielleicht wirkt die deshalb so irritierend."

Nicht irritiert, sondern magisch angezogen zeigten sich ein Berliner Galerist und mehrere Privatsammler. Für Kles war diese Frühreife, dieser Erfolg über Nacht kein Problem, denn dafür hatte er ja studiert:

"In dem Moment, wo der Galerist in meinem Atelier stand und mir anbietet, zusammenzuarbeiten, da fühlte ich mich eigentlich dafür reif. Deswegen bin ich auch nicht so überrannt worden von dem Kunstmarkt. Und vor allem gibt es ja noch genug Namen, die man in der Zeitung lesen kann, wo alles viel, viel wahnsinniger ist. Da fühlt man sich dann doch wieder ganz klein und vierte Liga. Also, da ist doch alles ganz bodenständig bei mir hier."

Zum "Bodenständigen" gehörte wohl auch, dass die Szenen aus verwunschenen Parallelwelten trotz schriller Farben und der einen oder anderen Horrorgestalt am Ende doch immer märchenhaft wirkten. Dem setzt der Maler nun ein Ende: Nur noch schwarzweiß und rot benutzte Kles für eine neue Serie von Westernszenen. Da marschieren Revolvermänner und Galgenvögel auf, gefolgt von bleichen Frauengestalten, deren Haare wirr über ausdruckslosen Gesichtern hängen. Ganz klein und sehr symbolisch sitzt ein Rabe auf dem verkohlten Telegraphenmast, daneben ragen kahle Baumgerippe in die fahlen Wolken.

Henning Kles: "Die sind ein bisschen komplexer, vielfiguriger. Die Themensetzung ist ein bisschen anders, bisschen raus aus der Märchenonkel-Ecke, in die ich mich zwischendurch dann doch reingestellt fühlte. Es hätte genug Gründe gegeben, einfach so weiterzumalen, weil es gut lief, weil die Leute es mochten. Es gab aber auch genug Gründe, etwas komplett anderes hinzustellen – und die Leute damit zu enttäuschen, schockieren, verletzen, vielleicht auch nur zu überraschen."

Ungewohnt ist nicht nur die Aggressivität und Härte der Motive, auch die Technik der Überblendung markiert einen Umschwung. Man schaut wie durch ein Kaleidoskop, als würden verschieden starke Lupen über ein und demselben Motiv liegen – oder wie im Rausch?

Henning Kles: "Aha, verstehe. Aber ich bin völlig drogenfrei. Es gibt aber auch noch zwei, drei ganz liebliche Arbeiten, finde ich, die nun gar nicht düster und morbide sind. Was die alle gemeinsam haben, ist dann doch ein leichtes Augenzwinkern. Das kann man sehen, muss man aber nicht."

Augenzwinkernde Distanz gehört für Kles zum Berufsalltag, ist Grundlage seines Umgangs mit einem Motivreservoir, das der Künstler ganz unprätentiös seinen "Bilderhaushalt" nennt, mit anonymen Archetypen von den Trampern über Obdachlose bis hin zu dem Streetfighter oder mit einem Säulenheiligen wie Nabokov, der in kurzen Hosen und mit Schmetterlingsnetz durch einen Zauberwald stolpert. Ob sanfter Schauer oder gewalttätiger Horror, ob klassische Literatur oder marktschreierische Reklame – als passioniertes Augentier lässt Kles nichts und niemanden aus, und wundert sich dann um so mehr über den kommerziellen Erfolg seiner Malergeneration:

"Bei Jonathan Meese in einer Ausstellungseröffnung in New York, da saß eine steinalte Frau neben mir - also: alles voller Penissen an den Wänden und die war so hellauf begeistert. Das war nicht das klassische Klientel, was ich erwartet hätte. Und bei mir verhält es sich vielleicht manchmal ähnlich, ich habe schon ein paar Käufer kennengelernt, da war ich sehr verwundert, was die darin dann so sehen. Also, da möchte ich gerne mal Mäuschen sein."

Jonathan Meese, der Ahrensburger Nachbar des Hamburgers Henning Kles, ist ebenfalls ein besessener Maler, liebt aber auch die wortgewaltig dröhnende Performance:

"Jonathan Meese hat sicherlich den triebhafteren Auftritt von uns beiden. Aber ich war über einen Monat nicht im Atelier, weil ich den Katalog produziert habe, weil es auch mein erster war und es viel zu lernen gab. Und da habe ich schon gemerkt, dass es mich schon ins Atelier wieder zieht."

Und im Atelier öffnet Kles mit jedem Bild ein neues Fenster auf die Illustrierten- und Medienwelt da draußen. Virtuos staffelt er die Einstellungen über- und hintereinander, und es scheint, als achte er dabei weniger auf die perfekte Konstruktion des Bildraums als auf Steigerung der Motivmasse, die sich auf der Leinwand noch unterbringen lässt. Aber ganz so einfach macht es sich der Maler nicht:

"Die Bilder, die mich persönlich am meisten interessieren, an denen habe ich immer ziemlich viel geändert, also die sind relativ weit abgerückt von der Grundidee, die irgendwann mal herrschte. Wo ich diese Grundidee eher abarbeite und gar nicht so viele Zufälle und Unfälle dazukommen, das sind dann eher die langweiligeren."

Langeweile droht paradoxerweise immer dann, wenn neue Figuren ins Spiel kommen, ins Pokerspiel, wie Kles mit seinem Titel "Ein König, zwei Asse und zwei Achten" selber andeutet. Spannend ist dagegen der Vergleich von ähnlichen Motiven, die mit veränderter Technik neu zusammengefügt werden: Dünne Lasur und aufgesprühte Lackfarbe schaffen die Übergänge dieser Montagen, die Körper verschwimmen oder werden durchscheinend wie auf Röntgenbildern, hinter diesen schemenhaften Silhouetten tut sich sogleich eine neue Bildebene auf – wie bei den Klappfiguren in alten Pop-Up-Kinderbüchern. Das könnte zur Masche werden, aber darüber wird das Urteil frühestens 2015 gesprochen:

"Ich habe das immer schon so gesehen, dass ich immer noch am Anfang bin und dass wir jetzt über zwei, drei Jahre reden. Das ist ein Zeitraum, den man in einem Monet-Katalog so überblättert, denn da sehen alle Bilder gleich aus. Spannend wird es erst in Zehnerabständen, vielleicht einmal. Das ist einfach die logische Konsequenz aus dem Alltag im Atelier, das ist Arbeit und man arbeitet da Schritt für Schritt, Bild für Bild dran."

Service:
Die Ausstellung "Henning Kles - Sliver Surfer" ist noch bis zum 15. Oktober 2006 im Bielefelder Kunstverein zu sehen.