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Fotograf Hans-Peter Feldmann
Ein Chronist des Alltäglichen

Frauenbeine, Kühlschränke und Autoradios: Das sind die Motive des Fotografen und Konzeptkünstlers Hans-Peter Feldmann. In seinen Fotobüchern veröffentlicht er nicht nur eigene Aufnahmen, sondern auch Bilder aus Zeitungen, Katalogen oder privaten Familienalben. Nach Ausstellungen in Hamburg, München und im Guggenheim-Museum in New York sind seine Bilder jetzt in Berlin zu sehen.

Von Oliver Kranz | 28.04.2016
    Hans-Peter Feldmann bei einer seiner Ausstellungen in Hamburg.
    Ein Künstler, der gar keiner sein wollte: der Fotograf Hans-Peter Feldmann. (dpa / Malte Christians)
    Man blickt auf Bücherregale, die so vollgestapelt sind, dass sich die Bretter biegen. Hans-Peter Feldmann hat die Wand seines Arbeitszimmers fotografiert. Die Bilder sind als Fototapete am Eingang der Ausstellung zu sehen. Die Kuratorin Greta Kühnast erklärt:
    "Es ist seine eigene private Bibliothek. Er betont immer wieder, dass er die Bücher rausnimmt, eine Seite aufschlägt, eine neue Welt entdeckt, eine Seite weiter schlägt, wieder eine neue Welt entdeckt, es wieder zuschlägt und zurück in den Schrank stellen kann. Diese Vorstellung von Buch ist für ihn eigentlich sehr wichtig."
    Hans-Peter Feldmann präsentiert kaum Einzelbilder, sondern meist Bildserien. In den späten Sechzigerjahren begann er damit, selbstgemachte Fotos und Fotos, die er aus Zeitschriften ausgeschnitten hatte, in Hefte einzukleben.
    Kühnast: "Hier sehen wir zum Beispiel dieses handgefertigte Buch mit dem Titel 'Stühle'. Er hat einzelne Fotos gesammelt auf Flohmärkten oder hat auch eigene Fotografien, die er hatte, auf diese Blätter Papier geklebt und das ist sein Buch."
    Zerwühlte Betten und Frauenkleider
    Hochglanzfotos und große Formate interessieren Hans-Peter Feldmann nicht. Er sieht sich nicht als Künstler, sondern eher als Chronist des Alltäglichen. Seine Motive sind Frauenbeine, Kühlschränke und Autoradios. Wenn er im Hotel wohnt, fotografiert er die Aussicht aus seinem Zimmerfenster. Zu Kunst werden diese Schnappschüsse vor allem dadurch, dass Feldmann sie zu Gruppen zusammenfasst. Die Ausstellung präsentiert eine Serie postkartengroßer Schwarz-Weiß-Fotos von zerwühlten Betten.
    Kühnast: "Wir als Betrachter haben die Möglichkeit, uns vorzustellen, was in diesem Bett wohl passiert sein würde. Inwiefern kann es auch bedrohlich sein? Was für ein Vorgang hat dort existiert?"
    Von solchen Assoziationen lebt auch die Fotoserie "Alle Kleider einer Frau", die in 70 kleinformatigen Bildern einzelne Kleidungsstücke zeigt. Wie ein Polizeifotograf hat Feldmann Schuhe, Röcke und auch Unterwäsche abgelichtet.
    Kühnast: "Diese Arbeit ist insofern entscheidend, dass man sich fragt: Was für eine Frau steckt hinter diesen Kleidern? Warum sind die Kleider alle so einzeln aufgehängt? Das ist diese Ebene, wo es Hans-Peter Feldmann dem Betrachter offen lässt, welche Spur man verfolgt."
    Kein Unterschied zwischen Mördern und Ermordeten
    In den Siebzigerjahren wurde Hans-Peter Feldmann bekannt. Seine Bilder wurden auf der Documenta gezeigt und oft auch kontrovers diskutiert – vor allem die Fotoserie "Die Toten", in der Aufnahmen von Terroristen und ihren Opfern zu sehen sind. Feldmann hatte keinen Unterschied zwischen Mördern und Ermordeten gemacht.
    Kühnast: "Nach der Documenta, Ende der Siebzigerjahre, hat er sich deshalb aus dem Kunstbetrieb zurückgezogen und deshalb zeigt er auch 'Die Toten' nicht mehr, weil sie falsch verstanden werden könnten."
    Gerade heute, wo das Thema Terrorismus wieder auf der Tagesordnung steht. Hans-Peter Feldmann mag keine Debatten – schon gar nicht, wenn es um seine Arbeit geht.
    Bescheidener Konzeptkünstler
    Kühnast: "Er ist nicht der große Mann, der sich in den Vordergrund stellt. Ich glaube, da geht auch die Biografie mit dem, was er macht, ziemlich einher. Er arbeitet sehr subtil und ist ein sehr bescheidener zurückhaltender Mann."
    Eine Zeitlang verkaufte Hans-Peter Feldmann Nippes in einem Souvenirgeschäft in der Kölner Innenstadt. Er hatte sich komplett aus der Kunstszene zurückgezogen. Doch seit den Neunzigerjahren ist er wieder da. Die Ausstellung in Berlin zeigt auch neuere Arbeiten, zum Beispiel den Zyklus "100 Jahre", der aus Porträtfotos von Menschen in verschiedenen Lebensaltern besteht.
    Er beginnt mit dem Bild eines Säuglings und endet mit dem Foto einer Hundertjährigen – ein spannendes Konzept: Da werden nicht nur einzelne Menschen in ihrem Umfeld gezeigt, sondern das Leben an sich. Und das kann Hans-Peter Feldmann. Er ist nicht nur Fotograf, sondern auch ein wichtiger Konzeptkünstler.

    Die Fotografieausstellung von Hans-Peter Feldmann ist vom 30.04.-10.07.2016 in der C/O Berlin Foundation zu sehen.