Versteckt, aber nicht vergessen

Von Boris Schumatsky · 21.05.2013
Im Sommer letzten Jahres wurden drei Mitglieder der Punk-Gruppe Pussy Riot von einem Moskauer Gericht zu zwei Jahren Straflager wegen "Rowdytums" verurteilt. Über Bewährungsanhörungen oder Solidaritätsaktionen berichten nur noch kleine unabhängige Medien. Vergessen ist die Gruppe dennoch nicht.
Ein Mann in Tarnuniform verprügelt eine Frau in grüner Häftlingsrobe. Das stumme Bild einer Überwachungskamera zeigt eine enge, fensterlose Gefängniszelle. Man hört Kommentare anderer Aufseher, die diese Szene live auf ihrem Überwachungsmonitor ansehen. Sie jubeln bei jedem neuen Schlag. Aber als ihr Kollege die sich inzwischen auf dem Boden krümmende Frau in den Bauch tritt, entfährt ihnen ein beschwichtigendes "Langsam, langsam".

Auf Videoplattformen im Internet finden sich hunderte solcher Filme von Misshandlungen in den 758 russischen Strafkolonien: Sadistische Aufseher oder prügelnde Häftlinge, die im Auftrag der Lagerleitung andere Gefangene quälen. Derart geschlagen wurden die verurteilten Künstlerinnen Nadeschda Tolokonnikowa und Marija Aljochina von Pussy Riot in ihren Lagern bisher nicht - unmenschliche Haftbedingungen beklagen sie dennoch. Einer Journalistin der Nowaja Gezeta gelang es, beide Frauen in ihren Lagern zu befragen.

"Hier werden Menschenrechte in jeder Hinsicht verletzt, durch die Alltags- und Arbeitsbedingungen und den Umgang der Aufseher mit den Häftlingen. Der Mensch wird zum Roboter. Diejenigen, die nicht zwölf Stunden am Tag in der Nähfabrik arbeiten, müssen Schnee schaufeln. Am Ende des Tages fällt man um vor Müdigkeit. Das Schlimmste aber ist für mich, beobachten zu müssen, wie dieses System Menschen zwingt, sich selbst als Sklaven zu sehen."

Marija Aljochina setzte sich für ihre Würde und die Würde anderer Häftlinge ein. Doch darunter gab es auch einige, die der Lagerleitung zuarbeiteten. Sie drohten der rebellischen Frau Gewalt an. Das wiederum nutzten die Aufseher als Vorwand, die 25-Jährige Literaturstudentin in eine Einzelzelle einzusperren – vorgeblich zu ihrer eigenen Sicherheit.

Es ist eine uralte Strategie russischer Lageraufseher. Schon Alexander Solschenizyn beschreibt in "Archipel Gulag", wie Kriminelle auf politische Gefangene angesetzt werden. Die sogenannten "Besserungskolonien" sind direkte Nachkommen des Gulags. Zwar werden dort die Häftlinge nicht mehr wie in der Sowjetunion mit Hunger bestraft. Doch auch sie bekommen nach wie vor keine ausreichend warme Kleidung.

Zwar gibt es dort heute keine Lagerpritschen mehr, aber die Inhaftierten müssen zu Hundert in einen Raum gepfercht auf Etagenbetten schlafen. Wie zur Stalinzeit dürfen sie sich nur einmal in der Woche gründlich waschen, gedrängt in fünf Duschkabinen für über 50 Leute.

Wie früher wird zur Zwangsarbeit genötigt, allerdings nicht mehr bis zum Erschöpfungstod. Die Häftlinge müssen ein Arbeits-Soll erfüllen und werden entlohnt. Damit verdient heute die Pussy Riot Künstlerin Nadeschda Tolokonnikowa im Lager in einem Monat so viel, wie sie in der Freiheit für ein Buch von Solschenizyn bezahlt hat. Dafür muss die 24 Jahre alte Philosophiestudentin täglich 320 Futtereinlagen für Uniformjacken nähen.

"Warum müssen im Lager alle nähen? Warum lässt dieses Strafsystem nicht eine andere Arbeit zu, eine, für die man ausgebildet ist oder die dem eigenen Temperament entspricht? Es gibt viele Sachen, die ich gerne machen würde, nur nicht Nähen."

Ihre Finger, sagt Tolokonnikowa, geraten immer wieder in die Nähmaschine. Die Finger werden an den Stoff genäht. Das passiere sogar den Frauen, die schon seit Jahren an den Maschinen arbeiten. Weil man einfach viel zu schnell nähen muss. Tolokonnikowa und Aljochina haben beide kleine Kinder. Höchstens 15 Minuten lang dürfen sie täglich mit ihren Familien telefonieren, auch Besuche sind eingeschränkt. Während des ersten halben Jahres ihrer Haft hat Nadeschda Tolokonnikowa nur einmal ihre Tochter sehen dürfen, die ihren vierten und fünften Geburtstag ohne Mutter gefeiert hat.

Angst vor dem Verhaftungskommando
Bis zu zehn Künstlerinnen, die an der so genannten Punk-Performance in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale teilgenommen haben, sind noch auf freiem Fuß, versteckt in der Millionenstadt Moskau.

Eine dieser Frauen nennt sich Kater. Das ist nicht ihr richtiger Name, nicht einmal ein festes Pseudonym. Die Pussy Riot Frauen ändern immer wieder ihre Künstlernamen, ihre Masken und ihre Kleider. Kater hat sich nur nach einer Reihe von Bedingungen für ein Gespräch bereit erklärt. Ihre erste Anweisung war, mit der Metro zum Bahnhof Aeroport zu kommen und sie von dort anzurufen.

Das garantiert zwar keine hundertprozentige Sicherheit. Denn Mobiltelefone können leicht geortet werden. Dennoch lässt diese Sicherheitsmaßnahme der Polizei wenig Zeit, um ein Verhaftungskommando rauszuschicken. Solange das Gespräch nicht länger als eine halbe Stunde dauert – und darauf hat Kater bestanden – sei das Treffen relativ sicher, sagte sie.

An der Metrostation Aeroport gibt Kater per Telefon Bescheid, wo sie zu finden ist. Sie wartet am Fuße eines Denkmals für Ernst Thälmann. Die Künstlerin besteht darauf, den Mitschnitt des Gesprächs nachher mitzunehmen. Sie will die Aufnahme erst freigeben, nachdem sie selbst ihre Stimme technisch verändert und unkenntlich gemacht hat.

Vor kurzem ist Kater nur knapp einer Festnahme entkommen, obwohl die Polizei keine Beweise dafür hat, dass sie Mitglied von Pussy Riot ist, erzählt sie.

"Ich war auf einer Demo, als mir auffiel, dass sie mir folgten. Als die Demonstration zu Ende war und ich gehen wollte, kamen zwei Männer in Zivil auf mich zu. Sie forderten einen Beamten aus der Polizeikette auf, meine Papiere zu kontrollieren und meine Personalien zu notieren. Dabei kannten sie die. Deswegen glaube ich, dass sie mich einfach einschüchtern wollten. Andererseits weiß ich nicht, wie das geendet hätte, wenn meine Freunde ihre Handy-Kameras nicht auf sie gerichtet hätten und damit die zwei in Zivil in die Flucht geschlagen haben."

Die Polizei hat Kater lange schon in Verdacht, dass sie als Künstlerin bei der putinkritischen Performance dabei war. Wenn sie nicht ins Straflager gesteckt werden will, muss die junge Frau namenlos bleiben. Die Anonymität dient aber nicht allein ihrer Sicherheit, sie ist zugleich ein Grundstein des Konzepts von Pussy Riot.

"Wir wollen nicht Teil des kapitalistischen Systems sein. Die Medien dürfen unsere Gesichter nicht zu Warenzeichen verkommen lassen. Das menschliche Gesicht gehört nicht ins System von Kaufen und Verkaufen, es darf nicht gehandelt werden. Heute ist Pussy Riot eine Weltmarke geworden, einige Mitglieder sind berühmt, und das steht im krassen Widerspruch zu unserem Konzept."

Die Theoretikerin von Pussy Riot, Nadeschda oder Nadja Tolokonnikowa, die sich der Kommerzialisierung des Projekts stets widersetzt hatte, wurde vom Fernsehen und Boulevard wegen ihres Aussehens herausgepickt und zum Weltstar erkoren. In Russland sehen viele mit Hohn oder Unverständnis dem Feminismus entgegen, wie er von Pussy Riot vertreten wird. Auch Kater hat diese ablehnende Einstellung geteilt, bis sie ihre erste Aktion mit Tolokonnikowa gemacht hat.

"Mich persönlich haben die Männer noch nie in meinen Rechten eingeschränkt. Ich hatte mich über den Feminismus immer nur lustig gemacht, bis Nadja einmal zu mir sagte: Selbst wenn du nichts Schlimmes erlebt hast, ist das kein Grund, nicht an andere zu denken. Das leuchtete mir sofort ein. Ja, man soll an andere Frauen denken. Und auch an andere Männer."

Gegen Konsum und Sexismus
Tolokonnikowa und andere Frauen, die später Pussy Riot gründeten, hatten zuvor der Künstlergruppe Wojna angehört. Dort bildeten sie eine feministische Fraktion des ansonsten von Männern dominierten Kollektivs. Wojna wurde durch ihre Provokationen gegen die Staatssicherheit und Polizei bekannt.

Tolokonnikowa und ihre Freundinnen sahen sich in der Tradition der Wiener Aktionismus und späterer Performancekunst.

"Anfangs gibt es nur kleine Gruppen von Menschen, die gegen Missstände protestieren. Aber ich glaube, dass sich auch die Mehrheit daran gewöhnen wird, ihr Leben und die Politik zu analysieren. Hauptsache, die Gesellschaft entwickelt sich nicht zurück. Wir brauchen mehr politisches Bewusstsein. Ein Kind, das nicht schwimmen kann, wirft man einfach ins Wasser. Das sollte man mit den russischen Menschen tun."

Mit diesem Ziel gründeten die Künstlerinnen Pussy Riot. Ihre ersten Aktionen richteten sich gegen Konsum und entfesselten Kapitalismus, gegen Sexismus und politische Repression. Als 2011 Menschen in Moskau gegen manipulierte Wahlen auf die Straße gingen, sangen Pussy Riot vor dem Kreml: "Aufstand in Moskau, und Putin macht sich in die Hose".

Nachdem das russische Kirchenoberhaupt Kirill Wladimir Putin als "Wunder Gottes" bezeichnet hatte, erschien Pussy Riot in der Moskauer Kathedrale."

"Patriarch Kirill glaubt an Putin. Besser sollte er an Gott glauben! Mutter Gottes, Jungfrau, verjage Putin!"

Staatliche Massenmedien haben die Künstlerinnen als Gotteslästerinnen abgestempelt, obwohl ihr Auftritt kaum Anlass für diese schwere Anschuldigung gab. Die Performance wurde vor dem Altar der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale in Form eines Punk-Konzerts abgehalten. Die Künstlerinnen, verkleidet als eine Band, kritisierten allein Präsident Putin und Kirchenpatriarch Kirill. Von den Menschen, die sie dorthin begleitet hatten, traut sich heute nur Pjotr Wersilow, der Mann von der inhaftierten Nadja Tolokonnikowa und selbst Aktionskünstler, offen über das Punk-Gebet zu erzählen:

"Die Mädchen treten vor den Altar und beginnen ihr Punk-Gebet. Die Sicherheitsleute fordern sie auf, die Kirche zu verlassen. Die Mädchen gehen. Das war's."

Die Performance fand außerhalb des Gottesdienstes statt. Auf der Videoaufnahme sind Journalisten, Sicherheitsleute, Kirchendienerinnen und kaum Gläubige zu sehen. Die maskierten Künstlerinnen haben es nicht einmal geschafft, ihre mitgebrachte Tonverstärkung einzuschalten. Schon nach 41 Sekunden Tanz und Gesang mussten sie die Aktion abbrechen. Die Aufnahmen wurden später mit einer neuen Tonspur unterlegt. Erst so entstand ein Videoclip, der Pussy Riot weltberühmt machte.

Das Punk-Gebet war die fünfte Performance von Pussy Riot, und wie die vorherigen Aktionen, fand sie außerhalb der Kunstszene zunächst wenig Beachtung. Aber schon zehn Tage später wurden erst Tolokonnikowa und Aljochona, dann Ekaterina Samuzewitsch verhaftet.

"Wenn wir 'Mutter Gottes, beschütze Putin' gesungen hätten, dann säßen wir heute nicht hier," erklärte Samuzewitsch später vor Gericht. Wladimir Putin soll persönlich auf ihrer Bestrafung bestanden haben.

Er selbst habe mit der Strafverfolgung nichts zu tun, beteuerte dennoch der Präsident. In Wirklichkeit hatte der Geheimdienst des Kremls bereits zwei Jahre vor der Performance in der Christ-Erlöser-Kathedrale einen "operativen Vorgang" gegen Tolokonnikowa eröffnet.

"Schauen Sie, dort auf meinem Schreibtisch liegt ein Mobiltelefon und es wird abgehört. Wahrscheinlich ist auch in diesem Zimmer eine Wanze installiert. Ich vermute das, weil die Staatssicherheit FSB über jeden meiner Schritte Bescheid weiß. Das wollte ich lange nicht glauben, aber vor sechs Wochen kam der Beweis. Die Beamten verhinderten eine Aktion, die wir zwei Monate lang vorbereitet hatten. Als wir am Schauplatz der Aktion ankamen, warteten ungefähr 80 Beamte auf uns, die Polizei und sogar der Personenschutz des Kremls."

Auch die Verhaftung der Künstlerin wurde zwei Jahre später wie ein Anti-Terror-Einsatz inszeniert, erzählt ihr Mann Pjotr Wersilow:

"Ich war mit Nadja in einem ruhigen Moskauer Innenhof verabredet. Wir gingen rein, und von allen Seiten fielen plötzlich Männer in Anzügen über uns her. Sie hatten Waffen im Anschlag, sie riefen, ´Bundessicherheitsdienst! Alle stehen bleiben! Hinlegen!` Sie schmissen uns auf den Asphalt, sie hielten uns Pistolen an den Kopf, sie befahlen uns, die Hände hinter dem Kopf zu verschränken. Und dann packten sie uns in ihre Autos und brachten uns zuerst auf ein Polizeirevier, dann aufs andere, und schließlich, als es schon später Abend war, auf das zentrale Revier. Dort begann unser erstes Nachtverhör."

Wersilow kam nach diesem Verhör frei. Drei der Aktions-Künstlerinnen von Pussy Riot wurden angeklagt, mit ihrem Auftritt in der Kirche die Gefühle der Gläubigen verletzt zu haben.

Die Anklage leugnete jeglichen politischen Ansatz. Die kremltreuen Medien behaupten bis heute, Pussy Riot hätten aus Hass gegen das Christentum gehandelt. Ohne Hassmotiv wäre ihre Performance in der Kirche lediglich eine Ordnungswidrigkeit gewesen, die nach russischem Gesetz mit einer Geldstrafe oder mit zwei Wochen Zivilhaft geahndet wird. Das Gericht deutete aber die Kritik an den weltlichen und geistigen Herrschern, an Präsident und Patriarch, als eine Hetze gegen die Werte Russlands.

Die Richterin warf Tolokonnikowa vor, sie habe andere Frauen in Feminismus verwickelt, so als ginge es dabei um einen kriminellen Akt.

"Das Gericht sieht die religiöse Verhetzung als bewiesen an, weil die Angeklagten sich als Anhängerinnen des Feminismus positionieren. Die Zugehörigkeit zum Feminismus stellt an sich noch keinen Tatbestand dar, sie ist aber unvereinbar mit der Orthodoxie, dem Katholizismus und Islam. Der Feminismus selbst ist keine Religionslehre, und dennoch dringen seine Vertreter in Ethik und Moral ein."

"Hier treffen zwei Russlands aufeinander", sagte im Gerichtssaal der Vater der verhafteten Künstlerin Ekaterina Samuzewitsch, "beide sprechen verschiedene Sprachen, und beide hassen einander."

Moskauer Punkband Pussy Riot während ihrer Aktion in der Erlöser-Kathedrale
Moskauer Punkband Pussy Riot während ihrer Aktion in der Erlöser-Kathedrale© picture alliance / dpa
Nadeschda Tolokonnikowa ist eines der drei Mitglieder der kremlkritischen Punkband Pussy Riot.
Nadeschda Tolokonnikowa ist eines der drei Mitglieder der kremlkritischen Punkband Pussy Riot.© picture alliance / dpa Foto: Andrey Stenin/RIA Novosti
Ein gespaltenes Land
Dennoch haben Pussy Riot erreicht, wovon politische Kunst nur träumen kann. Die Aktions-Künstlerinnen legten die Spaltung offen, die durch ihr Land geht. Das Anliegen von Pussy Riot sei bis heute, ihre Mitbürger wachzurütteln, meint die Frau, die ihre wahre Identität nicht preisgeben kann:

"All diese Selbsttäuschungen, all diese Leute, die an den Staat glauben – das ist ein großes Problem. Aber der Radikalismus kann es ändern, ich meine den künstlerischen Radikalismus. Deswegen ist der Punk unser bevorzugtes Kunstmittel: Eine Musik, die wie ein Schraubenzieher im Kopf kratzt."

Vor dem Hintergrund sinkender Umfragewerte versucht Putin, Fundamentalisten und Vaterlandsfreunde hinter sich zu vereinen. Die weltoffenen Gruppen der Gesellschaft werden als Agenten des feindlichen Westens gebrandmarkt. Die Verurteilung von Pussy Riot war für Putin kein persönlicher Racheakt. Zusammen mit den vorgeblichen Gotteslästerinnen sollten alle Kremlgegner als Feinde des orthodoxen Christentums und des starken Staates gebrandmarkt werden.

"Diese Stufen vor dem Altar sind sozusagen mit dem Blut unserer Heiligen bedeckt, die ihr Leben für Glauben und Vaterland gegeben haben."

Jetzt wollen wieder viele Russen Freiheit für die Mitglieder der Pussy Riot Gruppe. Nach der repräsentativen Meinungsumfrage des Moskauer Levada-Zentrums plädiert die Hälfte der Russen heute für die sofortige Haftentlassung der Künstlerinnen, dagegen sprechen sich nur noch 36 Prozent aus.

Die Wellen, die das provokante Punk-Gebet geschlagen hat, gehen nach wie vor durchs Land und erreichen seine entferntesten Winkel. Inzwischen gehören nicht allein Großstädter zu den Unterstützern von Pussy Riot.

An sie wendet sich der Rapper Sjawa aus Perm im Ural.
"Das hier ist ein Kassiber an euch Mädels", rappt Sjawa im Namen der Jungs aus dem Slum. "Ihr habt das Böse angefasst und es überfiel euch. Jetzt seid ihr die Bösen, aber die Gerechtigkeit, die leuchtet doch ein. Hey, Pussy Riot, schnell, fangt! Das sind Grüße aus Perm, und alles wird wieder gut!"

In einer Besserungskolonie im Gebiet Perm sitzt Marija Aljochina ein.

Die Unterstützer der Frauen hatten vor deren Inhaftierung Angst, dass andere Lagerhäftlinge sie als Gotteslästerinnen lynchen oder quälen. Nichts dergleichen geschah. Stattdessen müssen die Künstlerinnen ihren Mithäftlingen immer wieder erklären, woher sie den Mut für ihren Protest genommen haben.

Dass Putins Unrechtssystem einen zum Protest bringen kann, bedurfte im Lager keiner Erklärung. Jetzt schafft es im strikt durchorganisierten Tagesablauf Nadja Tolokonnikowa es gerade noch, Briefe zu beantworten. Für Kunst oder Lesen bleibt keine Zeit. Ihre Philosophiebücher hat sie der Lagerbibliothek geschenkt.

Dort werden sie gelesen, erzählt die Künstlerin. Wie der einstige Gulag-Häftling Solschenizyn glaubt Tolokonnikowa, dass das Wort am Ende den Beton durchbricht. Wenn sie wieder freikommt, sagte sie in einem Telefoninterview aus dem Lager, würde sie nicht schweigen:

"Ich habe noch keine konkreten Pläne. Jetzt wäre das einfach naiv, da ich noch ein ganzes Jahr lang in der Teilrepublik Mordowien, in der Besserungskolonie Nr. 14 einsitzen muss, die wegen ihrer harten Haftbedingungen berüchtigt ist. Aber ich glaube, ich kann durchhalten. Ich glaube, ich werde mich wieder finden, denn ich spüre unsere Zeit, und die Zeit spürt mich. Ich weiß, in welche Richtung ich gehen werde. Das wird eine politische Richtung sein, und nach wie vor die Kunst. In meinem Leben hat sich nichts geändert, außer, dass ich um einige Erfahrungen reicher bin. Und dafür möchte ich Putin jetzt Danke sagen."

Eine kleine Performance wurde zum politischen Wendepunkt. "Wir haben bereits gesiegt", hatte Nadja Tolokonnikowa in ihrem Schlussplädoyer im Glaskäfig des Gerichts gesagt:

"Es überwältigt mich zu sehen, dass die Wahrheit tatsächlich über die Lüge siegt. Auch wenn wir uns physisch hier befinden, sind wir doch freier als alle die, die uns gegenüber, auf der Seite der Anklage sitzen. Wir können sagen, was wir wollen – und das tun wir auch."
Marija Aljochina, Mitglied der russischen Punkband Pussy Riot, wurde verhaftet
Marija Aljochina, Mitglied der russischen Punkband Pussy Riot, wurde verhaftet© picture alliance / dpa / Novoderezhkin Anton
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