Versöhnung statt Vergeltung

Von Burkhard Birke · 10.05.2013
Nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs will Joachim Gauck den Kolumbianern keine Ratschläge erteilen, gibt ihnen aber eine persönliche Einsicht mit auf den Weg: Ohne Wahrheit kann es keinen inneren Ausgleich geben. Das ist die Botschaft des Bundespräsidenten an Studenten und Gäste der Universität Los Andes.
Zuerst die Kür – dann die Pflicht! Nicht nur, aber auch zur besseren Akklimatisierung an 2.600 Meter Höhe begann der erste Besuch Joachim Gaucks in Kolumbien mit einem Rundgang durch die Candelaria, die historische Altstadt Bogotás. Abstecher in die Kathedrale, die Kirche San Francisco und ins Goldmuseum mit den Schätzen des einstigen El Dorados der Spanier standen ebenfalls auf dem Programm.

Joachim Gauck: "Wenn man die Schätze dieser frühen kolumbianischen Kultur anschaut und sich bewusst macht, dass das nur Bruchstücke sein können von einer Kultur, die einst existierte, dann kriegt man schon einen enormen Respekt und eine Bewunderung vor der Kunstfertigkeit der Menschen, die vor Jahrhunderten hier gelebt haben."

An den Glanz ganz früher Jahre möchten die Kolumbianer wieder anschließen, den Spuk der letzten Jahrzehnte der gewaltsamen Auseinandersetzung um soziale Teilhabe und Drogen, ständiger Unsicherheit hinter sich lassen. Seit vergangenem Herbst verhandeln Regierung und die FARC, die mächtigste der beiden noch verbliebenen Guerillaorganisationen im Land. Es ist der vierte Anlauf zum Frieden, aber einer der aussichtsreichsten, meint Esteban Cundoy, Repräsentant von leidgeplagten indigenen Bevölkerungsgruppen:

"Wir Indigenen sprechen in unserer Lebensphilosophie von der Bedeutung des Ausgangspunktes, des Startes – und ich glaube, der erste Schritt war positiv."

200.000 Tote und vier Millionen Binnenflüchtlinge: So sieht die Bilanz nach fünf Jahrzehnten des bewaffneten Konfliktes in Kolumbien aus. Guerilla, rechtsgerichtete Paramilitärs und Sicherheitskräfte kämpften zuletzt um Macht, Land und Drogen. Mit harter Hand jagte und schwächte einst Präsident Alvaro Uribe die Guerilla, ohne sie besiegen zu können. Sein einstiger Verteidigungsminister und Nachfolger im Amt, Juan Manuel Santos, hat nun die Hebel auf Verhandlung umgeschaltet: Er hofft auf ein Abkommen bis Ende des Jahres und auf Unterstützung für seine Politik sowie für Kolumbiens Wirtschaft heute beim Treffen mit Bundespräsident Joachim Gauck.

Gauck: "Es gibt viele, viele Punkte, die wir besprechen könnten. Da reicht eine kurze Begegnung nicht aus , da wird man einiges antippen, und das wird nicht nur die Wirtschaft sein, sondern die Lage hier, die Mühsal des Friedenstiftens nach einer langen Kultur der Gewalt. Und da bin ich sehr begierig zu hören, wie er die Lage einschätzt. Es gibt sehr unterschiedliche Einschätzungen von Opferverbänden und –gruppen und von der offiziellen Politik."

… der immer wieder Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen wurden und werden. Als Mahner, nicht als Ankläger ist Bundespräsident Joachim Gauck jedoch nach Kolumbien gekommen. Sein persönlicher Werdegang prädestiniert ihn dabei, das Thema aufzugreifen. "Joachim Gauck, der unbeugsame Pazifist" beschrieb ihn Kolumbiens größte Tageszeitung El Tiempo, und der wird sich heute vor Studenten und Gästen der Universidad de los Andes, einer Eliteuniversität, seine Gedanken zum Friedensprozess in Kolumbien machen:
"Hier stehen sich die Menschen in einer Art Todfeindschaft gegenüber, und das ist ein sehr komplizierter Prozess – da bin ich zurückhaltend, aber eines, da bin ich sicher, kann ich mitbringen. Die Botschaft: Ohne Wahrheit wird es nie einen inneren Ausgleich, eine innere Versöhnung geben."
Versöhnung statt Vergeltung, Amnestie gegen Wahrheit: So lautet das Credo von Joachim Gauck.
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