Versöhnung der Kulturen

05.03.2009
Die Wissenschaftliche Buchgemeinschaft hat jetzt eine sorgfältig edierte Werkausgabe von Moses Mendelssohn (1729-1786) für Schüler, Studenten und andere Interessierte herausgebracht.
Die zwei gebundenen Bände haben zwar ihren stolzen Preis, aber wer sich über den heute wieder hochaktuellen ersten Deutsch schreibenden jüdischen Aufklärer von europäischem Rang sein eigenes Bild machen möchte, wird bei der Lektüre dieser Schriften aus den Jahren 1755 bis 1786 reich belohnt. Niemand hat überzeugender und fundierter über die für den inneren Frieden der Gesellschaft notwendige religiöse Toleranz und die Achtung der allgemeinen Menschenrechte geschrieben als Moses Mendelssohn.

Für alle Friedensstifter liefert Moses Mendelssohn damals wie heute das idealtypische Modell. Er liest und bewertet die Schriften der jüdischen, der christlichen Tradition und der sich von den Zwängen der Religionen distanzierenden Philosophen fair und scharfsinnig und destilliert aus ihnen so etwas heraus wie die aufgeklärte, entideologisierte allen Menschen gemeinsame religiös-philosophische Grundsubstanz. Liebevoll legt er dieses Erbe aller Überlieferungen so frei, dass sich niemand herabgesetzt fühlen kann durch die jeweils andere Sicht der letztendlich gleichwertigen Botschaften der Anderen.

Durch die chronologische Anordnung von Mendelssohns Schriften kann man Schritt für Schritt nachvollziehen, wie er sich in seiner fast kindlich frischen und furchtlosen Neugier durch seine kritische Auseinandersetzung mit den für unsere Kultur konstitutiven Grundlagen langsam zum sanften geistlich-philosophischen Weltweisen entwickelt, der dann 1783, gegen Ende seines relativ kurzen Lebens, mit "Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum" sein wichtigstes Werk veröffentlichen konnte. In diesem Plädoyer für die Achtung der religiösen Freiheit der anderen zeigt er seinen Zeitgenossen und uns, dass keine Kirche, keine Synagoge oder Moschee das Recht hat‚ in Glaubensangelegenheiten irgendwelche Zwänge ausüben.

Wesentlich zum Verständnis für Mendelssohns "Jerusalem" ist die von ihm 1782 angeregte, in der Studienausgabe abgedruckte, Übersetzung der 1656 publizierten Schrift des Amsterdamer Rabbiners Manasseh Ben Israel "Rettung der Juden" die wesentlich dazu beigetragen hatte, dass die 1257 vom englischen König Eduard I. verfügte Ausweisung der Juden aus England durch Oliver Cromwell wieder aufgehoben wurde. Detailliert widerlegt Manasseh Ben Israel in seiner Petition die von christlicher Seite immer wieder für Pogromzwecke ins Feld geführten haarsträubenden Lügenmärchen von Hostienschändungen, Kindermorde und Brunnenvergiftungen, die Juden in die Schuhe geschoben wurden.

Das Grundmotiv, das sich Mendelssohns Werk zieht, ist seine Vision einer "glückseligen Welt", in der "alle Menschen die heiligen Wahrheiten annähmen, und in Ausübung brächten, die die besten Christen und die besten Juden gemein haben." Das entscheidende Wort ist hier der Plural von Wahrheit, denn nichts fürchtet Mendelssohn mehr, als die heute von nicht Wenigen angestrebte "Glaubensvereinigung", die in seinen Augen mit Toleranz nichts zu tun hat, sondern "der wahren Duldung gerade entgegen" ist. "Es ist getan um unser edelstes Kleinod, die ...Freiheit zu denken", wenn es nur noch eine Herde und unter einem einzigen Hirten gäbe. Vielleicht ist es unsere Angst vor dieser Radikalität in Mendelssohns Denken, die ihn bisher so sehr – und völlig zu Unrecht – aus dem öffentlichen Diskurs zum Thema des "Kriegs der Kulturen" herausgehalten hat.

Rezensiert von Hans-Jörg Modlmayr

Moses Mendelssohn: Ausgewählte Werke. Studienausgabe
Herausgegeben von Christoph Schulte, Andreas Kennecke und Grazyna Jurewicz
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2009
Zwei Bände, 876 Seiten, 99,90 Euro