Verseuchter Honig

Warum ein Imkerpaar seine Bienenvölker verkauft

07:29 Minuten
Glyphosatbelasteter Honig läuft die Treppen vor dem Landwirtschaftsministerium hinunter.
Protest zur Grünen Woche: Sebastian Seusing kippt seinen Honig auf die Eingangsstufen des Landwirtschaftsministeriums in Berlin. © Picture Alliance / dpa / Fabian Melber
Von Ernst-Ludwig von Aster · 05.05.2020
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Verzicht auf Totalherbizide während der Blühzeit: Dazu hat der Verband der Berufsimker die Bauern aufgerufen. Das Gift findet sich unter Umständen später im Honig wieder. Eine bittere Erfahrung, die auch ein Brandenburger Imkerpaar machen musste.
Sebastian Seusing blinzelt in die Sonne, seine Frau Camille nimmt einen Schluck Kaffee. Die beiden sitzen auf dem Steintritt vor ihrer Imkerei. Die kleine Tochter schläft im Kinderwagen.
An der alten Holztür hängt ein Schild: "Bioland. Betriebsnummer 11 06 09" steht da. "11.6.2009, da haben wir angefangen Berufsimker zu sein", lautet die Erklärung.
Bio-Honig aus dem brandenburgischen Biesenthal für die Märkte Berlins – das ist die Geschäftsidee. Gut 200 Bienenvölker betreut das Paar jahrelang. Das Geschäft mit dem Naturprodukt läuft gut – eine Bio-Supermarkt-Kette gehört ebenso zu den Abnehmern, wie Reformhäuser.

Vor einem Jahr begann der Anfang vom Ende

"Das hier ist Akazienhonig, sieht ganz fein aus, so durchsichtig, leckerer Honig, das hier ist Linde, Berliner Lindenblüte." Die Ernte aus dem letzten Jahr. Restbestände. Ihr letzter Honig. Denn bald ist hier Feierabend.
Die 200 Bienenvölker haben sie gerade verkauft. Der Anfang vom Ende begann vor ziemlich genau einem Jahr. Sebastian Seusing erinnert sich noch gut an die Tage im April. 30 Bienenvölker brachten sie an ihren gewohnten Standort.
Die letzte Honigabfüllung der Imkerei Seusing.
Die Imkerei Seusing schließt, nachdem ein Drittel der Ernte mit Glyphosat belastet war.© Ernst-Ludwig von Aster
"Sie standen im Wald", erzählt er. "In unmittelbarer Nähe zu dieser Wiese, da war im Prinzip auch nur Luzerne drum rum, mehrere hundert Hektar."
Ab Mitte April blühte dann der Löwenzahn. Ein Bienenparadies. Aber nicht lange: "Ende April, am Ende einer sehr schönen warmen Woche kamen wir zur Routinekontrolle an unseren Bienenstand und sahen, dass der ganze Bestand totgespritzt worden war."
Auf dem Luzernenfeld wurde das Totalherbizid Durano TF eingesetzt, es enthält 360 Gramm Glyphosat pro Liter. Mit fünf Liter pro Hektar, so das Unternehmen Bayer in der Gebrauchsanweisung, lässt sich Löwenzahn zuverlässig der Garaus machen. Weiter heißt es – Zitat – "Zur nachhaltigen Bekämpfung von hartnäckigen, breitblättrigen Unkräutern wird die Anwendung im Blühstadium empfohlen".

150-mal mehr Glyphosat als erlaubt

Genau dann also, wenn Bienen die Pflanzen ansteuern. Die Imker ließen eine Honigprobe analysieren. Das Ergebnis war ein Schock, sagt Camille Seusing: "In dem Honig war 150-mal zu viel Glyphosat, also über dem Grenzwert 150-mal."
150-mal mehr Glyphosat als erlaubt. Mehr als eine halbe Tonne Honig musste vernichtet werden. Als Sonderabfall. Der Landwirt, erzählt Sebastian Seusing, entschuldigte sich zwar. Eine Entschädigung wollte er aber nicht zahlen. Sondern weitermachen wie bisher.
"Da haben sie gesagt, sie brauchen diese Maßnahme, um die Folgekultur Mais vorzubereiten." Seusing schüttelt den Kopf.

Wirkungsloser Appell an die Bauern

Das Totalherbizid ist zugelassen, der Landwirt beruft sich auf die sogenannte gute landwirtschaftliche Praxis. Dabei hatte das zuständige brandenburgische Landesamt schon 2016 an alle Bauern appelliert, keine Herbizide in blühenden Pflanzenbeständen einzusetzen.
Nach der freiwilligen Honiganalyse des Imkerpaars steht kurze Zeit später auch ein Kontrolleur des Bio-Verbandes vor Tür. "Und dann kam der Hammer mit der Ökokontrolle, wo der Kontrolleur den Frühjahrshonig vom Nachbarstand mitgenommen hat zur Beprobung."
Diese Bienenvölker standen drei Kilometer vom Luzernenfeld entfernt. Die Glyphosat-Belastung im Honig lag immer noch um das 10-Fache über dem Grenzwert. Wieder mussten einige hundert Kilo Honig entsorgt werden.

Gut ein Drittel der Honigernte war Sondermüll

Auch bei Völkern an einem Kornblumenfeld wurden die Imker später fündig: "2,4 mg pro Kilogramm Honig. Das ist ungefähr das 50-Fache des Grenzwerts. Und das musste eine andere Ursache haben. Das war mit Sicherheit eine Sikkation."
Bei der sogenannten Sikkation wird das Getreide vor der Ernte mit einem Totalherbizid behandelt, damit es schneller abreift. Am Ende muss das Imkerpaar gut ein Drittel seiner Honigernte als Sondermüll entsorgen. Mehr als vier Tonnen landeten in der Müllverbrennung. Eine Entschädigung steht ihnen nach der bisherigen Rechtslage nicht zu.
Die beiden entscheiden sich, an die Öffentlichkeit zu gehen. Mit einem zwiespältigen Gefühl: "Wir haben da natürlich auch mitgerechnet, dass viele Imker das nicht gut finden, dass wir damit an die Öffentlichkeit gehen, war aber letztendlich nicht so."

Protest vor dem Landwirtschaftsministerium

Mitte Januar, während der Grünen Woche, in Berlin demonstrieren Imker aus ganz Deutschland vor dem Landwirtschaftsministerium. Fordern ein Gespräch mit Julia Klöckner. Sebastian Seusing kippt einige Eimer Honig auf die Eingangsstufen des Ministeriums.
Imker Sebastian Seusing schüttet vor dem Landwirtschaftsministerium Glyphosat-belasteten Honig auf die Treppe.
Unterstützt von anderen Imkern entsorgt Sebastian Seusing einen Teil seines Glyphosat-Honigs vor dem Landwirtschaftsministerium.© Picture Alliance / dpa / Fabian Sommer
Sofortiges Glyphosatverbot, mindestens ein Spritzverbot in blühenden Beständen, Entschädigungen für betroffene Imker - das sind die Forderungen des Berufsverbandes. Ein Vertreter der Ministerin zeigt Verständnis. Mehr nicht.
"Der hat sich da ganz schön rausgeredet", sagt Sebastian Seusing. "Es waren eigentlich nur leere Phrasen, sogar Anschuldigungen an uns, dass wir den guten Ruf des deutschen Honigs zerstören würden mit solchen Aktionen, dass wir uns das besser gut überlegen sollen, ob wir so etwas machen." Camille Seusing ergänzt: "Dass wir besser mit dem Landwirt kommunizieren sollten."

Erschreckendes Beispiel für die gesamte Imkerzunft

Spritzalarm für Imker – eine Illusion. Bienen sammeln Nektar in einem Umkreis von drei bis fünf Kilometern. Wenn in der Blütezeit gespritzt wird, landen die Mittel automatisch im Bienenprodukt. "Wenn jeder Imker seine Honige testen lasten würde", sagt sie. "Dann würde man schon die echten Zahlen lesen können, die kennt ja keiner."
Der Fall der Seusings ist für die gesamte Imkerzunft dann auch ein erschreckendes Beispiel. Verdienstausfall, Entsorgungs- und Prozesskosten – das alles mussten sie finanziell verkraften. Nur weil sie umsichtig waren und ihren Honig freiwillig getestet hatten.
"Wir haben einen Schaden von 70.000 Euro", erklärt Camille Seusing. "Das ist mehr als die Hälfte unseres Jahresumsatzes, nur dass man so ein bisschen versteht, worum es geht, das hat uns einfach gekillt."

Klage auf Entschädigung gegen den Landwirt

Mittlerweile ist eine Klage auf Entschädigung gegen den Landwirt eingereicht. Eine bekannte Berliner Umweltkanzlei hat die Vertretung übernommen, auch der Berufsverband der Imker unterstützt das Pärchen ebenso wie die Aurelia Stiftung.
"Der Deutsche Berufsimkerbund, der hat uns sogar geehrt für unser Engagement mit dem ‚goldenen Stachel‘, es ist also wirklich durch die Bank weg eher eine positive Reaktion der Imker", sagt Sebastian Seusing.
Trotzdem haben sie jetzt ihre 200 Bienenvölker verkauft. Ein Leben ohne Bienen? Nein, das können sie sich auch nicht vorstellen. Sie brauchen ein wenig Bedenkzeit. Und dann wollen sie weitermachen. Mit Bienen. Und mehr.
"Und am liebsten würden wir uns an einen Hof andocken, mit einer vielfältigeren Produktion. Es ist schwierig nur von einem Produkt abhängig zu sein. Auch wenn man immer Bienen brauchen wird, es ist immer ein Risiko nur eine Produktion zu haben", sagt Camille Seusing.
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