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Tarifabschluss Metallindustrie
"Wir sind zufrieden mit dem Ergebnis"

Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Metall, Detlev Wetzel, ist zufrieden mit der Tarifeinigung in Baden-Württemberg. Das Ergebnis liege angesichts der wirtschaftlichen Situation, die im nächsten Jahr zu erwarten sei, genau richtig, sagte er im DLF. "Wir stützen die Konjunktur" - durch Reallohn-Steigerung.

Detlev Wetzel im Gespräch mit Christoph Heinemann | 24.02.2015
    Detlef Wetzel, der neue Vorsitzende der IG Metall
    Der Vorsitzende der IG Metall sagte im DLF: "Das ist ein sehr, sehr schwieriges Geschäft, solche Verhandlungen." (dpa / picture alliance / Frank Rumpenhorst)
    Christoph Heinemann: Kein Scherz, trotz des Datums: Ab dem 1. April steigen die Löhne der Metall- und Elektrobeschäftigten in Baden-Württemberg deutlich. Für die ersten drei Monate dieses Jahres gibt es jeweils einen Pauschalbetrag. Das Ergebnis jenseits von Euro und Cent sieht aus Sicht der Gewerkschaft nicht ganz so rosig aus.
    Am Telefon ist jetzt Detlev Wetzel, der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Metall, nach einer langen Arbeitsnacht und nur wenig Ruhezeit. Guten Tag.
    Detlev Wetzel: Schönen guten Tag, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr Wetzel, ist das Glas halb voll oder halb leer für Sie?
    Wetzel: Es ist auf alle Fälle halb voll. Ich würde sogar sagen, es ist dreiviertel voll. Wir sind sehr zufrieden.
    Heinemann: Taugt die Drei vor dem Komma für andere Tarifbezirke?
    Wetzel: Für unsere Tarifbezirke innerhalb der IG Metall selbstverständlich. Wir gehen davon aus, dass unser Tarifergebnis, was wir in Baden-Württemberg erzielt haben, natürlich in allen anderen Tarifgebieten auf Punkt und Komma übernommen wird.
    Heinemann: Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger - wir haben ihn gerade noch mal gehört - hat gesagt, heute Früh auch noch mal im Deutschlandfunk, für einige liegt dieses Ergebnis über dem Erträglichen. Heißt das im Umkehrschluss, hier sind Arbeitsplätze gefährdet?
    Wetzel: Nein. Ich meine, ein Arbeitgeber kann ja nicht nach Tarifverhandlungen sagen, das Ergebnis war zu niedrig. Natürlich muss er sagen, das Ergebnis war eigentlich ein bisschen zu hoch. Das mag ja auch subjektiv so empfunden sein. Wir glauben, dass dieses Tarifergebnis genau richtig liegt, angesichts der wirtschaftlichen Situation, die wir im nächsten Jahr zu erwarten haben. Nein, wir liegen da richtig. Wir stützen die Konjunktur, indem wir eine sehr deutliche Reallohn-Steigerung durchgesetzt haben bei der niedrigen Inflationsrate, und das tut uns allen sehr, sehr gut und wird die Arbeitsplätze sichern und nicht gefährden.
    "Die Arbeitskosten steigen, aber auch nur partiell"
    Heinemann: Die Arbeitskosten werden steigen.
    Wetzel: Die Arbeitskosten steigen, aber auch nur partiell. Wir müssen natürlich auch gegenrechnen, dass wir Produktivitätssteigerungen haben, und angesichts der hervorragenden Wettbewerbssituation der deutschen Industrie ist es nicht schlimm, wenn die Kosten ein Stückchen steigen. Wir sind ja dafür da, dass die Arbeitnehmer einen angemessenen Beitrag an den erwirtschafteten Werten dieser Gesellschaft bekommen, und da sind eben diese Lohnsteigerungen, glaube ich, eine ganz, ganz angemessene Größenordnung.
    "Wir haben erst mal bei dem Thema Altersteilzeit gut abgeschnitten"
    Heinemann: Herr Wetzel, als Schönheitsfehler wird jetzt gewertet, dass sich die Gewerkschaften bei einigen Punkten nicht haben durchsetzen können. Mehr Mitbestimmung wird es nicht geben, die Pflicht zum Ausschöpfen der finanziellen Mittel für die Altersteilzeit wird da genannt und der Anspruch auf finanzielle Förderung für Weiterbildung. Das war ja ganz wichtig in diesen Verhandlungen. Sind das nicht genau die Zukunftsthemen für den Arbeitsmarkt?
    Wetzel: Ich glaube, wir haben erst mal bei dem Thema Altersteilzeit gut abgeschnitten. Wir haben die Quote von zwei auf vier Prozent wieder erhöht und wir haben, was uns ganz wichtig gewesen ist, die Einkommensausgleiche für die unteren Entgeltgruppen erhöht, sodass jetzt rund 90 Prozent des Netto-Entgeltes bei Altersteilzeitregelung für untere Entgeltgruppen gezahlt wird und damit überhaupt dieser Personenkreis in die Lage versetzt wird, Altersteilzeit überhaupt in Anspruch zu nehmen.
    Heinemann: Aber es gilt nur für besonders belastete langjährige Schichtarbeiter.
    Wetzel: Nur für drei Prozent. Wir haben eine Quote von vier Prozent insgesamt. Wir haben vereinbart, dass von diesen vier Prozent drei Prozent genutzt werden muss für besonders belastete, für Schichtarbeiter. Wir haben aber noch ein Prozent für sozusagen nicht belastete oder allgemein anspruchsberechtigte Arbeitnehmer. Das ist aufgeteilt. Ich glaube, es ist aber auch richtig, dass das größere Volumen der vier Prozent für die besonders Belasteten genutzt wird und ein kleineres Volumen für die anderen Arbeitnehmer zur Verfügung steht. Das finden wir sehr in Ordnung.
    "Wir haben dort Abstriche machen müssen"
    Heinemann: Und bei der Weiterbildung sind Sie nicht weiter gekommen.
    Wetzel: Na ja. Wir haben dort Abstriche machen müssen. Wir haben, ich will es mal so sagen, einen ersten wichtigen Schritt gemacht in dieses Thema geförderte Bildungsteilzeit. Wir haben einige Mechanismen verabredet, dass, wenn in einer Firma der Altersteilzeit-Topf nicht ausgeschöpft wird, dass dann per freiwilliger Betriebsvereinbarung diese überschüssigen, nicht verbrauchten Mittel übergeleitet werden können in Qualifizierungsmaßnahmen und dann auch geförderte Ansprüche für Beschäftigte entstehen. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt, und ich erinnere daran, dass die Arbeitgeber mit einer Vetoposition in dieses Thema reingegangen sind. Dieses Veto existiert nicht mehr und wir haben hier einen ersten Einstieg in dieses Thema geschafft. Wir haben auch einen Einstieg geschafft - das ist in den letzten Stunden gar nicht so gewürdigt worden -, in dem wir gemeinsame Modelle entwickelt haben für die Weiterbildung von Un- und Angelernten in den Betrieben. Das ist ja gerade der Personenkreis, der angesichts der großen Fragen von Digitalisierung, Industrie 4.0 die ersten sind, die sich auf neue veränderte Arbeitssituationen und Anforderungen einstellen müssen.
    Kompromiss zur Weiterbildung und andere Tarifgebiete
    Heinemann: Herr Wetzel, wenn ich das richtig verstanden habe, dann soll der Kompromiss zur Weiterbildung ausdrücklich nicht für andere Tarifgebiete empfohlen werden. Da gilt der nordrhein-westfälische Abschluss als Blaupause.
    Wetzel: Ja. Aber der sieht genauso aus wie der in NRW. Das ist ein bisschen auch Tarifsemantik gewesen von den Arbeitgebern heute. Alles was an Essentials in Baden-Württemberg zum Thema Bildungsteilzeit verabredet worden ist, gilt auch in NRW. Es gibt nur einen Unterschied: Da geht es um die Frage, wenn ein Arbeitnehmer einen Anspruch anmeldet, wie gehen wir, wenn der Arbeitgeber ihn ablehnt, mit der Konfliktlösung um. Da gibt es zwei unterschiedliche Wege. In Baden-Württemberg wird ein individueller Konfliktlösungsansatz favorisiert; in NRW gibt es einen kollektiven Konfliktregelungsmechanismus, der am Ende in einer tariflichen Einigungsstelle landet, wenn man sich nicht einigen kann, und das ist der einzige Unterschied. Aber die materiellen Essentials dieser Bildungsteilzeit-Vereinbarung in Baden-Württemberg ist eins zu eins zur Übernahme von Gesamtmetall empfohlen worden, und wir bestehen auch darauf, dass das in allen Tarifgebieten umgesetzt wird.
    "Ein sehr, sehr schwieriges Geschäft"
    Heinemann: Sie sind während der gesamten Nacht auf dem Laufenden gehalten worden. 16 Stunden hat es gedauert. Wieso so lange und was sagt das aus über die Gesprächsatmosphäre?
    Wetzel: Das ist ein sehr, sehr schwieriges Geschäft, solche Verhandlungen, weil natürlich die jeweiligen Parteien und die Verhandler immer wieder zu ihren Truppenteilen, sage ich mal, zurück müssen und die jeweiligen Verhandlungsstände diskutieren. Sie müssen sich neue Aufträge holen, die Strategien werden debattiert und das sind natürlich auch Diskussionen, die dann notwendig sind: finden wir was gut, finden wir was schlecht, sind wir einverstanden, sind wir nicht einverstanden. Gerade bei den beiden qualitativen Themen, da sind ja eine unendliche Vielzahl von fachlichen Themen zu debattieren, und das nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Und dann am Ende geht es natürlich dann um das Thema Geld und da werden natürlich die Auseinandersetzungen ganz verbissen, weil der eine will möglichst viel und der andere will möglichst wenig geben. Das sind sehr komplizierte Ausverhandlungsprozesse und die dauern sehr, sehr lange, weil natürlich jeder mit jedem sprechen muss auch in den eigenen Lagern.
    Heinemann: Und am Schluss klappt es dann?
    Wetzel: Und dann klappt es dann, wenigstens bei der IG Metall.
    Heinemann: Viele Länder beneiden Deutschland um Gewerkschaften, die in Krisenzeiten auch einmal zurückstecken können im Interesse der Gesamtentwicklung, so wie zu Beginn der 2000er-Jahre. Sind die Arbeitgeber umgekehrt in guten Zeiten großzügig genug?
    Wetzel: Natürlich haben wir einen Kompromiss und man muss und soll nachher nicht den Kompromiss beschimpfen, den man abgeschlossen hat. Ja, ich finde, man hätte sich etwas leichter tun können in dieser Tarifbewegung aus Sicht der Arbeitgeber. Man muss bei der Frage Weiterbildung keine Vetoposition aufbauen in einer Tarifbewegung. Man muss nicht ein Instrument wie der Altersteilzeit, die die Arbeitgeber natürlich auch haben wollen, im Volumen halbieren wollen, und, wenn man 3,4 Prozent abschließt, schon ein bisschen die schwarzen Wolken am Himmel malt. Ich glaube, die Arbeitgeber hätten sich etwas lockerer machen können im Rahmen dieser Tarifbewegung, aber Ende gut, alles gut. Wir sind zufrieden mit diesem Ergebnis und wir haben bewiesen als IG Metall, aber auch als Arbeitgeberverband Gesamtmetall, dass wir in der Lage sind, hoch komplizierte Themen, auch wenn es 16 Stunden dauert, am Ende zu einem ja doch beiderseitig befriedigen Ergebnis gebracht zu haben.
    "Wir sind da sehr viel stärker verpflichtet unseren Mitgliedern gegenüber"
    Heinemann: Was kann die Gewerkschaft der Lokführer von der IG Metall lernen?
    Wetzel: Na ja, wir sind ja nicht dazu da, Ratschläge zu geben. Aber wir konzentrieren uns als IG Metall, sehr darauf zu schauen, was nützt unseren Mitgliedern. Wir müssen Leistungen liefern für unsere Mitglieder. Wenn wir sagen, wir fordern mehr Lohn und Gehalt, dann müssen wir Lohn- und Gehaltserhöhungen liefern. Wenn wir sagen, wir wollen die Altersteilzeit für einen bestimmten Personenkreis ermöglichen, dann müssen wir liefern. Und wenn wir sagen Bildungsteilzeit, dann müssen wir auch Ergebnisse liefern. Das sind dann Kompromisse und das ist nicht immer nur dann ganz wunderbar, gemessen an dem, was wir wollen. Ich glaube, eine Gewerkschaft, die nicht liefert für ihre Mitglieder, wo die Mitglieder nicht merken, was habe ich denn von diesem ganzen Laden und warum setze ich mich ein, da wird man keine gute Zukunft haben, und das ist eigentlich das Thema der GDL. Ich glaube nicht, dass das alles gut geht, was die machen. Sieben Monate über eine Lohnerhöhung verhandeln, das ist ja schon eigentlich peinlich, würde ich zumindest aus Sicht der Mitglieder sagen. Das ist nicht unsere Politik. Wir sind da sehr viel stärker verpflichtet unseren Mitgliedern gegenüber.
    Heinemann: Detlev Wetzel, der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Metall. Danke schön für das Gespräch.
    Wetzel: Ich danke Ihnen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Schlafen Sie sich gut aus.
    Wetzel: Das mache ich auch.
    Heinemann: Und auf Wiederhören.
    Wetzel: Okay. Tschüss!
    Heinemann: Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.