Verliebt in den Untergang?

Von Cora Stephan · 13.05.2007
Noch vor wenigen Jahrzehnten fürchteten wir uns vor der drohenden Übervölkerung. Heute erspähen wir hinter der Trendumkehr das Aussterben der Menschheit. Vor einigen Jahren noch schien eine neue Eiszeit denkbar. Heute droht die Versteppung Deutschlands. Was immer auch passiert: wir machen das schlimmste daraus. Unter Garantie.
In der Hamburger "Spiegel-Redaktion wird es in der vergangenen Woche nicht anders zugegangen sein als an anderen Stammtischen der Nation auch: Die Edelfedern dürften sich gestritten haben wie die Kesselflicker. Denn den Titel des Nachrichtenmagazins schmückte eine schwitzende blonde Comic-Heldin vor zerfließendem Globus, "Hilfe ... Die Erde schmilzt!" seufzen. Untertitel: Die große Klimahysterie.

Was denn? Doch keine Klimakatastrophe? Die Käufer und Aktionäre im Energie-Sparlampen-Bereich und die Betreiber von Kernkraftwerken werden sich bedanken: Eben noch ging es so schön abwärts und deshalb aufwärts mit den Kursen und Gewinnen! Und jetzt das!

Aber keine Bange. Wer glaubt schon einer Entwarnung? Doch nicht wir! Und ausgerechnet bei unserem Lieblingsgrößenwahn. Nein, die Hamburger haben nur ein bisschen gefummelt an einem unerschütterlichen Tabu, das sie selbst mitfabriziert haben und das mit keinem noch so sorgfältig recherchierten und wissenschaftlich grundierten Zwischenruf mehr aus der Welt geschafft werden kann. Die Welt geht unter und wir sind schuld daran, basta. Das kann uns niemand nehmen.

Und wenn die Wirklichkeit widerspricht? Pech für die Wirklichkeit. Noch vor wenigen Jahrzehnten fürchteten wir uns vor der drohenden Übervölkerung. Heute erspähen wir hinter der Trendumkehr das Aussterben der Menschheit. Vor einigen Jahren noch schien eine neue Eiszeit denkbar. Heute droht die Versteppung Deutschlands. Was immer auch passiert: wir machen das schlimmste daraus. Unter Garantie.

Denn nur frivole Menschen bringen es fertig, gar noch einen Segen in den genannten Entwicklungen zu erblicken: Wer sonst außer verharmlosenden Narren wäre in der Lage, die Tatsache einer immer länger werdenden Lebensspanne zu preisen? Einen Vorteil in der abnehmenden Gewalt in einer älter werdenden Gesellschaft zu sehen? Die Segnungen wärmeren Wetters oder der Industrialisierung und des technischen Fortschritts zu rühmen? Gar noch von der Freude, auf der Welt zu sein und vom Zutrauen in eine gute Zukunft zu sprechen?

Eben. So naiv ist man nicht hierzulande: Auch nichtreligiöse Menschen halten es für weitaus plausibler, dass sich ein Leben in Hülle und Fülle rächt und dass die Strafe fürs Wohlleben nicht lange auf sich warten lässt. Sehet das Zeichen an der Wand.

Der "Spiegel" hat recht – die Debatte ums Klima offenbart in der Tat hysterische Züge. Weil unsere Medien ein schlagzeilenträchtiges Thema entdeckt haben, das in Verbindung mit dem possierlichen Knut – "jetzt müssen auch noch unsere niedlichen Eisbären sterben!" – an tiefste emotionale Schichten rührt? Auch, aber nicht nur. Denn die bewährte Medientechnik des Aufdeckens und Zuspitzens trifft auf eine tiefsitzende Bereitschaft, das Schlimmste auch zu glauben.

Übrigens ist das Phänomen einer durch Medien angeheizten und deshalb weit verbreiteten Hysterie nicht neu. Der Dreißigjährige Krieg hat sich nicht allein deshalb ins Bewusstsein der Deutschen als schlimmste nationale Katastrophe eingegraben, weil er tatsächlich schrecklich war. Schon damals verbreiteten die zahlreichen Flugschriften und Zeitungen jedes örtlich begrenzte Ereignis und rechneten jedes einzelne zur umfassenden Katastrophe hoch – und das auch noch auf dem Hintergrund eines Religionskriegs, in dem jede Seite großzügig mit Sündenfall und Verdammnis operierte.

An der menschlichen Bereitschaft, den Weltuntergang und die ewige Verdammnis als Strafe für unsere Sünden zu erwarten und nachgerade sehnsüchtig herbeizubeten, ist indes einmal nicht die Religion schuld, denn die Angst vorm Weltuntergang scheint dem Gattungsgedächtnis seit jeher eingeschrieben zu sein. Sie dürfte die verfeinerte Form jener Urangst sein, die einst wichtigster Überlebensfaktor unserer im Vergleich zu ihren Widersachern ungeschützten und schwachen Vorfahren war. Nur wer Angst hatte, war wachsam, spürte die drohende Gefahr und konnte rechtzeitig fliehen.

Heute aber sind Angst und einst lebenswichtiger Stress so dysfunktional wie jener Mechanismus, der Menschen zu guten Futterverwertern macht: prima bei knapper Versorgung und in Krisenzeiten, aber wenig hilfreich bei leicht verfügbarer Fülle. Wir haben mehr Angst, als wir benötigen, weshalb wir uns die Welt schlimmer ausmalen, als sie ist.

Zu dieser Bereitschaft, alle Hiobsbotschaften auch zu glauben, mit denen uns die Medien füttern, gesellt sich in Deutschland überdies eine Art historisch bedingter Schuldstolz: Insbesondere der deutsche Mensch lässt ungern ab von jenem Größenwahn, dass er zu allem fähig ist, selbst dazu, den Weltuntergang herbeizuführen.

Und deshalb wird uns nichts vom Gegenteil unseres festen Glaubens überzeugen, keine historische Analyse des Weltklimas, die zeigt, daß fast alles schon mal da war, keine Statistik, die von abnehmender Gewalt in den westlichen Gesellschaften zeugt, keine frohe Botschaft aus dem Reich des medizinischen Fortschritts, der Demographie und der Weltwirtschaft.

Wir mögen keine guten Nachrichen. Und das hat womöglich einen sehr simplen Grund. Wahrscheinlich ertragen wir die Vorstellung nicht, dass wir in einem Paradies leben. Denn – sind Adam und Eva nicht einst daraus vertrieben worden?


Die Frankfurter Publizistin und Buchautorin Cora Stephan, Jahrgang 1951, ist promovierte Politikwissenschaftlerin. Von 1976 bis 1984 war sie Lehrbeauf-tragte an der Johann Wolfgang von Goethe Universität und Kulturredakteurin beim Hessischen Rundfunk. Von 1985 bis 1987 arbeitete sie im Bonner Büro des "Spiegel". Zuletzt veröffentlichte sie "Der Betroffenheitskult. Eine politi-sche Sittengeschichte", "Die neue Etikette" und "Das Handwerk des Krieges".