Vergnügungspark-Story im Kalten Krieg

Vorgestellt von Hans-Ulrich Pönack · 21.05.2008
Im vierten Indiana-Jones-Film geht es um einen Kristallschädel der Maya-Kultur, dem die Hauptfigur auf der Spur ist. Besonders im Mittelteil ist das große Gähnen angesagt. Nur Harrison Ford erfüllt die Erwartungen als Oldie-Abenteurer. Im italienischen Film steht "Die Unbekannte" im Mittelpunkt, die sich in einer Juweliersfamilie unentbehrlich macht.
Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels
USA 2007, Regie: Steven Spielberg, Hauptdarsteller: Harrison Ford, Cate Blanchett, Karen Allen, ab zwölf Jahren

Steven Spielberg ist dreifacher "Oscar"-Preisträger ("Bester Film"/"Beste Regie" für "Schindlers Liste"; Beste Regisseur" für "Der Soldat James Ryan"). Sein neuer Film ist nach den insgesamt sechsfach "Oscar"-preisgekrönten 80er-Jahre-Hits "Jäger des verlorenen Schatzes" (1981/4 "Oscars"), "Indiana Jones und der Tempel des Todes" (1984/"Oscar" für die "Besten Spezialeffekte") sowie "Indiana Jones und der letzte Kreuzzug" (1989/"Oscar" für die "Besten Soundeffekte") das nunmehr 4. Abenteuer mit dem legendären Leinwand-Abenteurer Dr. Henry Jones Jr. oder Indiana "Indy" Jones.

Die ersten drei Indiana-Jones-Filme spielten weltweit fast 1,2 Milliarden Dollar ein. In Deutschland fanden diese drei Filme mehr als zehn Millionen Kinobesucher. Indiana Jones ist eine fiktive Figur, erfunden von George Lucas (Produzent) und Steven Spielberg (Regie). Als reales Vorbild und Inspiration diente das Leben des amerikanischen Archäologen und Forschungsreisenden Hiram Bingham (19.11.1875 - 6.6.1956), der am 24. Juli 1911 die alte Inka-Stadt Machu Picchu entdeckte und dadurch weltberühmt wurde.

Also: Indiana Jones, geboren am 1. Juli 1899 in New Jersey. Der promovierte Archäologe arbeitet nicht nur als "ruhiger Wissenschaftler" an einer Universität, sondern reist vielmehr als Abenteurer um die Welt. Beschäftigt sich mit religiösen und okkulten Phänomenen und sucht nach legendären Reliquien (im 1. Film sucht er die biblische Bundeslade; im 2. Film landet er in einem Heiligen Tempel; im 3. Film findet er den Heiligen Gral, die wichtigste Reliquie der Christenheit; jetzt, im 4. Film, geht es um einen "mächtigen" Kristallschädel der Maya-Kultur). Da die ersten drei Abenteuer in den 30er Jahren angesiedelt sind, treten die Nationalsozialisten in zwei Filmen als Gegenspieler auf.

In allen Filmen wird "Indy" Jones von einer Frau begleitet; im ersten war das die damals 30-jährige Schauspielerin Karen Allen in der Rolle der Marion Ravenwood. Sie ist nun auch im neuesten Spektakel wieder mit von der Abenteuer-Partie an der Seite des nunmehr 65-jährigen Hauptakteurs Harrison Ford. Beim dritten Film, dem "letzten Kreuzzug", ist sein Vater, Professor Dr. Henry Jones Sr., an seiner Seite, gespielt vom Ur-Bond-Darsteller Sean Connery. Im neuen Abenteuer tritt erstmals sein Sohn Mutt Williams auf, gespielt vom 21-jährigen Kalifornier Shia LaBeouf. Typische Merkmale der Indiana-Jones-Figur sind im übrigen der Fedora-Hut und seine Peitschen-"Waffe".

Die Produktionskosten für den neuesten Indiana-Jones-Film betrugen 185 Millionen Dollar. Für die weltweite Veröffentlichung wurde der Film in 25 Sprachen synchronisiert. Produzent George Lucas bemühte sich bereits seit 1993 um eine Fortsetzung dieser Reihe. Namhafte Autoren wie Jeb Stuart, M. Night Shyamalan ("Sixth Sense"), Frank Darabont ("Die Verurteilten"; "The Green Mile") oder Jeff Nathanson reichten Vorschläge ein, überzeugten damit aber Lucas & Spielberg nicht.

David Koepp schließlich bekam den Zuschlag. Der heute 44-jährige Drehbuch-Autor hat die Skripts zu Blockbustern wie "Jurassic Park"/1993; "Mission: Impossible"/1996; "Spider-Man"/2002 und "Krieg der Welten"/2005 geschrieben. Mit seiner Vier-Millionen-Dollar-Gage für den Jodie-Foster-Film "Panic Room" (2002) gehört Koepp zu den bestbezahlten Drehbuchschreibern überhaupt.

Er entwickelt eine Vergnügungspark-Story, die im Kalten-Kriegs-Jahr von 1957 angesiedelt ist. Petticoats, Heckflossenautos und Elvis-Hits dominieren im Zeitbild. In der Wüste von Nevada wird eine Atombombe getestet, Indy mittendrin (= in einem Kühlschrank überlebt er). Die Bösen sprechen natürlich Russisch, und ihr Anführer ist eine Anführerin. Cate Blanchett gibt eine - darstellerisch völlig unterforderte - Bolschewiki-Agentin von Stalins Gnaden ab, Irina Spalko, die wie die kleine Schwester von Javier Bardems Perücken-Bösewicht in "No Country For Old Men" ausschaut. Dabei geht es um die "ewige Manipulations-Macht" oder so, vereint in einem - s. Titel - Kristallschädel, der über "spezielle Kräfte" verfügt.

Weil sich die USA in aufgeheizter Kommunistenhysterie befindet, wird auch der umtriebige Indy verdächtigt, verliert sogar seinen Hochschuljob. Also gibt es fortan genügend Zeit für Abenteuer, und die führen ihn in den Dschungel gen Südamerika, nach Peru. Dort wartet der gewohnte Indy-Krimskrams auf ihn: Dschungel, Killer-Ameisen, aggressive Affenhorden, Treibsand, Schlangen (= die er ja bekanntlich überhaupt nicht mag), lebende Skelette, finstere Höhlen, Schatzkammern voller Spinngewebe, wunderschöne wie lebensbedrohliche Wasserfälle, Inka-Jünger mit Alien-Appeal. Verfolgungsjagden per Auto, Fecht-Duelle, Faustkämpfe, Schießereien. Das ganze alte Programm. Bei dem allerdings viel zu viele fremdsprachliche Texte zu entschlüsseln, andauernd irgendwelche mysteriösen Bilderrätsel zu lösen sind.

Manchmal funkt es schön selbstironisch, wenn der Blick auf staunende Erdmännchen gerichtet ist oder dieser Marlon-Brando-Bübchen-Sohn-Verschnitt an seiner Seite auf das vorgerückte Alter des Senior-Abenteurers anspielt. Aber irgendwie fehlt vieles zum großen Spaß. Man würgt sich hier angestrengt wie konstruiert durchs Gelände, ohne den schönen Schwung, ohne diese speziellen Indy-Ironie-Gags, ohne jene vielen spannenden Duell- wie Verbal-Motive von einst.

Der Spaß ist begrenzt, besonders im Mittelteil ist das große Gähnen angesagt, "steht" der Film gedanklich wie emotional "nur herum", fehlen Schwung, Show-Vergnügen, pointierte Überraschungen, Wendungen, aufheiternde Zwischentöne. Stattdessen wird viel zu viel herumgequatscht, erklärt (bevor es dann gezeigt wird), also eine Art läppisches Hörspiel-Kino fabriziert. Weder an der ungeschickt erdachten wie ausgebreiteten Story noch an den blassen Figuren oder den exotischen (Höhlen-)Orten besteht ein dauerhaftes Interesse, entstehen Nähe & Neugier oder kommen wenigstens spannende Typen zum Vorschein.

Der neue Indiana-Jones-Film bringt einfach kaum diesen Schmunzel-Dauer-Spaß zustande. Eine eher "trockene" 08/15-Fortsetzung, der man dennoch ständig zuversichtlich gegenübersteht, weil man unbedingt diesen Film gut finden möchte. Und hofft, dass er doch irgendwie endlich mal "in die Spur" kommt. Weil man doch "mit den anderen" groß geworden ist und sooo viel Vergnügen hatte. Diese Erwartungen werden jedoch leider enttäuscht.

Wenngleich sich Harrison Ford nochmal kräftig nett-aufplustert, positioniert und bisweilen schönen Action-Dampf bietet (= ist nur blöd, wenn er ziemlich viel Prügel einzustecken hat, etwas blutet, um ein paar Minuten später wieder völlig unramponiert-fesch in die Kamera zu schauen) und auch manchmal hübsch mit seiner Figuren-Legende wie mit seinem Alter kokettiert. Er erfüllt die Erwartungen als Oldie-Abenteurer ordentlich. Fightet noch ganz schön mit. Ist immer noch gut-beweglich.

Um ihn herum allerdings sieht es schon viel blasser und reizloser aus: "Oscar"-Lady Cate Blanchett als Ost-Schurkin wirkt genauso statisch-öde wie vor allem Shia LaBeouff als Indy Junior, der nun überhaupt kein Charisma hat, völlig charmlos daherstolziert, ohne jedweden (Humor-)Schalk im Nacken. Er ist nur ein grottig-langweiliger (Mit-)Läufer; fällt darstellerisch völlig ab. Die weiteren Stichwortgeber wie Karen Allen als neue-alte Altersflamme, Ray Winstone als gieriger Doppel-Agent oder John Hurt als mal unterbelichteter, mal heller Mit-Forscher wirken ebenfalls nur-routiniert mit. Nööö, der neue Indiana-Jones-Film enttäuscht mehr als dass er den erwarteten, erhofften Rummel-Spaß bietet.

Die Unbekannte
Italien 2006, Regie: Giuseppe Tornatore, Hauptdarsteller: Xenia Rappoport, Michele Placido, ab 16 Jahren

Regisseur Giuseppe Tornatore (Buch und Regie) wird am 27. Mai 52 Jahre jung und zählt zu den talentiertesten europäischen Filmemachern. Der in Bargheria bei Palermo/Sizilien geborene Tornatore hat bislang insgesamt nur acht Filme gedreht, darunter "Die Legende vom Ozeanpianisten"/1998 mit Tim Roth, und "Der Zauber von Maléna"/2000 mit Monica Bellucci, und bekam bereits für seinen zweiten Spielfilm - "Cinema Paradiso" - 1989 den Auslands-"Oscar". Hier wandelt er auf spannenden Hitchcock-Psycho-Spuren.

Irina, 32, Osteuropäerin aus der Ukraine, taucht irgendwann-heute in einer namenlosen norditalienischen Stadt auf. Mietet eine Wohnung, versteckt dort einen Koffer voller Geld, bemüht sich um einen (Putz-)Job im Haus gegenüber, gelangt in eine Juweliersfamilie als "guter Geist" des Hauses, zuständig für alles, was Arbeit macht.

Für die Familie, bestehend aus einem Ehepaar und einer kleinen Tochter, Tea, wird sie bald zu einem nicht mehr wegzudenkenden Faktor. Weil sie keine Fragen stellt und alles mehr als ordentlich macht, was man ihr aufträgt. Wir aber schließen aus ihrer Körpersprache, aus ihren unruhigen Melancholie-Blicken, über ihre Bewegungen, dass hier etwas überhaupt nicht stimmt mit ihr. Zudem werden mehr und mehr Irinas traumatische Vergangenheitserlebnisse sichtbar, die ein grausames Geheimnis enthalten.

Ein spannendes, aufregendes, interessantes Schicksals-Movie, in das man wie in einen literarischen Wälzer angepiekst eintaucht und nicht mehr loskommt. Motto: Der unglaubliche Leidensweg einer Frau, die nun unbeirrt wie konsequent "ihren Weg" geht. Wie, was, warum, wohin, das erklärt nahegehend, berührend, aufwühlend, überzeugend die letzte halbe Filmstunde. Ein Puzzle-Thriller von atmosphärischen, aufregenden 118 Minuten.

Mit einer sagenhaften Hauptakteurin im ständigen Licht: Xenia Rappoport. Die aus St. Petersburg stammende 33-jährige (Bühnen-)Schauspielerin trägt wunderbar dicht und emotional diese gequälte Seele, die sich nicht unterkriegen lässt, im Gegenteil: Xenia Rappoport ist bravourös, geheimnisvoll, rätselhaft, überzeugend, eine absolute, definitive Identifikationsfigur, deren grandiose "Tour de force" ebenso beeindruckend wie äußerst unterhaltsam ist. Im Vorjahr bekam sie dafür Zuhause den italienischen "Oscar", den "Donatello", als "Beste Hauptdarstellerin".

"Ich habe das Gefühl, ich laufe und laufe und komme keinen Schritt voran." "Ich dachte, ich hätte mit der Vergangenheit abgeschlossen, aber meine Vergangenheit hat nicht abgeschlossen mit mir." Schlüsselsätze für einen beunruhigenden, faszinierenden, hochemotionalen Thriller, dessen Sogwirkung enorm ist und der über eine Million Kinobesucher zu Hause in Italien fand.

In der zweiten Haupt-Nebenrolle mimt übrigens ebenso grauslich wie überzeugend der 62-jährige italienische Star Michele Placido, der auch bei uns als Commissario Cattani in der TV-Serie "Allein gegen die Mafia" populär wurde, einen dämonisch-ekligen Satans-Menschen. Diese acht Millionen Euro teure italienisch-französische Co-Produktion, die 2006 in 96 Tagen in Triest und Rom entstand, zählt derzeit zum besten Spannungskino überhaupt und kann gut und gern mit jedem Hollywood-Thriller mithalten.