Vergnügen als Evolutionsvorteil

13.01.2008
Wenn Tiere spielen, dann nur, um fürs Überleben zu trainieren, so die gängige Meinung unter Verhaltensforschern. Dem widerspricht der Biologe Jonathan Balcombe. Er sagt: Auch Tiere haben Spaß und spielen, weil sie dabei Vergnügen empfinden.
Kleine Löwen tollen vergnügt in der Sonne. Kaninchen laufen ausgelassen hintereinander her. Eine Katze spielt mit einem Wollknäuel und vergisst dabei die Welt um sie herum. Diese Tiere bereiten sich vor auf den täglichen Überlebenskampf; ihr Spiel ist Training für den Ernstfall, sagt die klassische Verhaltensforschung. Der Zoologe Jonathan Balcombe sieht das anders. Er sagt: Die Tiere spielen, weil sie dabei Vergnügen empfinden.

Und tatsächlich, die Beobachtungen die er zu Hunderten in seinem Buch aneinanderreiht, leuchten dem Laien sofort ein. Tiere genießen ihre Nahrung, wenn sie wohlschmeckend ist. Die meisten bevorzugen Zucker oder fettreiches Futter, auch wenn sie sich besser anders ernähren sollten. Balcombe schildert das am Beispiel dreier Hausratten, die sich am liebsten nur von Erdnussbutterplätzchen ernähren würden.

Tiere entwickeln Sympathien oder Antipathien gegenüber Artgenossen und manchmal sogar gegenüber Individuen einer anderen Art. Es handelt sich dabei keineswegs um eine unnatürliche Entwicklung von Haus- oder Zootieren. Viele sozial lebende Tiere in freier Wildbahn haben persönliche Freunde, in deren Gegenwart sie sich entspannen. Sie fühlen sich sichtlich wohl, schreibt Jonathan Balcombe.

Und natürlich haben Tiere Freude am Sex, auch dann, wenn er nicht direkt der Fortpflanzung dient. Manche erfreuen sich an einer Art tierischem Kamasutra und probieren immer wieder neue Sexualpraktiken aus. Auch Homosexualität und Masturbation sind im Tiereich anzutreffen. Wie beim Menschen, nicht als Krankheit, sondern als Spielart der sexuellen Möglichkeiten.

Und wenn das Leben zu düster erscheint, macht man sich halt anderswo auf die Suche nach dem Kick. Es gibt Tiere, die gezielt gefährliche Situationen aufsuchen oder sich berauschen. Affen verlassen ihren Baum und ärgern die Löwen, um im letzten Moment wieder auf den Baum zu flüchten. Elefanten laufen viele Kilometer, um an die gärenden Früchte des Marulabaumes zu gelangen. Sie berauschen sich an dem darin enthaltenen Alkohol und schließlich tollen sie wild umher und bewerfen sich gegenseitig mit Früchten, wie menschliche Rowdys.

Die Zahl der Beispiele ließe sich beliebig verlängern. Für den Laien steht damit fest: Tiere empfinden Vergnügen. Für Balcombes Wissenschaftlerkollegen jedoch ist das harter Tobak. Die Verhaltensforschung hat es nur deshalb zu einer seriösen Wissenschaft gebracht, weil sie die Vermenschlichung der Tiere strikt ablehnt. Dabei ging sie jedoch einen Schritt zu weit, kritisiert Balcombe. Damit Tiere nicht vermenschlicht wurden, betrachtete man sie als Sachen - als reine Verhaltensautomaten, die unter den gleichen Bedingungen immer gleich reagieren.

Aber das ist eindeutig falsch, schreibt Jonathan Balcombe. Genau wie Menschen sind Tiere Individuen. Jedes reagiert auf seine Weise, entsprechend seiner genetischen Veranlagung und der persönlichen Erfahrungen, die es gemacht hat. Zumindest unter Säugetieren ist biologische Individualität ein Erfolgsrezept. Wären alle Tiere einer Art gleich, würden sie durch eine einfache Veränderung der Umwelt alle zugrunde gehen. So aber gibt es immer einige, die sich anpassen.

Aber Tieren "Vergnügen" zuzusprechen, das geht noch einen Schritt weiter. Es ist ein Gefühl, eine persönliche Empfindung. Sie entsteht im Gehirn. Immer wenn ein wünschenswerter Zustand erreicht ist, wird dort die Belohnungssubstanz Dopamin gebildet. Menschen nennen das in der ersten Stufe Zufriedenheit und in der zweiten Freude. Die gleichen neurophysiologischen Prozesse finden auch im Tiergehirn statt. Tierisches Vergnügen gehorcht den gleichen biologischen Regeln wie Vergnügen beim Menschen. Es lässt sich sogar messen.

Das Buch von Jonathan Balcombe ist leicht verständlich geschrieben. Manche Beispiele sind amüsant zu lesen und seine Argumentation dürfte auch den einen oder anderen Wissenschaftler davon überzeugen, dass Tiere vergnügt sein können. Auch in dieser Frage ist der Mensch Teil der Natur. Er besitzt keinerlei Sonderstatus. Warum auch? Das Buch überzeugt und ist gleichtig vergnüglich zu lesen.
Rezensiert von Michael Lange

Jonathan Balcombe: Tierisch vergnügt. Ein Verhaltensforscher entdeckt den Spaß im Tiereich
Übersetzt von Wolfgang Hensel
Kosmos-Verlag 2007
285 Seiten. 17,95 Euro
Vergnügliche Einblicke in die Psyche von Tieren.
Coverausschnitt© Kosmos Verlag
Mehr zum Thema