Vergleich mit Weimarer Republik

Die liberale Zivilgesellschaft macht den Unterschied

Polizisten im Jahr 1933 in den Straßen Berlins.
Polizisten im Jahr 1933 in den Straßen Berlins. © picture-alliance / dpa
Paul Nolte im Gespräch mit Anke Schaefer  · 10.09.2018
Der Historiker Paul Nolte warnt vor Vergleichen zwischen der jetzigen Lage und der Weimarer Republik. Allerdings sei die Geschichte keineswegs ein Fortschrittsprozess, in dem man immer besseren Zeiten entgegen gehe.
Angesichts der aktuellen Debatten rund um die Ereignisse in Chemnitz taucht auch immer wieder der Vergleich zu der Weimarer Zeit als Schreckgespenst auf. Unser Studiogast, der Berliner Historiker Paul Nolte, verdeutlichte, dass es damals einen gesellschaftlichen Konsens gegeben habe, jüdische Deutsche zu verfolgen und Synagogen anzuzünden. "Das haben wir nicht", sagte der Professor an der Freien Universität Berlin. Es gebe auch keine staatliche Legitimierung von Gewalt wie damals. "Da liegt ein ganz großer Unterschied."

Starke Zivilgesellschaft

Dass es eine starke liberale Zivilgesellschaft in Deutschland gebe, die auf die Straße gehe, sei für ihn der wichtigste Unterschied zur Weimarer Republik. "Es gibt eine rechtsextreme Demonstration, aber dann auch eine Gegendemonstration, die mindestens ebenso stark mobilisiert." Man könne vertrauensvoll sagen, dass die Mehrheit der Bevölkerung hinter der Gegendemonstration stehe. "Aber notfalls müssen die Menschen eben auch wirklich auf die Straße gehen und können nicht die Hände in den Schoß legen."
Der Historiker Paul Nolte
Der Historiker Paul Nolte zu Gast im Studio © Deutschlandradio / Matthias Horn
Nolte zeigte aber Verständnis dafür, dass solche Parallelen zur Weimarer Zeit heute gezogen würden. Man müsse als Historiker und als Bürger sich dazu verhalten, wenn jemand wie der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, davor warne, es sei schon fünf nach zwölf. "Dann ist diese Uhr, die er da ticken sieht, ja auch immer eine Uhr, die gestellt ist nach der Geschichte, nach der Geschichte der Judenverfolgung im Dritten Reich und schon vor dem 30. Januar 1933, dem Antisemitismus und der Judenfeindschaft." Nolte zeigte sich entsetzt, dass Worte wie "Pogrome" oder "Hetzjagd" neu auftauchten und sagte, dass man mit solchen Begriffen vorsichtig umgehen müsse.

Gefährliche Minderheit

Wer sich als Demokrat verstehe, müsse sich fragen lassen, wo sich das eigentlich zeige. Man dürfe das Feld nicht einer Minderheit überlassen. Die Geschichte habe gezeigt, dass sie auch schnell das Heft des Handelns übernehmen könne, wenn ihr nicht entschieden genug entgegen getreten werde. "Dann wird Politik von Minderheiten gemacht." Die Geschichte wiederhole sich allerdings nicht, sagte Nolte. Aber es gebe bestimmte Elemente, die wieder auftauchten. "Und ganz sicherlich sind wir skeptischer geworden mit Hinblick auf die alte Vorstellung, dass die Geschichte ein Fortschrittsprojekt sei und wir immer besseren Zeiten entgegen gehen." (gem)

Paul Nolte ist Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin. Zuvor war er u.a. German Kennedy Memorial Fellow an der Harvard University. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher, unter anderem "Generation Reform. Jenseits der blockierten Republik" sowie vor zwei Jahren "Demokratie. Die 101 wichtigsten Fragen". Nolte beschäftigt sich regelmäßig mit zeitgeschichtlichen Analysen.

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