Vergiftete Bäume in Hünfelden

Blick in die Seele von Menschen und Bäumen

Buchen
Die meisten Menschen suchen im Wald Entspannung und erfreuen sich am Anblick von Bäumen. Umso unverständlicher bleibt, was unbekannte Täter im hessischen Hünfelden dazu antreibt, Bäume zu vergiften. © picture-alliance / dpa / Foto: Julian Stratenschulte
Hans-Otto Thomashoff im Gespräch mit Ute Welty  · 15.04.2017
Seit Jahren werden im hessischen Hünfelden immer wieder Bäume vergiftet. Von Baum-Morden ist sogar die Rede. Der Wiener Psychoanalytiker Hans-Otto Thomashoff deutet das Phänomen und spricht über die menschliche Seite der Bäume.
Auch in diesem Frühjahr wurden im hessischen Hünfelden im Taunus einige Bäume vergiftet. Unbekannte Täter spritzten Pflanzengift in Eichen, Rotbuchen und Birken oder begossen sie mit einer Salzlösung. Selbst große Bäume werden dadurch schwer beschädigt und können sterben. In den Medien ist von "Baum-Hassern" oder "Baum-Mördern" die Rede.

Der Wunsch nach Macht

In der Wahrnehmung werde Bäumen eine belebte Rolle zugeschrieben, sagt der Wiener Psychoanalytiker Hans-Otto Thomashoff im Deutschlandradio Kultur. Über mögliche Motive des unbekannten Täter sagte er: "Wenn man jetzt mal ausschließt, dass der das macht, weil die Bäume an einem Platz stehen, wo sie ihn stören, wird es so etwas sein, wie ein Wunsch, Macht auszuüben, Macht zu erleben gegenüber einem Lebewesen, dass eben sich da nicht wehren kann und zuzuschauen, wie dieses Lebewesen eben zugrunde geht." Der Psychoanalytiker vermutet auch, dass es einen Drang gebe, die Aufmerksamkeit zu genießen, die dieser Tat nun zukomme. Vermutlich wolle der Täter auch in der Ecke sitzen und darüber lachen, dass keiner wisse, wer er sei.

Das Interview im Wortlaut:

Ute Welty: Die Liebe der Deutschen zu Gärten, Blumen und Bäumen, das die ungebrochen ist, davon erzählen nicht nur die Dokusoaps im Privatfernsehen, sondern auch die immensen Verkaufszahlen von Gartenbüchern aller Art. Auf der anderen Seite erreichen uns aus Hünfelden in Hessen erschreckende Meldungen, und zwar über Baummorde. Der Baum als wehrloses Wesen hinterhältig dahingemeuchelt. Was diese Wortwahl über das Verhältnis von Menschen zu Bäumen aussagt, darüber habe ich mit dem Wiener Psychoanalytiker Hans-Otto Thomashoff gesprochen, und der erklärt dieses offenbar besondere Verhältnis so:
Hans-Otto Thomashoff: Ich würde da auf die Funktionsweise unseres Gehirns zurückkommen wollen. Unser Gehirn arbeitet ja so, dass es gar nicht einen objektiven Eindruck von der Welt da draußen haben kann, sondern es empfängt immer nur Reize von unseres Sinneszellen oder aber aus dem Gehirn selber und bastelt sich daraus ein Bild von der Welt zusammen. Was ich also aus dem mache, was ich an Reizen empfange, liegt vor allem an mir selbst, und so entsteht es dann auch, dass Bäume in unserer Vorstellung, in unserer Wahrnehmung belebt werden. Also wir schreiben den Bäumen dann eine belebte Rolle zu und bestätigen uns in dem, was wir da kreieren, selbst.
Welty: Welche Reize sind das, die das Gehirn aufnimmt, um dann eben diese Belebung durchzuführen?
Thomashoff: Alles, was wir erleben, nehmen wir auf, aber nicht direkt, sondern immer gefiltert durch das, was schon im Gehirn vorhanden ist. Das heißt also, wenn wir Bäumen die Rolle zuschreiben, projizieren wir eigentlich unsere inneren Beziehungserlebnisse und Beziehungswünsche auf die Bäume, die davon gar nichts mitbekommen in der Regel, und die im Fall des Baum-Mörders oder Baum-Hassers dann unter dem Beziehungsmuster, das dieser Mensch dem Baum auferlegt, zugrunde gehen.

Drang nach Aufmerksamkeit

Welty: Welche Beziehungsmuster sind das denn?
Thomashoff: Wenn man jetzt mal ausschließt, dass der das macht, weil die Bäume an einem Platz stehen, wo sie ihn stören, wird es etwas sein wie ein Wunsch, Macht auszuüben, Macht zu erleben gegenüber einem Lebewesen, das eben sich da nicht wehren kann und zuzuschauen, wie eben dieses Lebewesen zugrunde geht, möglicherweise auch verbunden mit dem Drang, die Aufmerksamkeit zu genießen, die nun seiner Tat da zukommt, und auch mit dem Wunsch, ein Stück weit in der Ecke zu sitzen und darüber zu lachen, dass keiner weiß, wer er ist.
Welty: Handelt es sich vielleicht auch um eine Gegenreaktion auf die Überhöhung des Baumes, auf Bücher wie das von Peter Wohlleben über "Das geheime Leben der Bäume", was ja für den einen oder anderen doch sehr esoterisch daherkommt?
Thomashoff: Glaube ich eher nicht, sondern ich würde es eher parallel sehen. Also wenn ich meine Beziehungsvorstellung von Hass in einem Baum ablebe, der wahrscheinlich das gar nicht wahrnehmen kann, weil es eine Pflanze ist, dann mache ich das gleiche, was eben in dem Buch von Wohlleben passiert: Ich schreibe Bäumen eine quasi menschliche Eigenschaft zu. Da wird also ein Muster, das aus Beziehungen erlebt wird, dann dem Baum übergestülpt, und dann sich auch selbst bestätigt, in dem, wie die Umwelt darauf reagiert.

Kulturelle Unterschiede

Welty: Würden Sie sagen, Menschen auf der ganzen Welt haben einen besonderen Blick auf die Bäume oder gibt es da große regionale oder kulturelle Unterschiede?
Thomashoff: Da gibt es mit Sicherheit kulturelle Unterschiede. Auch das, was die Kultur uns beibringt, wird ja im Gehirn aufgenommen, verarbeitet, gefiltert und gespeichert. Das finde ich sehr faszinierend: Man kann letztlich ja im Gehirn erleben, wie Kultur zu Biologie wird. Das, was wir von der Kultur lernen und aufnehmen, wird zur Struktur, zur biologischen Struktur in unserem Gehirn, und diese Struktur benutzen wir, um dann wiederum das auf die Bäume zu projizieren in dem Fall oder auf die Welt insgesamt. Wenn ich dem Baum das zuschreibe, dann nehme ich den Baum auch so wahr, dass er meine Bestätigungen erfüllt.
Eine kleine Anekdote dazu: Da steht ein Mann auf der Straße – also Sie sind ja in Berlin –, vielleicht Kurfürstendamm, klatscht in die Hände. Fragt ihn jemand, warum klatschen Sie in die Hände? Sagt der Mann, um die Elefanten zu vertreiben. Sagt ihm der andere wiederum, wieso, da sind doch gar keine Elefanten. Antwort: Sehen Sie! Da ist dieses Element des Selbstbestätigens so stark drinnen, und das passiert, glaube ich, in dieser Geschichte mit den Bäumen auch sehr stark. Würde eben sowohl die doch ins Esoterische gehende Zuschreibung von pseudomenschlichen Eigenschaften in Bäumen sehr ähnlich sehen, wie eben dieses Beobachten dieses – in Anführungszeichen – "Baum-Mörders", wenn er die Bäume da quält und umbringt.
Welty: Wo Sie gerade von Elefanten gesprochen haben: Gibt es Unterschiede, haben Sie vielleicht ein Beispiel dafür, wie Menschen in Asien und wie Menschen in Afrika nicht auf die Elefanten, aber auf die Bäume reagieren?
Thomashoff: Also das ist wiederum kulturell abhängig. Sie wissen ja, in Asien gibt es den Buddha-Baum, der wird auch als heilig angesehen. Also auch da sind überall Zuschreibungen im Gange. Bei den Indianern gibt es Ähnliches. Ich weiß nicht, in Afrika wird es wahrscheinlich auch sowas geben. Bei uns war es früher, bei den Germanen, die Eiche. Ist immer noch die deutsche Eiche als Symbol des Starken, des Väterlichen, des Langlebigen, und damit, wenn jemand in Deutschland eine Eiche für alle sichtbar langsam zugrunde gehen lässt, ist da natürlich eine ganze Menge an Symbolik drin und wird ja offensichtlich von den Medien auch so aufgenommen.

Natur hilft bei Stressabbau

Welty: Welches Verhältnis haben Sie zu Bäumen?
Thomashoff: Ich finde Bäume sehr schön und genieße es, in der Natur zu sein. Vor allem dient die Natur dazu, Stressabbau zu ermöglichen. Also ich habe ja einen Beruf, der durchaus nicht frei von Stress ist oder zwei – ich schreibe ja auch Bücher –, also das ist ja auch durchaus sehr viel Konzentration und Ehrenarbeit drinnen, und da ist in der Natur zu sein, im Wald zu sein etwas, was sehr entspannend auch ist.
Welty: Und das tut Menschen wie Bäumen gut.
Thomashoff: Das wissen wir nicht, ob es den Bäumen guttut.
Welty: Aber es schadet ihnen erst mal nicht.
Thomashoff: Wir können es den Bäumen zuschreiben. Sie bleiben zumindest erhalten.
Welty: Von Menschen und Bäumen – grüne Gedanken vom Wiener Psychoanalytiker Hans-Otto Thomashoff.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Peter Wolleben, Das geheime Leben der Bäume, Was sie fühlen, wie sie kommunizieren - die Entdeckung einer verborgenen Welt, Verlag Random House 2015, 19,99 Euro.

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