Vergeltung und kein Ende

Rezensiert von Ernst Rommeney · 30.09.2012
Die Fragen nach gerechter Strafe und Vergeltung führen in ein dichtes Gestrüpp aus Emotionen und Interessen. In dieses Dickicht schlagen die Autoren dieses Bandes interessante Schneisen – versperren aber leider mit ihrer Wissenschaftsprosa gleich wieder die Sicht.
Der Theologe will nicht politisieren, sich nicht hergeben, Strafrecht religiös zu rechtfertigen. Dass Strafe überhaupt einen der Zwecke erreiche, die wahlweise vorgegeben würden, bezweifelt der Sozialpädagoge.

Und beide orientieren sich gern am Juristen, wo er sich mit kühler Strenge auf das Machbare konzentriert, auf das, was rechtsstaatlich geboten ist. Diejenigen, die den Menschen emanzipieren und die Gesellschaft bessern wollen, beziehen sich also auf den, der seine Grenzen allein deswegen kennt, weil er sich rational in einem dichten Regelwerk zu bewegen hat.

In diesem Sammelband werden Juristen nur zitiert, schreiben aber nicht selbst. Dabei wäre es sicher interessant zu erfahren, was ihnen an theologischem wie sozialwissenschaftlichem Denken hilfreich oder auch suspekt erscheint – und ebenso an ihrer eigenen Disziplin.

Denn ohne Zweifel führt die Frage, ob Strafe gerecht sei oder Vergeltung auch ein Ende haben müsse, in einen dichten Dschungel aus Emotionen und Interessen. Sie machen sich an ausdrucksstarken Begriffen wie Schuld und Sühne, Rache und Reue, Vergebung und Gnade, Vergessen und Verdrängen fest. Die Antwort sehen die Autoren darin, dass sich die Gesellschaft selbst Rechenschaft ablegt – beispielsweise über ihre Einstellungen.

Knut Berner, Mitherausgeber und Bochumer Theologieprofessor, sieht nämlich im modernen Rechtsstaat immer noch Götter und Götzen am Werke.

"Selbst in ansonsten kaum religiösen Menschen erwacht nämlich dann, wenn sie mit Unglück, Leid und Krankheit zu kämpfen haben, nicht selten der Eindruck, dass sich ihr Elend auf das vergeltende Handeln eines Gottes oder eines wütenden Schicksals zurückführen lasse." (S. 2)

Gott habe im irdischen Strafrecht nichts verloren, theologisch mache Strafen keinen Sinn mehr, seit Jesu Kreuzestod die Sünden der Menschen stellvertretend gesühnt habe. Ein wahrer Ausgleich zwischen Opfern und Tätern, wie immer man ihn sich auch vorstellen mag, sei erst beim jüngsten Gericht möglich.

"Einerseits ist die Auffassung berechtigt, dass die Theologie Strafe grundsätzlich abzulehnen hat, andererseits ist daraus nicht der Schluss zu ziehen, das Strafhandeln ausschließlich zur weltlichen Angelegenheit zu erklären." (S. 34)

Prinzipien könne sie durchaus formulieren helfen. So wie es die Marburger Bibelforscherin Alexandra Grund versucht, wenn sie das Alte Testament nicht so rachsüchtig und blutrünstig deutet, wie es Laien oft verstehen. Israels Intellektuelle sahen Gott, nicht aber den Menschen als gerechten Richter an. Auch sie verlangten, dass Strafe verhältnismäßig zu sein habe, ebenso wie Vergebung.

"Eine leichtfertige Rede von ‚Vergebung’ kann zu einer Komplizenschaft mit dem Bösen geraten.’’ (S. 80)

Den Theologen treibt um, dass eine Kultur, die nicht vergeben und vergessen kann, immer neue Gewaltausbrüche, neues Leid provoziert. Andererseits gelingt es Opfern schwerer Verbrechen weder zu vergessen noch zu verdrängen, ohne weiter Schaden zu nehmen. Schuld wird aber auch dadurch nicht geringer, dass eine Strafe absichtsvoll ihrerseits das Leben und die Persönlichkeit eines Täters zerstört.

"Hinzukommt eine gesellschaftlich verbreitete und im Strafrecht verankerte Tendenz zur Verachtung des Täters." (S. 94)

Die Demut irdischen Strafrechts ist es ja gerade, nach dem nationalsozialistischen Massenmord gelernt zu haben, Schuld nur unzureichend sühnen zu können. Weshalb der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik an den einstigen hessischen Generalstaatsanwalt erinnert.

"Fritz Bauer jedenfalls versuchte seiner liberalen Überzeugung von einem Strafrecht, das weder als Sühne- noch als Vergeltungsmittel, sondern als Instrument gesellschaftlicher Selbstaufklärung wirken sollte, auch angesichts dieser präzedenzlosen Verbrechen treu zu bleiben." (S. 235)

Und das sei ihm und den Staatsanwaltschaften durchaus gelungen.

"Was die westdeutsche Gesellschaft verdrängte, was ihre Politik nicht vermochte und wozu die Geschichtswissenschaft damals weder willens noch fähig war, nämlich den von Deutschen begangenen industriellen Massenmord konkret aufzuklären, übernahm so die Justiz." (S. 230ff)

Wo Schaden nicht wieder gutzumachen ist, wo sich eine gerechte Strafe nicht finden lässt, ist Aufklärung das Mindeste. So nähern sich auch die Sozialwissenschaftler dem Thema.

"Es gibt zurzeit keine realistische Forderung nach einer Sozialen Arbeit ohne Strafe." (S. 210)

So nüchtern wie der Dortmunder Erziehungswissenschaftler Jochem Kotthaus dies schreibt, so sehr bezweifelt er wie viele seiner Disziplin, dass Strafen wirklich helfen, Menschen von kriminellem Tun abzuhalten. Eher schon wirke gekränkter Stolz oder soziale Ächtung disziplinierend.

Ergänzend will Sozialpädagogik deshalb Verurteilte unterstützen, sich auf dem Weg über die Strafe sozial einzugliedern. Dabei kämpft sie gegen Widerstände – aus persönlichen Lebenserfahrungen, sozialer Prägung und gesellschaftlicher Abwehr. Der hehre Anspruch von Emanzipation und Selbstentwicklung jedenfalls erfüllt sich in rauer Realität kaum – weder innerhalb noch außerhalb des Strafvollzuges.

"Was Soziale Arbeit tatsächlich benötigt, ist eine Kultur des Hinterfragens ihrer eigenen Methodik." (S. 210)

Kritische Auseinandersetzung und Aufklärung fordern die Autoren vor allem aber für die Sphäre des privaten Strafens, also dort, wo Kinder und Jugendliche von Eltern, Lehrern und Sozialarbeitern erzogen werden.

"Der Einsatz von Strafe ist in der Sozialen Arbeit ebenso allgegenwärtig wie verschwiegen gehandhabt." (S. 189)

Während es im Strafprozess wenigstens noch ein geordnetes Verfahren gebe, herrsche im Erziehungswesen Willkür. Sie bestrafe junge Leute häufig für pädagogisches Versagen der Erwachsenen. Und dadurch wird nun wahrlich der Nährboden für eine Vergeltung ohne Ende bereitet.

So interessant die Analyse eines solchen Sammelbandes ist, so schwer lässt sie sich lesen. Schade, dass wissenschaftlicher Schreibstil sich selbst im Wege steht und dadurch geradezu verhindert, eine gesellschaftliche Debatte anzustoßen.


Heinz Sünker, Knut Berner (Hg.): "Vergeltung ohne Ende? Über Strafe und ihre Alternativen im 21. Jahrhundert"
Verlag Neue Praxis, Lahnstein 2012
Cover Heinz Sünker, Knut Berner: "Vergeltung ohne Ende?"
Cover Heinz Sünker, Knut Berner: "Vergeltung ohne Ende?"© Verlag Neue Praxis