Verführung des Weins

08.08.2008
Der Roman handelt vom Leben eines Mittdreißigers. Es geht um vier Jahre, die aus dem hart arbeitenden IT-Unternehmer einen Weinkenner machen – bis er tief fällt.
Wilberforce ist am Ende. Denn er hat eine kostspielige Leidenschaft. Er trinkt bevorzugt Weine aus dem Bordelais, seltene Jahrgangsweine, die schon mal 3000 Pfund kosten dürfen. Pro Flasche. Und er trinkt viel. Zuviel. Das war nicht immer so.

Ein paar Jahre zuvor hatte er als stramm arbeitender Softwareentwickler ein Vermögen gemacht. Damals kannte er nur die Arbeit. Sonst gab es nichts. Keine Freunde, keine Liebe, keine Passion, keine Ablenkung, stattdessen Zufriedenheit rundum. Denn in einem solchen Leben scheint alles offen. "Weil ich Niemand bin, kann ich mir aussuchen, wer ich sein will. Ich kann alles Mögliche werden, ich kann alles Mögliche tun." So lange die Zukunft verheißungsvoll vor ihm liegt, muss Wilberforce sich nie entscheiden.

Erst als er beginnt, ein Privatleben zu haben, stellt er fest, dass die Welt voller Wahlmöglichkeiten ist. Wilberforce hat die Tendenz, nicht immer die richtige Wahl zu treffen. Er begegnet dem fürsorglichen, exzentrischen Francis, der neben einem riesigen Weinkeller über väterliche Qualitäten verfügt, wie sie das einstige Waisenkind nie kennen gelernt hat. Dabei macht er die Bekanntschaft von müßiggängerischen jungen Adligen, die den ungeselligen Außenseiter in ihre Clique aufnehmen, und er verliebt sich in die schöne Catherine, heiratet sie, verkauft seine Firma und lebt als Rentier über seine Verhältnisse. Doch diese ganze Vorgeschichte erfährt man erst am Schluss.

Bevor er zu schreiben anfing, hatte Paul Torday 30 Jahre lang ein Unternehmen für Schiffsmotoren geleitet, kennt sich also bestens im Geschäftsleben aus. 60-jährig debütierte er vor zwei Jahren mit dem Roman "Lachsfischen im Jemen", einer amüsant-absurden Geschichte über einen Wüstenscheich, der für die Geschäftsidee, in seinem wasserarmen Heimatland schottische Lachse anzusiedeln, einen anerkannten Wissenschaftler sowie die gesamte britische Regierung gewinnt. Ziel ist, die Öffentlichkeit von den lästigen Ereignissen im Nahen Osten abzulenken. Die boshafte Politsatire (2007 auf Deutsch erschienen) gewann mehrere Preise und wurde zu einem internationalen Bestseller.

Wer nun eine ähnlich bissige Geschichte erwartet, mag enttäuscht sein. Denn wirklich komisch an dem neuen Roman ist nur die Eingangsszene. Da allerdings zieht Torday alle Register des britischen Humors, wenn er seinen abgerissenen, schon deutlich beschwipsten Helden in einem First-Class-Restaurant den teuersten Wein auf der Karte bestellen lässt, was das Personal in Verlegenheit stürzt. Kann so einer überhaupt die Rechung bezahlen? Trotz diskreter Ermahnungen benimmt er sich unverdrossen daneben, summt vernehmlich einen Bachchoral, um schließlich, nach heftigem Weingenuss, dem Ober auf die Schuhe zu fallen. Da ist Wilberforce ein Wrack, psychisch und finanziell am Ende, er leidet unter Wahnvorstellungen und hält seine innere Welt für die Wirklichkeit. Wie es dazu kam, erzählt Torday, dem Untertitel entsprechend, in vier Jahrgängen.

Was dem Thema geschuldet scheint und wie eine Spielerei anmutet, hat allerdings System. Denn so wie Weinjahrgänge nicht reproduzierbar sind - hängt deren Qualität doch ganz entscheidend vom Witterungsverlauf ab – so spielen in "Bordeaux" die Chancen, die der Held ergreift und was er daraus macht, die letztlich entscheidende Rolle. Wie einen umgekehrten Entwicklungsroman lässt Torday mit der Stimme seines Helden die Geschichte rückwärts erzählen, vom Absturz eines Alkoholikers bis zu dessen glücklichen, hoffnungsfrohen Anfängen.

Von der ersten Szene an wird nicht mit Verweisen darauf gespart, dass er seine Frau, Freunde und ein ganzes Vermögen verloren hat. Nach und nach lässt sich verstehen, welche Warnungen ihm gegeben wurden, die er auf die leichte Schulter nahm oder, anders als der Leser, einfach nicht begriffen hat. Wir erkennen ziemlich bald, wohin ihn sein neu gefundenes Leben führen wird, was dem Roman einen zutiefst melancholischen Grundton verleiht. Und einen skurrilen obendrein, denn mit seinem klugen literarischen Kunstgriff macht Torday seine Leser nicht nur zu Mitwissern. Er gibt uns das irgendwie irritierende Gefühl, dass Obsessionen am besten auf scheinbar festem Boden gedeihen.

Rezensiert von Edelgard Abenstein

Paul Torday: Bordeaux. Ein Roman in vier Jahrgängen,
Aus dem Englischen von Thomas Stegers, Berlin Verlag, Berlin 2008, 336 Seiten, 19,90 Euro