Verfolgt und bedrängt

Von Ulrich Leidholdt · 01.04.2010
Im Irak hat das Christentum eine lange Tradition. Unter Saddam Hussein genossen Christen sogar als Minderheit einen gewissen Schutz. Doch mit dem Umsturz durch die Amerikaner kam erst die Hoffnung auf ein besseres Leben - und dann die Angst.
Den Gottesdienst in St. George können irakische Christen ohne Angst feiern. Hier in Ainkawa, dem christlichen Viertel von Erbil, der Hauptstadt Irakisch-Kurdistans, haben bis zu dreitausend Familien neue Heimat gefunden. Geflohen aus anderen Teilen des Landes, wo sie verfolgt und bedroht, Angehörige entführt und getötet wurden. Hier in Erbil fühlen sie sich geborgen wie Student Nawar Oghanna.

"Hier ist es sicher: für Christen und alle anderen. Wir können ausgehen, wann wir wollen. Jeder ist froh darüber."

14 christliche Konfessionen kennt der Irak. Christen leben seit 2000 Jahren im Zweistromland, länger als Muslime. Selbst unter der Herrschaft Saddam Husseins konnten sie sich persönlich sicher fühlen, wenn ihnen auch bestimmte Berufe verwehrt blieben. Die Minderheit von rund 1,2 Millionen zählte mit Ärzten, Ingenieuren und Anwälten zur irakischen Mittelklasse. Nach Einmarsch der Amerikaner und Ausbruch ethnisch-religiöser Konflikte mit zehntausenden Toten begann der Leidensweg vieler Christen – auch für Delon David, der vor vier Jahren nach Erbil kam.

"Ich musste meine Heimat verlassen, weil ich Christ bin. Nach Saddam kam El Kaida. Christen in muslimischen Ländern wollen keine Probleme, nur Frieden und Sicherheit. Sie haben so viele Christen getötet, es war schrecklich. Da habe ich meiner Familie gesagt, wir müssen weg. So kamen wir nach Erbil. Hier können wir ohne Probleme leben."
Delon ist 24. Er stammt aus Mossul, eine der gefährlichsten, ethnisch-religiös gemischten Städte Iraks. Nur 90 Kilometer weg von Erbil, doch eine andere, für Delon tödliche Welt. Er hatte dort Mathematik studiert, jetzt arbeitet er sechs Tage die Woche in einem Restaurant in Erbil. Keiner aus seiner Familie lebt noch in Mossul. Er musste vor einem Monat noch mal hin.

"Ich musste meinen Ausweis verlängern, fühlte mich wie ein Dieb. Ich bin schnell hin und gleich wieder weg."

Ähnlich dramatisch ist es in Bagdad. Weshalb Nawar sich vor ein paar Jahren entschloss, von dort zu verschwinden.

"Alle in Bagdad sind gefährdet – Christen, Muslime oder andere Religionen. Es gab so viele Terroranschläge, aber in manchen Vierteln auch ganz gezielt Angriffe auf Christen."

"Da tauchen Zettel auf, da steht drauf: Haut ab oder zahlt. Oder sie versuchen Christen zu entführen, vor allem reiche - und sie verlangen jede Menge Lösegeld."

Deshalb hat sich die Zahl der Christen im Irak seit 2003 halbiert. 600000 leben wohl noch hier, meist aber nicht mehr am Heimatort, der Rest ist ins Ausland geflohen.

Einen der Flüchtlinge treffen wir in Jaramanah, einem einfachen Vorort der syrischen Hauptstadt Damaskus. 80 Männer drängen sich in einem kahlen Raum um wacklige Holztische, spielen Karten und Domino. Die syrische Sicherheit sieht es nicht gern, wenn Ausländer mit Irakern sprechen, von denen das Land rund eine Million aufgenommen hat. Einer der Männer ist bereit zu reden, nicht aber seinen Namen zu nennen.

"Wir sind vor 16 Monaten gekommen. In Bagdad drohten sie meiner Familie und mir, man werde uns töten."

Auch Delon aus Mossul hat mit dem Gedanken ans Auswandern gespielt.

"Wie oft habe ich dran gedacht, nach Europa, Australien oder die USA zu gehen, aber - keine Chance."

Im Irak steigt die Zahl ermordeter Christen an. Etwa 750 starben so seit dem Regimewechsel vor sieben Jahren. Pfarrer Sabri al Maqdissi von der Mar-Joseph-Gemeinde Ainkawa weiß trotz aller Schrecken zu differenzieren. Nicht die Muslime, vielmehr eine kleine Minderheit wolle Christen gewaltsam vertreiben.

"Natürlich ist nicht die Masse der Muslime Schuld. Die Täter sind Extremisten, haben mit dem Islam so wenig zu tun wie mit dem Christentum. Ich weiß nicht, weshalb Christen für sie eine Gefahr darstellen. Wir jedenfalls danken Gott für die Sicherheitszone hier in Kurdistan für Christen aus Bagdad, Basra, Kirkuk und Mossul und daß sie nun in Erbil, Dohuk und Suleimaniah leben können."

Natürlich sei die Flucht ins Ausland ein Riesen-Verlust für Irak bedauert Pfarrer Sabri. Immerhin sei eine Menge qualifizierter Spezialisten unter den Auswanderern, darüber solle die Regierung mal nachdenken und mehr für den Schutz der Christen tun. Ähnlich sieht es Student Nawar.

"So viele hat die Angst schon vertrieben – natürlich das ist ein großer Verlust für unser Land."

Kellner Delon fürchtet, es sei ein Verlust für alle Zeiten – Rückkehr ausgeschlossen.

"Niemals. Denn sie haben hier keine Heimat. Kurden, die aus dem Exil kommen haben hier ihren Platz, Araber genauso. Aber nicht wir. Dennoch fühle er sich in Erbil –na ja- zu Hause."

Doch die Angst verfolgt ihn, auch hierher.

"Klar habe ich Angst. Wenn mir noch mal so was wie in Mossul passiert, dann ist es wirklich Zeit, das Land zu verlassen."

Die EU nimmt 10000 Irak-Flüchtlinge auf. Deutschland erfüllt seine Quote von 2500 – die große Mehrheit Christen. Kirchenführer wie der Erzbischof von Bagdad, Jean Benjamin Sleiman, sehen das kritisch. Solche Programme wirkten wie eine Einladung. Pfarrer Sabri in Erbil bewegt mehr der Gedanke, wieso gerade Christen solcher Verfolgung ausgesetzt sind.

"Christen haben wohl mehr als andere Iraker zu leiden, weil ihnen das Stammesdenken fremd ist. Niemand schützt sie, keine starke politische Partei oder ausländische Macht. Die USA kamen ja nicht zur Verteidigung der Christen, doch viele muslimische Extremisten sind überzeugt, Amerika repräsentiere das Christentum oder irakische Christen seien so wie westliche. Aber das stimmt nicht."

Doch die Hoffnung stirbt auch in scheinbar aussichtloser Lage so schnell nicht. In der Teestube der Irak-Flüchtlinge in Damaskus will der christliche Familienvater den Glauben an Rückkehr in einen für seine Minderheit lebenswerten Irak trotz eines Alltags mit Mord, Entführung und Vertreibung nicht aufgegeben.

"Natürlich gehe ich zurück, wenn im Irak wieder Stabilität und Sicherheit herrschen – meine ganze Familie sehnt sich danach."