"Vereinigte Staaten von Europa" nicht ohne Volksabstimmung

Joachim Wieland im Gespräch mit Nana Brink · 15.09.2011
Nach Ansicht des Staatsrechtlers und designierten Rektors der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, Joachim Wieland, sind "Vereinigte Staaten von Europa" mit dem deutschen Grundgesetz nicht vereinbar.
Nana Brink: Der Begriff klingt irgendwie schön, so versöhnlich, und angesichts der Schuldenkrise ist er auch momentan sehr aktuell: Die Vereinigten Staaten von Europa. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen hat den Begriff kürzlich wieder ins Spiel gebracht, und der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika hat Anfang der Woche nach einer zumindest haushaltspolitischen Einheit Europas gefragt. Und jetzt folgt auch der italienische Außenminister Frattini: Wir sind bereit, Souveränität abzugeben, sagt er und ruft forsch hinterdrein, in allen wichtigen Feldern muss gemeinsam politisch gehandelt werden, in der Verteidigung, der Außenpolitik und natürlich in der Wirtschaft. Schöne Idee – aber welche Vorschläge sind denn eigentlich durchsetzbar? Am Telefon ist jetzt Professor Joachim Wieland, ab 1. Oktober ist er Rektor der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Einen schönen guten Morgen, Herr Wieland!

Joachim Wieland: Guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Bevor wir über Vorschläge sprechen, was sagt denn unser deutsches Grundgesetz zu den Vereinigten Staaten von Europa?

Wieland: Das deutsche Grundgesetz lässt in der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht die Vereinigten Staaten von Europa nicht zu. Es legt Wert darauf, dass Deutschland als Staat unabhängig bleibt, seine Souveränität erhält, und das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich gesagt, der Weg zu Vereinigten Staaten von Europa würde nur über die Schaffung einer neuen Verfassung führen, wo dann auch das Volk beteiligt werden müsste.

Brink: Also, wie könnten wir dann mitmachen? Mit einem bundesweiten Volksentscheid, oder wie sähe das aus?

Wieland: Zunächst mal müsste man so etwas wie einen Verfassungskonvent einsetzen, der eine neue Verfassung vorschlagen würde, in der Deutschland seine Bereitschaft erklären würde, den Vereinigten Staaten von Europa beizutreten. Und darüber müsste dann das deutsche Volk in einer Volksabstimmung seine Meinung äußern. Und nur, wenn das Volk zustimmen würde, könnte eine solche neue Verfassung in Kraft treten, und nur dann könnte es eine Beteiligung Deutschlands an den Vereinigten Staaten von Europa geben.

Brink: Nun spricht ja die Politik schon sehr oft darüber. Nichts spricht gegen Visionen über die Vereinigten Staaten von Europa, sagte kürzlich Finanzminister Schäuble. Wie ernst gemeint sind denn solche Äußerungen Ihrer Meinung nach?

Wieland: Ich glaube, in der gegenwärtigen, aktuellen politischen Situation und auch in der aktuellen Stimmungslage sehe ich nicht, dass es politische Mehrheiten für Vereinigte Staaten von Europa geben könnte. Das war eine Vorstellung aus der unmittelbaren Nachkriegszeit, das hätte Deutschland damals vielleicht den Weg zurück in die Staatengemeinschaft leichter eröffnet. Aber heute, wo Deutschland wirtschaftlich so stark da steht, ist ja die Abneigung dagegen, jetzt die Lasten zu sehr zu teilen, relativ groß. Und ich sehe nicht, dass es maßgebende politische Kräfte in Deutschland gibt, und ich sehe auch keine Mehrheit in der Bevölkerung dafür, dass man jetzt tatsächlich Vereinigte Staaten von Europa einführen würde. Es wird weiterhin einen Weg einer Integration geben, aber es wird beim Staatenverbund bleiben, wie das Bundesverfassungsgericht das genannt hat, wo Deutschland letztlich seine Souveränität behält.

Brink: Also, es gibt keinen politischen Willen, überhaupt Hoheitsrechte an Brüssel abzugeben in Deutschland?

Wieland: Wir haben schon viele Hoheitsrechte abgegeben, aber das Bundesverfassungsgericht hat immer Wert darauf gelegt, dass nach dem Grundgesetz Deutschland die letzte Entscheidung behalten muss. Das heißt, es muss alles im Prinzip rückholbar sein, und vor allen Dingen: Der Bundestag muss in wesentlichen Fragen ein Mitentscheidungsrecht haben. Es geht nichts gegen den Willen des Parlaments, weil sonst das Demokratieprinzip in Deutschland beschädigt würde.

Brink: Also auch zum kritischen Thema Haushaltssouveränität, was ja eines der Kernfragen, Kernprobleme gerade ist?

Wieland: Gerade zu diesem Punkt hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Lissabon-Urteil ausdrücklich gesagt, Haushaltsentscheidungen des Parlaments sind für die Demokratie so wesentlich, dass der Deutsche Bundestag hier immer das Sagen haben muss. Das heißt, wenn es zu Haushaltsbelastungen kommt, auch im Rahmen der Eurorettung, muss immer der Bundestag entscheiden. Das schränkt die Handlungsmöglichkeiten der Regierung in Brüssel etwas ein, weil sie nicht aus eigenem Recht irgendwelchen Lösungen zustimmen kann, sichert aber, dass das Parlament als Vertretung der Bürgerinnen und Bürger Handlungsspielräume behalten kann und nicht durch ein Handeln der Regierung in Zwangslagen geführt wird, wo das Haushaltsrecht als das Königsrecht des Parlaments praktisch dann überhaupt keine Bedeutung mehr hätte.

Brink: Das trifft ja dann auch bei einem aktuellen Thema – Stichwort: Eurobonds – zu. Der Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat ja im Europaparlament gestern gesagt, Eurobonds wären dringend erforderlich. Das geht aber ja nicht ohne "Ja" der Mitgliedsstaaten. Das heißt, auch der Bundestag müsste dem zustimmen.

Wieland: Auch der Bundestag müsste dem zustimmen. Das heißt, man müsste Eurobonds so konstruieren, dass jedes Mal dann, wenn solche Bonds ausgegeben werden, zunächst der Bundestag zustimmen müsste. Das könnte die Regierung also nicht alleine machen, die Regierung könnte auch nicht sagen, Deutschland schließt sich einem System an, wo eine europäische Einrichtung über die Ausgabe solcher Bonds entscheiden würde, sondern die Regierung müsste immer den Vorbehalt machen: Deutschland kann sich daran nur beteiligen, wenn der Bundestag das vorher genehmigt hat – und zwar nicht in einer Einmalgenehmigung, wo man einmal sagt, wir stimmen dem zu, und es dann dem wirtschaftlichen Geschehen überlässt und der Haushaltspolitik anderer Länder, wie hoch die finanzielle Belastung für Deutschland wird, sondern nur, wenn der Bundestag selbst konkret sagt, so viel Geld stellen wir insoweit zur Verfügung. Ein Eurobond kann in dieser Höhe aufgenommen werden, aber nicht mehr.

Brink: Abschließende Frage: Was halten Sie dann von diesen momentan populären politischen Forderungen nach den Vereinigten Staaten von Europa?

Wieland: Ich glaube, dass auf ganz lange Sicht die wirtschaftliche Integration auch in eine politische Einigung übergehen muss. Das ist aber ein Prozess, der wird sicher Jahrzehnte in Anspruch nehmen, und er setzt auch voraus, dass in Europa in den verschiedenen Völkern das Bewusstsein wächst, dass man zusammengehört, dass Europa auf Dauer gesehen sicher nur eine Chance gegen Wirtschaftsmächte wie die Vereinigten Staaten, wie China haben wird, wenn es wirklich auch nicht nur wirtschaftlich, sondern politisch zusammensteht. Aber das ist ein ganz weiter Weg, und das kann man nicht jetzt in der Krise von heute auf morgen übers Knie brechen.

Brink: Professor Joachim Wieland, künftiger Rektor der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Vielen Dank für das Gespräch!

Wieland: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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