Verdächtig wird, wer offline ist

02.07.2013
Wenn es um das Internet geht, wissen Eric Schmidt und Jared Cohen, wovon sie schreiben: Die beiden sind Manager bei Google. In ihrem Buch entwerfen sie ein Bild der Zukunft in einer vernetzten Welt - vom Dienstroboter bis zum Cyberkrieg.
Die digitale Zukunft hat gerade erst begonnen. In der kommenden Dekade wird die Zahl der über Computer und Mobiltelefone vernetzten Menschen von heute zwei auf sieben Milliarden ansteigen. Und das als "Moores Law" bekannte exponentielle Wachstum der Rechen- und Speicherleistung von Computerchips wird uns neue technologische Wunderwelten bescheren. Welche Konsequenzen für unser Zusammenleben und unsere Politik diese gigantische Vernetzungswelle haben wird, loten die beiden Google-Manager Eric Schmidt und Jared Cohen in ihrem Buch "Die Vernetzung der Welt" aus.

Die beiden sind keine Phantasten, naiver Utopismus liegt ihnen fern. Stattdessen blicken sie zwar optimistisch, doch pragmatisch nach vorn. Skizzieren sie zunächst noch inzwischen allfällig bekannte Szenarien eines vollvernetzten Alltags mit intelligenten Kleiderschränken, eilfertigen Dienstrobotern und holographischen Projektionen, wenden sich die Autoren bald den politischen Aussichten zu. Und die sind teilweise recht düster: die zunehmende Verlagerung des Lebens ins Virtuelle lässt die Privatsphäre weiter erodieren, die Bürger bekommen staatlich zertifizierte Online-Identitäten verpasst. Wer sich dem Digitalen verweigert, landet in einer "Kartei der "unsichtbaren" Menschen" und gilt als verdächtig.

Allheilmittel Vernetzung?
Es geht ums große Ganze: die Zukunft der Diplomatie in Zeiten des schrankenlosen Cyberspace. Der könnte bald ein Ende finden und in nur lose miteinander verbundene nationale Teilnetze zerfallen. Die digitale Ermächtigung der Unterdrückten wird weitere Revolutionen auslösen. Terroristen finden neue Betätigungsfelder, werden durch digitale Überwachung aber auch verwundbarer. Cyberkriege niedriger Intensität sind schon jetzt zu beobachten. Die Wirtschaft und vor allem die Rolle ihres eigenen Unternehmens, klammern Schmidt und Cohen dagegen weitgehend aus.

An unzähligen Beispielen zeigen die Autoren die Gefahren, vor allem aber die Chancen der Vernetzung auf. Zur Recherche haben sie 30 Länder bereist und ehemalige Staatenlenker, Geheimdienstchefs, Strategen und Experten, aber auch Julian Assange interviewt. Die Flughöhe der Analyse ist global, nicht umsonst preisen auf dem Umschlag Bill Clinton und Tony Blair das Buch in höchsten Tönen. Doch trotz der Sättigung mit Fakten und Geschichten bleibt Schmidts und Cohens Vision seltsam blutleer und technokratisch.

Am problematischsten jedoch: In dem Buch steckt eine Ideologie, die man als humanistisch-technikdeterministische Dublette bezeichnen könnte. Einerseits sei Technologie bloß neutrales Werkzeug und es liege an uns Menschen, was wir daraus machen. Andererseits gilt ihnen Technologie als gigantischer Fortschrittsmotor, der unvermeidlich alle Verhältnisse umstürzt. Hier verbindet sich ein unterkomplexes, instrumentelles Technikverständnis mit dem in der kalifornischen Cyberideologie wurzelnden Heilsversprechen einer die Menschheit erlösenden Technologie. Die digitale Vernetzung, so das Mantra, mache trotz aller Probleme die Welt effizienter, transparenter und demokratischer. Den Beweis muss die Zukunft erst noch erbringen.

Besprochen von Philipp Albers

Julian Assange, Gründer der Enthüllungsplattform "WikiLeaks", spricht in London zu Vertretern der Presse
"WikiLeaks"-Gründer Julian Assange© AP
Eric Schmidt/Jared Cohen: Die Vernetzung der Welt – Ein Blick in unsere Zukunft
Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer
Rowohlt Verlag, Hamburg 2013
448 Seiten, 24,95 Euro
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