Donnerstag, 18. April 2024

Aus der Nachrichtenredaktion
Kein Zerrbild von Migration liefern

Etwa 20 Prozent der Deutschen haben einen Migrationshintergrund – aber nur schätzungsweise zwei bis drei Prozent der Journalisten. Was kann man tun? Deutschlandradio-Programmdirektor Andreas-Peter Weber hat im Gespräch mit Nachwuchsjournalisten erste Antworten gegeben.

10.10.2016
    Medien ohne Migranten? DLF-Forum am 10. Oktober 2016
    Nachwuchsjournalisten mit Migrations- und Fluchthintergrund diskutieren im DLF-Funkhaus in Köln u.a. mit Programmdirektor Weber. (Deutschlandfunk - Jörg Stroisch)
    "Wir haben den Zug bisweilen sicherlich verschlafen, versuchen aber jetzt wieder aufzuholen", so Webers Bilanz bei der Veranstaltung im Kölner Funkhaus. Eingeladen hatten die Nachrichtenredaktion des Deutschlandfunks und der Verein "Neue deutsche Medienmacher", der ein Mentoringprogramm für Nachwuchsjournalisten anbietet, die einen Migrations- oder Fluchthintergrund haben. Und etwa 25 junge Frauen und Männer waren gekommen.
    Ein Patentrezept, wie Redaktionen beim Thema Diversität aufholen können, gibt es für Weber nicht. Quotenregelungen für Bewerber lehnt er ab: Seine Erfahrung sei, dass sich Qualität durchsetze. Das sehe man zum Beispiel auch an dem hohen Frauenanteil bei den Bewerbungen für ein Volontariat beim Deutschlandradio. Auf den Vorschlag eines Teilnehmers, sich aktiv um Bewerber mit Migrationshintergrund zu bemühen, versprach er, sich dafür im Haus einsetzen. Beim Deutschlandradio habe die Zahl der Interessenten schon zugenommen. In einigen Jahren, glaubt er, hinkt man dann nicht mehr hinterher.
    Gründe für die mangelnde Diversität in deutschen Redaktionen sind laut Rebecca Roth von den "Neuen deutschen Medienmachern" unter anderem, dass der Nachwuchs in Deutschland oft schlecht vernetzt sei und nicht immer alle Voraussetzungen erfülle. Beim Radio werde zum Beispiel oft akzentfreies Deutsch verlangt, kritisierte sie. Dabei komme man mit Bayerisch durchaus in den Rundfunk.
    Mangelnde Diversität führt zu falschem Bild der Gesellschaft
    Dass vergleichsweise wenige Menschen mit Migrationshintergrund als Journalisten arbeiten, ist nach Ansicht von Weber eine Gefahr für die Gesellschaft: " Wie will eine Redaktion, in der die Erfahrungen von Zuwanderern fehlen, über diesen Teil unserer Gesellschaft berichten? Wie soll verhindert werden, dass ein Zerrbild von Migration entsteht?" Rebecca Roth von den Neuen deutsche Medienmachern unterstrich, wie wichtig der Blick von Zuwanderern sei: "Menschen ohne Migrationshintergrund haben für bestimmte Themen gar keinen Radar." Zuwanderer könnten nicht nur einen anderen Blick in die Redaktionen bringen, sie hätten auch den Vorteil von Sprachkenntnissen und Kontakten in ihre Herkunftsregionen.
    Medien ohne Migranten? DLF-Forum am 10. Oktober 2016
    Zsaklin Diana Macumba kann das bestätigen. Sie wurde in Ungarn geboren. Die Mutter Ungarin, der Vater aus Mosambik. Als Jugendliche kam sie nach Deutschland, inzwischen studiert sie in Wien. Als im vergangenen Jahr zehntausende Flüchtlinge zuerst in Ungarn festsaßen und sich dann über Österreich auf den Weg nach Deutschland machten, konnte sie das aus mehrere Perspektiven nachvollziehen: Sie selbst erlebte die Willkommenskultur an den Bahnhöfen in Süddeutschland und Wien mit. Von Freunden in Ungarn weiß sie, dass sich aber auch dort die Zivilgesellschaft engagierte.
    Migrationshintergrund öffnet Türen und Schubladen
    Gleichzeitig ist der Migrationshintergrund aber auch ein Problem für die Journalisten. Er ist eine Schublade, aus der sie sich nur schwer befreien können. "Viele Kollegen teilen diese Erfahrung", berichtet Rebecca Roth. Man werde oft gefragt, ob man etwas zum Thema Integration machen wolle oder zur Herkunftskultur. Andere Themen gingen dagegen an den Kollegen vorbei.
    Frau Macumba hat da ein eigenes Rezept: Eigeninitiative. Die junge Frau hat sich ein eigenes Profil aufgebaut mit einem Schwerpunkt auf US-Themen. Demnächst reist sie für einen Blog als Wahlberichterstatterin in die USA. "Das habe ich mir alles selbst zusammengesucht", erzählt sie.
    Nicht nur über ihre eigenen Schwierigkeiten machen sich die Nachwuchsjournalisten Gedanken. Sie diskutieren auch darüber, wie Medien über Migration und Integration berichten sollen. "Negative Darstellungen von Menschen mit Migrationshintergrund dominieren", kritisiert eine junge Frau. Es werde über Drogendealer berichtet, aber nicht über Journalisten oder Lehrer mit Migrationshintergrund. Ein syrischer Nachwuchsjournalist entgegnet ihr: "Medien sollten nicht die Aufgabe haben, den Ruf von Menschen zu verbessern. Man muss Probleme auch ansprechen." Sonst würden Medien unglaubwürdig.
    Im Anschluss an die Diskussion konnten die jungen Gäste einige Redaktionen im Funkhaus kennen lernen und auch Fragen dazu stellen, wie man ein Volontariat beim Deutschlandradio bekommt. Ende Oktober wird die Nachrichtenredaktion des Deutschlandfunks einen aus Guinea geflohenen Journalisten zu Gast haben. Das Thema wird den DLF also weiter beschäftigen.
    (at/mb)