Verbotene Liebe

01.04.2009
Im Saudi-Arabien der 80er Jahre gilt die Liebe vor der Heirat nicht nur als verboten, sondern auch als unmöglich. Durch den Augenschlitz ihres schwarzen Umhangs beobachten die Frauen die Männer, während diese die Frauen nur als schwarze Gespenster wahrnehmen. In diesen Kontext platziert der aus Eritrea stammende Schriftsteller Sulaiman Addonia seinen ersten Roman um "Die Liebenden von Dschidda".
Um diese Geschichte dürfte jeder abendländische Schriftsteller den aus Eritrea stammenden, heute in London lebenden Sulaiman Addonia beneiden. Verbotene Liebe, die in unseren Breiten nur noch für Vorabendserien taugt, gibt es andernorts wirklich noch - zum Beispiel in Dschidda, wo Addonia als Bürgerkriegsflüchtling einige Jahre verbrachte.

Sein in diesem Frühjahr publizierter erster Roman (die deutsche Ausgabe ist mit der englischen zeitgleich erschienen) erzählt den klassischen Stoff unter saudi-arabischen Bedingungen gemäß dem Creative Writing-Lehrbuch noch einmal nach. Das Ergebnis ist ein konventielles, jedoch zugleich packendes Buch, das aufgrund der gegenwärtigen Islamkonflikte sogar eine gewisse Sprengkraft entwickeln könnte.

Der Roman spielt in den 80er Jahren, zu einer Zeit also, als die reformerischen Trippelschritte, deren sich Saudi-Arabien seit dem 11. September 2001 befleißigt, noch unvorstellbar waren. Unter den Bedingungen einer radikalislamischen Regulierung der Gesellschaft ist die Liebe vor der Heirat nicht nur verpönt und verboten, sie ist auch im wahrsten Sinne des Wortes unmöglich: Es gibt überhaupt keine Gelegenheit zu Begegnungen, geschweige denn zum Kennenlernen.
Was aber die traditionellen Geschlechterverhältnisse bewahren soll, kehrt sie in Wahrheit um: Die Initiative zum Kennenlernen muss jetzt von den Frauen ausgehen. Durch den Augenschlitz der Abaja, des schwarzen Umhangs der Frauen, lassen sich nämlich die Männer ganz gut beobachten, während diese die Frauen nur als schwarze Gespenster wahrnehmen.

In Nasers Clique erzählen sich die jungen Männer zahllose Geschichten von Mädchen, die Zettel vor die Füße ihrer Auserwählten fallen lassen, um den Kontakt herzustellen. Naser ist als Bürgerkriegsflüchtling aus Eritrea gekommen und lebt in Dschidda als weitgehend rechtloser Hilfsarbeiter, den Launen seines "Kefil" ausgesetzt. "Kefil", "Bürge" werden die saudischen Staatsbürger genannt, denen die Ausländer rechtlich unterstehen. Offiziell für sie verantwortlich, beuten sie sie tatsächlich meistens aus - nicht zuletzt sexuell.

Denn das Verschwinden der Frauen aus dem öffentlichen Raum führt zu einer weiteren Verkehrung der traditionellen Moral: Die jungen Männer frönen einer hemmungslosen Homosexualität oder lassen sich von den älteren kaufen. Wenn nur annährend zutrifft, was Addonia erzählt, ist Saudi-Arabien das Schlaraffenland der Doppelmoral. Sinnbild dafür sind die Parfümtrinker. Da Alkohol nicht eingeführt werden darf, wird das Bedürfnis danach mit Parfüm gestillt, und statt an seiner Alkoholfahne erkennt man den Trinker am feinen Duft, der aus seinem Mund tritt.
Nur Naser tut bei dem Treiben nicht mit, und fast möchte man diese Tugendhaftigkeit dem Helden und dem Buch als Schwäche auslegen: Er hat etwas von einem Musterknaben und gibt eine allzu reibungslose Identifikationsfigur ab. Seine draufgängerischen Freunde oder Kumpanen, hin- und hergerissen zwischen ihren unbefriedigten Bedürfnissen und den Drohpredigten des Stadtteil-Imams, in dessen Diensten sie sich Anerkennung erwerben können, sind die interessanteren Charaktere.

Als Naser der Zettel einer Schwarzgekleideten vor die Füße fällt, entbrennt er in Leidenschaft für die Unbekannte und richtete sein Leben ganz nach den Erfordernissen dieser Liebe aus, ja wird sogar Diener des verhassten Imams, um auf diese Weise mit Fiore, wie er die Geliebte nennt, leichter kommunizieren zu können. Damit er sie trotz der Abaja erkennt, trägt sie pinkfarbene Schuhe, die zum Sinnbild ihres Aufbegehrens und Freiheitswillens werden.

So wie Fiore würde man sich gern alle saudischen Mädchen denken. In Wahrheit entspricht sie dem Idealbild der sich gegen alle Widerstände verwirklichenden selbstbewussten, ja emanzipierten westlichen Frau - Simone de Beauvoir wäre stolz auf sie. Sie wählt sich ihren Geliebten auf der Straße, arrangiert, ja dirigiert die Treffen, lehnt den vom Vater ausgesuchten Ehemann ab, nimmt den als Frau verkleideten Naser schließlich regelmäßig mit zu sich nach Hause, wo sie dasselbe tun, was auch ein junges Liebespaar im Westen tun würde.

Spätestens an diesem Punkt bekommt die Geschichte eine Wendung ins Märchenhafte. Auch im Roman hält die Utopie nicht allzu lange. Noch vor dem ersten ordentlichen Streit der Liebenden, wird Nasers Verkleidung von einem zum Religionspolizisten gewordenen ehemaligen Kameraden aufgedeckt. Selbst unter der Folter verrät er jedoch die Identität seiner Geliebten nicht, bis er schließlich abgeschoben wird.

Obwohl der Hergang der Geschichte vorhersehbar ist, gelingt es Addonia, den Spannungsbogen über weite Strecken des Buchs zu halten. Die Kontraste sind stark, Grautöne finden sich nicht: Der saudi-arabische Islam erscheint als das absolute Böse, das er im Auge jedes aufgeklärten Lesers zwangsläufig ist.

So entpuppt sich diese einfache Geschichte mit Schmökerqualitäten am Ende als große und berechtigte Kritik am radikalen Islam und der von ihm provozierten Doppelmoral. Ob der Roman des jungen Eritreers auch das Attribut hoher literarischer Kunst verdient, ist eine Frage, die angesichts dieses Themas und seiner mustergültigen Behandlung müßig ist.

Rezensiert von Stefan Weidner

Sulaiman Addonia: Die Liebenden von Dschidda
Roman, Aus dem Englischen von Rita Saueß und Bernhard Jendricke,
Hoffmann und Campe, Hamburg 2009,
330 Seiten, 19,95 Euro