"Verbotene Liebe - Next Generation"

Die queere Adels-Soap ist zurück

08:57 Minuten
Alexander Verhoven und Josefin Reinhard liegen auf dem Boden und berühren sich inmitten von Glassplittern.
Überreizt wie das Jahr 2020: Alexander Verhoven (Frederik Götz) und Josefin Reinhard (Sina Zadra) kommen sich näher. © TVNow / Julia Feldhagen
Von Stefan Mesch · 23.11.2020
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Nach fünf Jahren Pause sind zehn neue Folgen der einstigen ARD-Vorabendserie „Verbotene Liebe“ auf dem Bezahlsender TV Now zu sehen. Es geht, wie gehabt, um Familie, Ambition und Verlangen. Lohnt sich das Wiedersehen?
Die Aufnahme dauert keine zwei Sekunden: Feuerbälle, brennende Trümmer regnen auf den Schlosspark Königsbrunn. Eine Gartenparty endet im Inferno. Olli Sabel, seit Ende 2000 oft jahrelang die wichtigste, beliebteste queere Figur in deutschen Soaps, will seine Tante Charlie in Sicherheit tragen ... und Charlie klammert sich zwar an Olli. Doch ebenso fest: ans Champagnerglas.
Seifenopern (hastig geschrieben, möglichst billig produziert) tragen selten eine markante künstlerische Handschrift. Doch 1995 bis 2015 gönnte sich "Verbotene Liebe" immer etwas mehr Schärfe, Ironie, Respekt vor den Figuren und ihren Schrullen. Schlagfertigere Liebespaare, gewitzte Antiheld*innen, komplexe Intrigen. Nach fünf Jahren Pause kehrt die ARD-Serie jetzt auf TV Now zurück, dem Bezahlportal von RTL, für vorerst zehn 40-minütige wöchentliche Folgen.

Die Serie passt ins überreizte Jahr 2020

Die Neuauflage zeigt fünf bekannte Figuren (Ansgar, Clarissa, Carla, Charlie, Olli) und das seit 2003 zentrale Schloss Königsbrunn. Der Konzern der Lahnsteins ist zerschlagen, dem Textilunternehmer Robert Verhoven (Heinz Hoenig) gehören Schloss und Lahnstein-Tower, und nach 40 recht hochwertig produzierten Minuten ist klar: "Verbotene Liebe" passt tatsächlich fast besser ins polarisierte, oft klassistische und überreizte Jahr 2020 als in den ARD-Vorabend 1995.
Die Serie war nie "auserzählt", sondern versuchte (unter anderem 2011 mit einer überlangen Mallorca-Storyline, ab 2012 mit sexistischen graue-Maus-Klischees aus Telenovelas, 2015 als wöchentlicher Schmalspur-"Tatort") bei fallenden Quoten meist die Formel "Altbekanntes plus X": eine Prinzessin wie aus "Sissi", ein Schnodder-Polizist wie aus "Großstadtrevier".

Sexpositiv und wohlstandsverwahrlost

Hier aber fehlt ein solches "plus X": Nichts wird aufgesetzt, angefügt, hinzugebogen, beigerührt. Es geht ganz klassisch um Familie, Ambition, Verlangen – und ich kenne keine deutschsprachige Serie, die dabei besonders auch Frauen und queeren Figuren so viele Spielräume, Konflikte und Fallhöhen zuspielt.
Josefin, eine alleinerziehende Mutter, rempelt (am Flughafen, wie in Folge 1 von 1995) gegen Roberts Sohn Alexander. Olli und der 20 Jahre jüngere Paul Verhoven, sexpositiv aber wohlstandsverwahrlost, sind im Vorspann das zweite große Liebespaar.
"Verbotene Liebe" heißt schon immer: ein Schloss. Reiche Figuren, die genau kalkulieren müssen, wie viele Gefühle und Prinzipien sie sich leisten dürfen, ohne alles zu verlieren. Und Bürgerliche, die zum ersten Mal Macht schmecken.

Jedes Portal braucht seine Zielgruppe

Hat Elke Heidenreich, der prominenteste "Verbotene Liebe"-Fan, wieder Gastauftritte? Wo bleibt Heidenreichs Lieblingsfigur: Butler Justus? Wird der verstorbenen Martina Servatius gedacht, die bis 2015 Schlossherrin Elisabeth spielte? Traue ich Carla, einer lesbischen Kunsthistorikerin, zu, Bomben zu legen? Und, Spoiler: Stahl Clarissa circa 1995 Eizellen ihrer leukämiekranken Tochter?
Jedes Bezahl-Portal braucht Zielgruppen, Alleinstellungsmerkmale. Die Konsequenz, mit der RTL sagt: "Bei TV Now sind Soaps wichtig – und queere Sichtbarkeit", ist keine Selbstverständlichkeit.
Egal, ob hier das Drehbuch, die Regie oder erst die Schauspieler*innen entschieden "Auch in Todesangst braucht Charlie Schneider einen Champagnerkelch!": Danke für den Schwung, den Biss – und für den Spaß an den Figuren.
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